Mathematik

Ramadan - Kind in der Natur

Wann beginnt der Ramadan?

Liebe Freunde und Geschwister, Frieden sei mit euch und Gottes Barmherzigkeit wie Sein überreichlicher Segen!

Der Ramadan naht und so möchten wir die Gelegenheit nutzen, eine oft an uns herangeführte Frage zu beantworten: Wann beginnt der Ramadan und wie wissen wir das?

Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Gnädigen

55:1 Der Erbarmer
55:2 Lehrte den Quran
55:3 Erschuf den Menschen
55:4 Lehrte ihn die Aufklärung
55:5 Die Sonne und der Mond sind nach Berechnung

Hanif-Übersetzung, Kapitel 55

Nach koranischer Definition beginnt der Tag mit der Morgendämmerung. Aus dem Vers 55:5 ist ersichtlich, dass die Grundlage die (astronomischen) Berechnungen darstellen. Deshalb ist es wichtig, wann der genaue ortsgebundene Zeitpunkt des Neumondes sein wird, da mit dem Neumond der neue Mondmonat beginnt, wie bereits am Begriff Neumond selbst ersichtlich ist, dass ein neuer Monat begonnen hat. Das Wort Monat ist etymologisch verwandt zu Mond. Ist der Neumond vor der Morgendämmerung, so ist dieser Tag der erste Tag im Mondmonat. Findet der Neumond nachher statt, beginnt der erste Tag im Mondmonat erst am Folgetag.

Um mathematisch bzw. astronomisch präziser zu sein, muss man genau festlegen, was mit der Morgendämmerung gemeint ist. Auf eine tiefere Diskussion verzichten wir an dieser Stelle und verweisen auf die Fachliteratur. Konventionell sind drei bekannt: die astronomische, nautische und die bürgerliche Dämmerung. Grob und vereinfacht gesagt gilt die nautische Dämmerung als Grundlage für die Bestimmung des Tagesbeginns.

Beispiel für die nächsten Jahre:

2019: Da der Neumond in Wien, Berlin oder Bern am 5. Mai etwa um 00:45 Uhr eintritt, lange vor der astronomischen Dämmerung und somit automatisch auch vor der nautischen, ist der erste Tag im Ramadan und somit der erste Fastentag der 5. Mai. Der nächste Neumond findet am 3. Juni um 12:06 Uhr statt, womit der letzte Tag im Ramadan der 3. Juni ist. Somit sind insgesamt 30 Tage zu fasten.

2020: 23. April war der erste Fastentag, der letzte am 22. Mai. Ramadan dauerte 30 Tage.
2021: Beginn des Ramadans 2021 am 12. April mit einer Dauer von 30 Fastentagen.
2022: Neumond ist am 1. April um 08:24 Uhr, lange nach der nautischen Dämmerung, somit ist der erste Fastentag der 2. April. Der nächste Neumond ist um 30. April um 22:28 Uhr, vor der nautischen Dämmerung am 1. Mai, womit der letzte Fastentag der 30. April ist und der Ramadan dauert 29 Tage.
2023: Neumond ist am 21. März um 18:23 Uhr, somit ist der erste Fastentag am 22. März. Der nächste Neumond ist am 20. April um 06:12 Uhr, lange nach der nautischen Dämmerung, womit der letzte Fastentag am 20. April ist. Der Ramadan dauert 2023 also 30 Tage.
2024: Neumond ist am 10. März um 10:00 Uhr, somit ist der erste Fastentag am 11. März. Der nächste Neumond ist am 8. April um 20:20 Uhr, womit dieser Tag der letzte Fastentag ist. Der Ramadan hat in diesem Jahr eine Länge von 29 Tagen.
2025: Neumond ist am 28. Februar um 01:44 Uhr, lange vor der nautischen Dämmerung und somit ist der erste Fastentag am 28. Februar. Der darauffolgende Neumond ist am 29. März um 11:57 Uhr, was auch der letzte Fastentag ist. Ramadan umfasst 2025 also 30 Tage.
2026: Neumond ist am 17. Februar um 13:01 Uhr, also ist der 1. Ramadan am 18. Februar. Der Neumond darauf ist am 19. März um 02:23 Uhr, der letzte Fastentag ist also der 18. März. Wir fasten im Jahr 2026 also 29 Tage.
2027: Neumond ist am 6. Februar um 16:56 Uhr, also ist der 7. Februar der 1. Ramadan. Nächster Neumond ist am 8. März um 10:29 Uhr, was der letzte Tag im Ramadan ist. Fastenlänge beträgt 30 Tage.
2028: Neumond ist am 26. Januar um 16:12 Uhr, der erste Fastentag ist also am 27. Januar. Danach ist der Neumond am 25. Februar um 11:37 Uhr, was auch der letzte und 30. Fastentag ist.
2029: Neumond ist am 14. Januar um 18:24 Uhr, am 15. Januar beginnen wir mit dem Fasten. Am 13. Februar um 11:31 Uhr ist wieder Neumond. Somit fasten wir 30 Tage.
2030: Neumond ist am 4. Januar um 03:49 Uhr, dann wieder am 2. Februar um 17:07 Uhr. Wir fasten also wieder an 30 Tagen.

Unterschiedliche Startdaten?

Traditionell wird je nach Gemeinschaft anders gerechnet, da sie ihre Grundlagen auf anderen Quellen außerhalb der Lesung („Koran“) aufbauen, wie zum Beispiel beim Aspekt der „Sichtung“ der Mondsichel und ebenso mit ihrer der jüdischen Tradition entnommenen Definition des Tagesbeginns (Sonnenuntergang). So ist zu erwarten, dass viele öfters einen Tag später mit dem Fasten beginnen werden. Die Ahmadiyya oder gewisse Schiiten oder Sunniten beginnen vermutlich aufgrund ihrer noch einmal eigenen, unterschiedlichen Definition, nicht nur die Möglichkeit zur Sichtung der Mondsichel zu berechnen, sondern die Mondsichel tatsächlich zu sichten, erst zwei Tage später. Die konkreten Tage werden natürlich individuell bestimmt, denn innerhalb dieser Gemeinschaften gibt es nochmals Unterschiede.

An dieser Stelle möchten wir zur Geschwisterlichkeit aufrufen, auch wenn wir an unterschiedlichen Tagen beginnen mögen. Lasst uns einander mit Frieden, geschwisterlicher Liebe und Verständnis begegnen!

Wir wünschen einen gesegneten Ramadan!
Wir wünschen euch jetzt schon eine gesegnete, besinnliche Fastenzeit, so Gott will!

Achtet dabei auf ein gesundes, vernünftiges Fasten!

Bitte nicht maßlos sein beim Fastenbrechen!
Nicht so

7:31 O Kinder Adams, legt euren Schmuck bei jeder Gebetsstätte an und eßt und trinkt, aber seid nicht maßlos! – Er (Allah) liebt nicht die Maßlosen.

Übersetzung von Bubenheim

In herzlichem Frieden

Wie ein muslimischer Mathematiker gegen religiösen Fanatismus kämpft

Eine Gruppe junger Muslime trifft sich regelmässig in Zürich zum Gebet. Nun wollen sie eine Moschee gründen, um mit den Worten Gottes gegen den konservativen Islam zu kämpfen.

Lesen auf: https://www.nzz.ch/zuerich/offene-moschee-geplant-mit-dem-koran-gegen-religioesen-fanatismus-ld.1310005


Es gab eine Rückfrage zum Artikel, der bei der NZZ über mich erschien:

Könnten Sie mir sagen, welche Moschee in der Schweiz für Frauen oder Homosexuelle nicht offen steht?

Meine Antwort (Kerem Adıgüzel):
Theoretisch gesehen sind selbst die Salafisten offen für den Besuch von Homosexuellen in den Moscheen. Wir reden hier aber von der Theorie und von einzelnen Besuchen. Wenn die Moscheen so offen sind, wie suggeriert wird, wieso braucht es dann überhaupt unsere Moschee, die Offene Moschee Schweiz oder die Inclusive Mosque Initiative in London oder die Muslims for Progressive Values in den USA oder den Liberal-Islamischer Bund in Deutschland und viele weitere in anderen Ländern? Darüber hinaus gibt es unzählige homosexuelle Muslime, die sich leider nicht in die traditionellen Moscheen getrauen wegen ihren vielen negativen Erfahrungen diesbezüglich. So habe gar ich Mühe, einem homosexuellen Muslim klar zu machen, dass er sich bei uns und in unserer zukünftigen Moschee, so Gott will, in Sicherheit wähnen darf, weil die Vorbehalte so gross sind.

Ich betone noch einmal den Aspekt, dass sich die Moscheen theoretisch offen präsentieren für diese Gruppen. Heterosexuelle haben es da natürlich einfacher, dennoch sind in unserer Gruppe einige heterosexuelle Frauen, die sich in den hiesigen Moscheen auch nicht wohl fühlen oder nicht einmal einen Platz kriegen. Die Ressentiments sind schlichtweg überwältigend, auch für Frauen ohne Kopftuch oder eben Homosexuelle als ständige (!) Moscheegänger.

Diskutieren wir also nicht theoretisch herum, sondern werden praktisch und klären in den eigenen vier Wänden auf, dass es flächendeckend auch bspw. homosexuelle Imaminnen ohne Kopftuch geben darf und dies nicht als Widerspruch empfunden (!) wird. Erst wenn diese Belanglosigkeiten als nebensächlich empfunden werden, bin ich bereit, die hiesigen Moscheen als praktisch offen für Frauen und Homosexuelle anzusehen. Denn im Koran steht auch:

7:26 O Kinder Adams, Wir gaben euch Kleidung, eure Scham zu bedecken, und zum Schmuck; doch das Kleid der Achtsamkeit – das ist das beste. Dies ist eins der Zeichen Gottes, auf daß sie (dessen) eingedenk sein mögen.

Also spielen nicht die Äusserlichkeiten eine Rolle, sondern der Charakter und die Achtsamkeit eines Menschen – unabhängig vom Geschlecht. Man muss nicht einverstanden sein, dass eine Person Homosexualität als normal betrachtet, man muss aber tolerieren können, dass eine Person anderer Meinung sein kann und dies auch so ausleben darf. Kleiden wir uns also ein mit der Achtsamkeit und achten auf unsere Mitmenschen.

Schlüssel zum Verständnis des Koran: Die Werkzeuge der Vernunft

In diesem Kapitel werden wir uns den uns zur Verfügung gestellten Werkzeugen des Denkens widmen. Dieses Kapitel ist meines Erachtens eines der wichtigeren in diesem Buch, da selbst eine Vielzahl der „muslimischen“ Intellektuellen Aussagen von sich geben, die keiner mit einem gesunden Menschenverstand und einer Mindestportion an Ausbildung auszusprechen wagen würde. Wieso ich in dieser Hinsicht gerade die Logik in den Vordergrund stelle, also eine mathematische Disziplin, hat nicht nur damit zu tun, dass ich selbst Mathematik studiert habe, sondern auch damit, dass viel im Verstehen der Lesung vereinfacht wird, wenn wir zumindest die grundlegenden Prinzipien des Schlussfolgerns beherrschen und die häufigsten Fehler vermeiden.

Oder um es in den Worten Karl Mengers zu sagen:

 

Nicht etwa, daß bei größerer Verbreitung des Einblicks in die Methode der Mathematik notwendigerweise viel mehr Kluges gesagt würde, aber es würde sicher viel weniger Unkluges gesagt.

– Karl Menger

 

Hierbei werde ich keine bestimmte Logik von Grund auf neu aufbauen. Dazu gibt es viele gute Bücher auf dem Fachmarkt. Wichtig ist zu wissen, dass es nicht die, also nur eine Logik gibt, sondern mehrere. Worauf ich mich beziehen will ist die sogenannte klassische Aussagenlogik, also die Art von Logik, welche sich mit den Aussagen und deren Verknüpfungen befasst. Mithilfe dieser Logik werde ich Aussagen aus der Schrift untersuchen oder verknüpfen. Sie müssen keine studierte Mathematikerin oder ein studierter Mathematiker sein, um die wichtigsten Regeln der Aussagenlogik begreifen und anwenden zu können. Wichtig ist einfach, dass Sie Interesse haben, sich selbst nicht in die Irre zu führen durch Wunschdenken, Verleugnung oder Angst. Die Wahrheit wird uns freisetzen und uns alle zu einem friedvolleren Leben führen.

Da ich wie schon erwähnt die Regeln der Aussagenlogik nicht neu erklären will, möchte ich mich doch die wichtigsten kurz erwähnen. Eine Aussage hat entweder den Wahrheitsgehalt wahr oder falsch und es gilt das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten (es gibt nichts zwischen wahr und falsch). Dieses Prinzip wird es uns vereinfachen, Aussagen auf ihre Plausibilität zu überprüfen.

Aussagen können verbunden werden durch „und“, „oder“ oder „nicht“. Aus diesen leiten sich dann auch Begrifflichkeiten wie „A genau dann, wenn B“ (Gleichwertigkeit) und „wenn A, dann B“ (Bedingung) ab für Aussagen A und B. Diese Regeln können erweitert oder auch zusammengefasst werden, wie zum Beispiel in den bekannten De Morgan Regeln.

Wichtig hierbei ist, dass Sie beispielsweise verstehen, dass die Aussage „wenn A, dann B“ gleichwertig ist zur Aussage „wenn nicht B, dann nicht A“. Überprüfen Sie diese Behauptung, um ein Gefühl dafür zu erhalten, dass Ihnen die technische Seite der Mathematik, der Formalismus zu weiteren Aspekten verhilft. Sie sehen das Eine, denken aber an das Andere und erhalten das Dritte aus der ganzen Sache!

Wieso kümmern wir uns also um die Logik? Was bringt die Logik mir in meinem Alltag? Bedeutet Logik, dass ich meine Gefühle und Instinkte total abschalte? Nein!

Die Logik ist zuerst einmal eine Worthülse, wenn wir nicht genauer definieren (oder es zumindest versuchen zu definieren), was sie bedeutet. Viele von uns denken bei der Logik an die Alltagslogik, die mit der Disziplin der mathematisch-philosophischen Logik nur am Rande etwas zu tun hat. Dass einem etwas „logisch erscheint“ sagt nur etwas darüber hinaus, dass dieser Gedanke oder diese Idee einem selbst gefällt. So sagt die Alltagslogik mehr über die Person aus als über den Wahrheitsgehalt der Idee selbst.

Durch die Regeln des logischen Schlussfolgerns können Sie Aussagen kombinieren und sie auch hinterfragen. Im besten Falle können Sie herausfinden, ob Ihre Aussage es überhaupt wert ist, diese zu überprüfen und ihr nachzugehen, oder ob sie von vornherein falsch formuliert wurde. Der Nutzen der Logik ist also immens und selbst ihre Gefühle, ihre Intuition können Ihnen dabei helfen, nützliche und wertvolle Aussagen überhaupt erst zu finden. Doch die Überprüfung jeglicher Aussagen ist eine gottergebene Pflicht!

 

Seit man begonnen hat, die einfachsten Behauptungen zu beweisen, erwiesen sich viele von ihnen als falsch.

– Bertrand Russell, britischer Mathematiker

 

Trügerische Logik des Alltags

Viel wichtiger als der Bezug auf die klassische Aussagenlogik ist meines Erachtens die Kenntnis der häufigsten Fehler, die man in der Begründung der eigenen Aussagen begeht, damit man sie vermeiden kann.

Es gibt sehr viele Fallen der Alltagslogik, weshalb ich eine kurze Umschreibung der meines Erachtens häufigsten logischen Fehlern bieten will. Wer sich selbst in den Gebieten der Logik und der Wahrheitsfindung weiter entwickelt, kann das entwickeln, was ich als die rationale Gesundheit der Seele (nafs) bezeichne. Denn für eine ganzheitlich gesunde Seele braucht es nicht nur die spirituelle und emotionale Gesundheit der Seele, welche nicht nur das Herz und die Empfindungen umfasst, sondern ebenso die rationale Gesundheit, wobei der Verstand als ein unzertrennlicher Teil der Seele aufgefasst werden muss.

Insbesondere folgende logische Fehler sind leicht zu vermeiden:

Strohmann-Prinzip:

Ich erfinde eine Aussage, schiebe sie meinem Gegenüber zu und widerlege dann diese Aussage, die ich mir selbst zusammengebastelt habe zu diesem Zweck. Das Prinzip heißt deshalb Strohmann-Prinzip, weil man sich seinen eigenen Strohmann bastelt, den man leicht schlagen kann. Unterstellungen fallen in diese Kategorie, da sie scheinbar unser Gegenüber schwächen. Eine unredliche Art, die der Wahrheitsfindung nur im Weg steht und unnötig Zeit raubt.

 

Annahmen generalisieren:

Da Atome unsichtbar sind, und ich aus Atomen bestehe, bin ich selbst unsichtbar. Da ich aber nicht unsichtbar bin, gibt es keine Atome. Hier wird nicht die Annahme generalisiert, dass Atome unsichtbar sind, sondern die versteckte Annahme dahinter, dass unsere Augen das Maß aller Dinge seien

 

Falsche Kausalität (Korrelation):

Nur weil etwas miteinander korreliert, also miteinander in Bezug steht, heißt das noch lange nicht, dass sie sich gegenseitig verursachten. Nur weil in einer Studie herausgefunden wurde, dass Kaffee mit erhöhtem Krebsrisiko zusammenhängen kann, heißt das noch lange nicht, dass Kaffee die Ursache ist. Vielleicht sind Kaffeetrinker auch öfters Raucher als Nicht-Kaffeetrinker?

 

Zirkelschlussprinzip:

Die Aussage X ist wahr, weil in Y steht, dass X wahr ist. Oder ein anderes Beispiel: Die Offenbarung Gottes muss wahr und geschützt sein, weil es ja in Vers 15:9 steht!

 

Appell an die Emotion:

Etwas ist wahr, weil uns die Geschichte so berührt hat oder die vortragende Person dermaßen rührend war und man es ihr nicht zutrauen kann, dass sie lügt. Andererseits: Insbesondere der direkte Appell an die Emotionen im Sinne von „seid ihr etwa tolerant gegenüber Kinderschändern, dass ihr das Gesetz XY nicht akzeptiert?“ fällt in diese Kategorie.

 

Mehrheitsdenken:

Etwas ist wahr, weil die Mehrheit der Menschen dasselbe sagt. Dies ist leider immer noch einer der häufigeren Fehler, den viele Sunniten begehen, indem sie etwa denken: Wir als Sunniten sind zahlreicher als die Schiiten, hätte Gott dies nicht gewollt, wäre dies nicht passiert, also haben die Sunniten Recht!

 

Autoritätsdenken:

Etwas ist wahr, weil es Prof. Dr. Dr. Dr. Müller sagt oder weil es Scheich Dr. Dr. Ibrahim sagt. Auch wenn es oft stimmt, dass Fachleute auf ihrem Gebiet besser Bescheid wissen als andere, heißt das noch lange nicht, dass sie deshalb immer Recht haben müssen. Der Wahrheitsgehalt misst sich nicht an der Person, sondern an der Aussage (dem Inhalt) selbst.

 

Appell an die Natur:

Weil XY in der Natur vorkommt, ist es „natürlich“. Gemäß dieser Aussage wären also sämtliche Pädophilen und Mörder Menschen, die wir rechtlich nicht mehr belangen dürften. Ein anderes Beispiel wäre: über 1500 Tierarten in der Natur zeigen homosexuelle Züge (und nicht „sind sexuell“!), also ist Homosexualität etwas Natürliches.

 

Schlechte Begründung bedeute Behauptung sei auch falsch:

Dies ist besonders tückisch, da selbst dann, wenn eine Behauptung vom Vortragenden grottenschlecht oder gar falsch begründet wurde, dies noch lange nicht bedeutet, dass die Wahrheit der Behauptung widerlegt sei. Beispiel einer schlechten Begründung einer aber höchstwahrscheinlich wissenschaftlich gesicherten Behauptung: Die globale Erderwärmung ist von den Menschen verursacht, weil meine Tochter Verdauungsprobleme hat.

 

Von A gleich Z ableiten (schlüpfrige Argumente):

Von der Behauptung einer Sache gleich übertriebene Konsequenzen erwarten. Nur weil etwas eintrifft, das mir nicht gefällt, muss ich nicht gleich die Weltkatastrophe erwarten. Wenn etwa die gleichgeschlechtliche Heirat erlaubt werden soll, so heißt das nicht, dass damit Türe und Tore offen sind für die Heirat von Minderjährigen, Tieren oder dergleichen.

 

Ad hominem:

Die Person angreifen statt die Aussage der Person. Beispiel: „Kerem hat mit seiner Aussage XY Unrecht, weil er keine Professur in klassisch-orthodoxer Theologie des Fiqh hat.“ Ich mag zwar keine Professur innehaben, doch vielleicht sage ich etwas, das von Belang ist? Wenn ich die Unwahrheit erzähle, kann man das ignorieren, aber wieso sollte man irgendeine Person ignorieren, die die Wahrheit erzählt, nur weil die Person selbst nicht „beliebt“ ist oder diese Person keinen fachlichen Abschluss hat? Akzeptieren wir die Wahrheit nur dann, wenn sie hinter Abschlüssen und Diplomen auftaucht?!

 

Tu quoque (du auch):

Mir wird vorgeworfen, dass meine Aussage XY falsch war. Meine Reaktion darauf: Ja, Ihre Aussage YZ war auch falsch! Hier versuche ich, meinen Fehler zu vertuschen, indem ich auf den inhaltlichen Fehler des Angreifers aufmerksam machen will. Selbst dann, wenn ich Recht behalten sollte, dass sein Fehler falsch war, so möchte ich doch, wenn mein Fehler auch falsch war, dies der Wahrheit, also Gott zuliebe wissen wieso?

 

Anekdoten-und Erfahrungsbeweise:

Begründungen einer Aussage auf Anekdoten und Erfahrungen können nicht angenommen werden, weil diese nur schwer überprüf- oder wiederholbar sind. Wie kann ich den Traum eines anderen darauf überprüfen, ob der Traum tatsächlich so stattgefunden hat? Die Wahrheit ist die Wahrheit, weil sie nicht von einer Person abhängt. Da Gott die Wahrheit ist, formulieren wir das um: Gott und Sein Wirken sind nicht von einer Person abhängig.

 

„Zu komplex“, unverständlich:

Dieser Fehler ist leider gang und gäbe, insbesondere, wenn es sich um Mathematik handelt. Aussagen wie „Gott will doch von uns nicht, dass wir nach mathematischen Eigenschaften suchen, da nur wenige Menschen überhaupt Mathematik verstehen“ gehören in diese Kategorie. Nur weil man sich selbst und die Mehrheit der Menschen als zu dumm ansieht, heißt das nicht, dass die Wahrheit sich dem angeblichen Dummheitsniveau der Menschen in einem bestimmten Bereich anzupassen hat!

 

Schwarz-Weiss-Vereinfachung:

Entweder ist die Aussage wahr, oder sie ist gänzlich falsch! Dies ist ein logischer Fehler, der schwieriger zu entdecken ist, aber prinzipiell kann man mit Gewissheit sagen, dass nur weil die Gesamtaussage nicht ganz korrekt war, die Aussage nicht vollständig zu verwerfen sei. Es kann durchaus sein, dass die Aussage wahr wird, wenn man sie ein wenig inhaltlich ändert.

 

Postulieren, im Nachhinein rationalisieren oder Unwahres einfach wiederholen:

Im Nachhinein lässt sich vieles erklären und eine Ordnung (er)finden. Dies ist ein besonders hartnäckiger Fehler der Alltagslogik, weil man dazu psychologisch prädestiniert ist, sich selbst und sein eigenes Weltbild zu verteidigen und zu rechtfertigen.

 

Fragen mit unterschwelligen Annahmen:

Dies könnte auch als ad hominem aufgefasst werden. Eine Frage wie „Haben Sie Probleme mit Drogen?“ hat den unterschwelligen Ton einer Unterstellung.

 

Beweislast:

Ich behaupte, dass XY nicht möglich ist, beweise mir das Gegenteil! Hier ist der Fehler, dass der Behauptende eigentlich die Beweislast trägt und nicht der, dem die Behauptung an den Kopf geworfen wird. Dies wird dann besonders tückisch, wenn man über eine Person sagt „du kannst dies oder das nicht“, da sich diese Aussage leicht falsifizieren ließe, indem eben der andere sein Können unter Beweis stellt. Nichtsdestotrotz liegt die Beweislast beim Behauptenden.

 

Selektive Wahrnehmung:

„Jedes Mal, wenn ich an meine beste Freundin denke, ruft sie an!“ Das ist ein typischer Fehler vieler Menschen, weil sie nur das wahrnehmen, was in das entsprechende Konzept passt. Es gibt eigentlich vier Fälle, die man für diese Aussage untersuchen müsste:

  1. Ich denke an eine Person und sie ruft an.
  2. Ich denke an eine Person und sie ruft nicht an.
  3. Ich denke nicht an diese Person und sie ruft an.
  4. Ich denke weder an diese Person noch ruft sie an.

Erst die gesamtheitliche Betrachtung all dieser Fälle wird Aufschluss darüber geben, ob der Anruf wirklich immer dann eintrifft, wenn an diese Person gedacht wird. Nur einzelne Betrachtungsweisen vorzunehmen hinterlässt Lücken in der Analyse, die leicht angegriffen werden können.

 

Mehrdeutigkeit:

Wörter können mehrdeutig sein, insbesondere in Gesprächen. So kann „Dieser Bereich wird zur Verhütung von Straftaten durch die Polizei videoüberwacht.“ mutwillig falsch verstanden werden, dass die Polizei Straftaten begehe. Viel besser wäre es stattdessen nachzuhaken, was genau gemeint wurde.

 

Quellenkritik (kommt von / ist aus X, deshalb ist es wahr/falsch):

Ähnlich wie im Falle von ad hominem wird beispielsweise behauptet, dass eine Aussage XY nicht wahr sein kann, weil sie im Buch von Buchārī auftaucht. Selbst wenn Buchārī ein Mörder und Psychopath gewesen wäre, so müsste man stets seine Aussagen analysieren statt zu sagen: Weil es im Buch von ihm steht, ist es nicht richtig.

 

Der Irrtum des Glückspielers:

Ein weiterer häufiger Fehler ist der Irrtum des Glücksspielers, der aus dem Bereich der Glücksspieltheorie entstammt. Dabei wird die Erwartungshaltung beschrieben, dass man beispielsweise bei einem Münzwurf fälschlicherweise nach zwanzig aufeinanderfolgenden Treffern auf Kopf die Erwartungshaltung hat, dass beim nächsten Wurf bestimmt die Zahl kommen muss. In Wahrheit ist die Wahrscheinlichkeit für Kopf oder Zahl genau gleich hoch wie vorher.

 

Falsche Kompromisse:

Ein Beispiel für einen falschen Kompromiss sei wie folgt gegeben: Ich sehe ein, dass meine eigene Aussage nicht stimmt. Da mir aber die Aussage meines Gegenübers immer noch nicht passt, schlage ich deshalb einfach den Mittelweg ein. Dies ist deshalb falsch, weil die Hälfte von falsch und wahr immer noch falsch ist! Wenn man zum Beispiel damit aufhört zu sagen, dass die traditionellen Ḥadīṯ-Bücher restlos wahr seien, aber stattdessen meint, dass man ohne diese die Religion auch nicht verstehe und deshalb einen Mittelweg einschlagen muss, der begeht genau diesen Fehler des falschen Kompromisses – gleichgültig davon, ob dieser Weg richtig wäre oder nicht, die Begründung war falsch.

Ich bin mir sicher, dass ich in diesem Buch irgendwo einen dieser Fehler auch begangen habe. Besonders die Illusion, dass ich es ja „wissen muss“, weil ich Mathematik und Logik studiert habe, erleichtert es solchen Fehlern, dass sie sich in die eigenen Gedankengänge einschleichen. Auch besonders bei emotionalen Angelegenheiten können apologetische Appelle vorhanden sein. Wir müssen uns deshalb stets von neuem überprüfen, ob wir rational gesund agieren. Die rationale Gesundheit der Seele ist mindestens wie die körperliche Gesundheit zu pflegen, denn sie sind beide Geschenke des Schöpfers.

Nachdem wir nun die Probleme der Alltagslogik oder der Rhetorik kennen gelernt haben, möchten ich kurz diese Prinzipien stichwortartig zusammenfassen:

  • Strohmann-Prinzip
  • Annahmen generalisieren
  • Falsche Kausalität (Korrelation)
  • Zirkelschlussprinzip
  • Appell an die Emotion
  • Mehrheitsdenken
  • Autoritätsdenken
  • Appell an die Natur
  • Schlechte Begründung mache die Behauptung unwahr
  • Von A gleich Z ableiten (schlüpfrige Argumente)
  • Ad hominem
  • Tu quoque (du auch)
  • Anekdoten-und Erfahrungsbeweise
  • „Zu komplex“, unverständlich
  • Schwarz-Weiss-Vereinfachung
  • Postulieren, im Nachhinein rationalisieren oder Unwahres einfach wiederholen
  • Fragen mit unterschwelligen Annahmen
  • Beweislast
  • Selektive Wahrnehmung
  • Mehrdeutigkeit
  • Quellenkritik
  • Der Irrtum des Glückspielers
  • Falsche Kompromisse

 

Analytisches Denken – Kombinieren und Schlussfolgern

Die Wichtigkeit und den Nutzen des kombinierenden Denkens möchte ich an einem konkreten Beispiel aus der Lesung aufzeigen:

In der Lesung finden wir in Kapitel 47 einen Vers, in dem Gott uns versichert, dass uns im Garten Eden im Jenseits ein sogenannter köstlicher Wein zubereitet wird. Dies wirft notgedrungen die Frage auf, wieso in dieser Welt berauschende Psychostimulanzien, also Drogen jeglicher Art von Alkohol bis Cannabis, zu vermeiden sind und als Satans Werk beschrieben werden (5:90, 2:219)? Es entsteht zwar kein logischer Widerspruch zwischen diesen zwei Stellen der Lesung, dennoch erübrigt sich die Frage nicht, wieso Gott uns das eine im Diesseits als „zu vermeiden“ und als „Sünde“ zu verstehen gibt, dasselbe aber im Jenseits erlaubt sei.

Hier kommen das analytische Denken und die Fähigkeit zum Zug, verschiedene Aussagen zu kombinieren und damit Schlussfolgerungen zu erhalten.

Betrachten wir also den 15. Vers aus dem 47. Kapitel und die Verse 76:21 und 52:23, so sehen wir aus 76:21, dass das Trinkbare im Jenseits nicht berauschend, sondern reinigend ist, und nicht mit dem Berauschenden dieser Welt zu vergleichen ist, da es keine Sünde in sich beherbergt.

 

76:21 An ihnen werden Kleider von feiner, grüner Seide sein und Brokat. Und geschmückt wurden sie mit silbernen Spangen und ihr Herr gab ihnen ein reinigendes Getränk zum Trinken.

52:23 Darin reichen sie einander einen Becher, der nicht zu Geschwätz verleitet und in dem nichts Sündhaftes steckt.

 

Vers 76:21 zeigt uns, dass das Trinkbare im Garten Eden reinigende Wirkung haben kann. Dennoch heißt es im Vers, dass da „ein“ Getränk gegeben wird und nicht notwendigerweise das in 47:15 erwähnte Getränk ist. Es könnte also auch ein anderes Getränk gemeint sein. Nichtsdestotrotz wissen wir, dass die Getränke im Jenseits als rein beschrieben werden und keine Kopfschmerzen verursachen und auch nicht berauschend wirken (56:19). Berücksichtigen wir weiter, dass das Berauschende im Diesseits auch als „Sünde“ (2:219) beschrieben wird, welches zwischen den Menschen zu Feindschaft und Hass führt (5:91), so wissen wir aufgrund von 52:23, dass damit nicht dasselbe Getränk gemeint sein kann. Bedenken Sie hierbei für einen kurzen Moment, dass wir nirgends von einer allegorischen Interpretation des Verses 47:15 ausgegangen sind, was natürlich in Anbetracht der Beschreibung des Jenseits sehr plausibel wäre.

Es wäre bestimmt interessant in Erfahrung zu bringen, was dabei herauskommt, wenn man die Lesung nach sämtlichen logischen Aussagen aufteilt und inhaltliche Analysen aufgrund der Logik betreibt. So können Partikel wie „fa“ (so), „aw“ (oder), „wa“ (und), „iḏ / iḏā“ (wenn/als), „law“ (wäre) und dergleichen aus der Lesung in logische Operatoren umgewandelt werden. Ich lade die kundigen Leserinnen und Leser dazu ein, solche Analysen durchzuführen, um zu wissen, wie weit man mit solchen Gedankengängen kommen kann.

 

37:45–47 Dabei wird ihnen ein Becher aus einem Quell herumgereicht, weiß, genussvoll für die, die (daraus) trinken. Darin steckt keine heimtückische Beeinträchtigung, und dadurch werden sie nicht berauscht.84