Beigesellung

Homosexualität und Islam: Zwei Männer in Anzügen, die über ein Feld an einem sonnigen Tag spazieren, während sie Händchen halten

Homosexualität und Islam

Ein Vortrag vom muslimischen Islamwissenschaftler Andreas Ismail Mohr:

Islam und Homosexualität – geht das zusammen? | Teil 1: Vortrag
Islam und Homosexualität – geht das zusammen? | Teil 2: Fragerunde

Nun der Artikel zu Islam und Homosexualität:

Im Namen Allahs, des Allerbarmers, des Barmherzigen beginnt diese Arbeit. Denn zu Ihm nehmen wir unsere Zuflucht, und in Seinem Namen beginnen wir. Und ich bitte Ihn, mir beizustehen, diese Aufgabe angemessen zu bewältigen und mich dabei nicht irregehen zu lassen, so dass sie zum Nutzen für den Islam und für die Muslime werden kann.

Das hier behandelte Thema ist für viele Muslime weiterhin ein sehr heikles Thema. Sie sind mehrheitlich der festen Meinung, dass Homosexualität und alle homosexuellen Handlungen Harâm (verboten) im Islam seien.

[…]

Der Qur’ân wurde von Allah mit der Wahrheit offenbart. Und es ist in der Hand eines jeden Menschen, sich an dessen Wortlaut zu halten und diese Wahrheit anzunehmen und nicht davon abweichenden Vorstellungen zu folgen:

Wahrlich, Wir haben dir [Muhammad] das Buch mit der Wahrheit hinabgesandt für die Menschen. Wer sich rechtleiten lässt, der [tut es] für sich; und wer irregeht, der geht irre zu seinem Schaden. Und du [Muhammad] bist nicht Wächter über sie.

Koran 39:41

[…]

In Diskussionen mit Muslimen kann man immer wieder die Erfahrung machen, dass sie ein Verbot von Homosexualität als einen festen Bestandteil des Islams ansehen, der kaum einmal in Frage gestellt wird. Zu demselben Ergebnis kommt man gewöhnlich auch, wenn man von Muslimen verfasste religiöse Literatur daraufhin untersucht.

Sie glauben zu wissen, was für Verhältnisse in Lots Volk herrschten, obwohl sie sich dabei weder auf den Text des Qur’ans, noch auf betraubare Überlieferungen oder gar historische Fakten stützen können – sie glauben fest an etwas, das man ihnen vermittelt hat, aber sie hinterfragen und prüfen es nicht.

Unter Muslimen gab und gibt es ebenso Homosexuelle wie unter anderen Menschen, zum Teil mit eigenen Subkulturen von langer Tradition. In der Regel ist aber Homosexualität in muslimischen Gesellschaften ein Tabu, wenn auch jeweils von unterschiedlicher Intensität, sogar in solchen Ländern, in denen sie nicht strafbar ist. Das Tabu wird auf den Islam zurückgeführt. Ob seine authentischen Quellen tatsächlich hierfür herangezogen werden können oder ob der Islam wie in vielen anderen Fragen nur wieder Vorwand und missbrauchtes Mittel ist, soll der Ansatzpunkt für die folgenden Seiten sein.

Als Grund für die herkömmliche Auffassung werden Qur’ân-Verse und bestimmte Hadîthe angeführt, die als Beleg dafür gehalten werden.

Diese Arbeit soll nicht mehr als ein Versuch sein, diese Textstellen und die Gültigkeit der aus ihnen abgeleiteten Schlussfolgerungen zu überprüfen. Gleichzeitig sollen auf den folgenden Seiten auf der Grundlage des Qur’âns, dessen Wortlaut allein die Basis für eine islamische Antwort sein kann, der Rahmen und die Möglichkeiten für homosexuelle Partnerschaften untersucht werden.

[…]

Das Überwuchertsein des religiösen Denkens mit bestimmten Interpretationen, nicht angezweifelten Annahmen, Spekulationen, Tabus u.a. machten und machen vielfach immer noch eine sachliche Auseinandersetzung mit anderen Muslimen über viele Themen fast unmöglich. Das wird auch bei den zitierten muslimischen Autoren immer dann unübersehbar, wenn sie die von ihnen verkündeten Grundsätze nicht mehr als gültig ansehen, sobald sie sie auf Homosexualität anwenden könnten.

Im Laufe der Untersuchung wird sich zeigen, in welchem Ausmaß die Muslime schon sehr früh unter bestimmten – außerislamischen – Einflüssen die weitgefassten Aussagen des Qur’âns einschränkten, sich damit der in ihm liegenden interpretativen Möglichkeiten begaben und diese zum Teil sogar in deren Gegenteil verkehrten. Das betrifft in Grundzügen auch den Bereich der Sexualität und lässt sich ebenfalls in einer Reihe anderer Fragen aufzeigen.

In vielen Dingen übernahmen sie das Erbe der Christen und Juden. Wo der Qur’ân nur andeutungsweise berichtet, ergänzten sie es manchmal kritiklos um überkommene Mythen und Erzählungen, ohne sie akribisch gegen den Text des Qur’âns zu prüfen. Und sie taten es wohl in guter Absicht, überzeugt von der Richtigkeit ihrer Vorgehensweise. Denn die Muslime der Frühzeit ihrer Geschichte waren ja mehrheitlich Christen oder Juden gewesen, bevor sie zum Islam übertraten, mit einem definierten Welt- und Menschenbild, mit festen Überzeugungen, die sie in das neue Bekenntnis mitnahmen.

Unsere Überzeugung als Muslime jedoch, dass sowohl der Qur’ân, das Wort Gottes, als auch die Schöpfung auf den einen Urheber zurückgehen, lässt es nicht zu, uns auf Ansichten vergangener Jahrhunderte zu beschränken und beim Lesen des Qur’âns verfügbare Erkenntnisse des jeweiligen wissenschaftlichen Standes außer acht zu lassen.

Für jeden Menschen ist Sexualität ein wichtiger Bestandteil seines Lebens, die ihn in seinem ganzen Wesen beeinflusst, seine Empfindungen, seine Gedanken und seine Vorstellungswelt beherrscht, sein Triebverhalten bestimmt – ein untrennbarer, von Gott so gewollter Teil seiner Persönlichkeitsstruktur. Hierzu gehört auch Homosexualität als ein Teilaspekt des breiten Spektrums menschlicher Sexualität.

[…]

Unter Homosexuellen werden hier Personen verstanden, die sich sexuell von Menschen angezogen fühlen und in ihnen die ihnen gemäßen Partner sehen, die dasselbe Geschlecht wie sie selbst haben. Bestimmte Verhaltensausprägungen spielen auf den folgenden Seiten nur insofern eine Rolle, wie sie vom verwendeten Material her in die Diskussion gebracht werden.

Wo im Text von Homosexuellen die Rede ist, sind Männer und Frauen gemeint, soweit der Zusammenhang dies nicht ausdrücklich ausschließt.

[…]

Es werden detailliert die Belege im Qur’ân angeführt. Sie widersprechen unübersehbar der traditionellen Sicht. Und es wird gezeigt, woher die traditionelle Vorstellung von den Muslimen übernommen wurde.

Der Qur’ân

Was Islam ist, hat Allah in klaren Worten im Qur’ân offenbart:

… Heute habe Ich eure Religion (arab.: dîn) für euch vollendet und Meine Gnade an euch erfüllt und euch den Islam zum Bekenntnis (arab.: dîn) erwählt. …

Koran 5:3

Mit anderen Worten: An jenem Tag hat Allah im Qur’ân den Islam vollendet und für uns zum Bekenntnis erwählt, und Er gab dieser Lehre den Namen Islam. Er hat ihn vollendet, d.h. alle späteren Ergänzungen in den verschiedenen Lehrtraditionen sind nicht Teil der offenbarten Lehre.

Und wer eine andere Glaubenslehre sucht als den Islam (so wie Allah ihn offenbart hat): nimmer soll sie von ihm angenommen werden, und im zukünftigen Leben soll er unter den Verlierenden sein.

Koran 3:85

Und im Qur’ân hat Allah den Propheten (S.) zu einem schönen Vorbild für uns erklärt:

Wahrlich, ihr habt an dem Propheten Allahs ein schönes Vorbild für jeden, der auf Allah und den letzten Tag hofft und Allahs häufig gedenkt.

Koran 33:21

[…]

Der Islam ist gemäß seinen Quellen eine Religion, die die Menschen so akzeptiert, wie Allah sie hat entstehen lassen, erschaffen hat. Allah erschuf den Menschen in der besten Form:

Wahrlich, Wir haben den Menschen in der besten Form erschaffen.

Koran 95:4

In (49:13) sagt Allah, wonach Er die Menschen beurteilen wird:

Wahrlich, der Angesehenste von euch vor Allah ist der Gottesfürchtigste unter euch. Siehe, Allah ist allwissend, allkundig.

Koran 49:13

Allah hat alle Menschen erschaffen, und zwar in „der besten Form“ (95:4), dazu zählen auch alle männlichen und weiblichen Homosexuellen mit ihrer besonderen (فطرة) fiTra – Disposition, Natur. Und Er erschafft die Menschen auf diese Weise immer wieder:

In Allahs Vorgehensweise wirst Du nie eine Änderung finden; und in Allahs Vorgehensweise wirst Du nie einen Wechsel finden.

Koran 35:43

Mit anderen Worten: Ein Teil der Menschen hatte und hat einen auf das gleiche Geschlecht gerichteten Geschlechtstrieb, von Allah so geschaffen und gewollt.

Wie sieht der Qur’ân sexuelle Partnerschaften?

In einem zentralen Vers zu dieser Frage setzt Allah alle zwischenmenschlichen Partnerschaften auf eine und dieselbe Stufe:

Unter Seinen Zeichen ist dies, dass Er (männliche bzw. weibliche) Partner (ازواج) für euch (Männer und Frauen) aus euch selber erschuf, auf dass ihr (Männer und Frauen) Frieden bei ihnen findet, und Er hat Liebe und Zärtlichkeit zwischen euch gesetzt. Hierin sind wahrlich Zeichen für ein Volk, das nachdenkt.

Koran 30:21

Im Qur’ân (30:21) beschreibt Allah folglich alle sexuellen Partnerschaften als gleichwertige, wünschenswerte Verbindungen, wenn man nicht willkürlich einfache Regeln und Möglichkeiten der arabischen Sprache missachtet.

Der verwendete Plural أَزْوَاجً (azwâj) – Partner, Gatten, Gattinnen ist der Plural sowohl von زوج (zauj, m. – Teil eines Paares, Paar, Partner, Partnerin …) und زوجة (zauja, f. – Partnerin, Gattin, ..), er ist somit geschlechtsneutral. Ebenso spricht Allah hier zu allen Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, da das Arabische die männliche Form verwendet, wenn Frauen und Männer angesprochen werden.

Der Ausdruck إِلَيْهَا – ilay-hâ – (hier wiedergegeben mit: bei ihnen) ist ein Femininum Singular und bezieht sich auf das vorstehende Wort أَزْوَاجًا – azwâjan – (Partner, Partnerinnen), ein arabisches Wort in gebrochener Pluralform. Dazu Carl Brockelmann:

„…Auch die sog. (= so genannten) gebrochene Plurale … sind eigentlich bloß Kollektivformen. Die Sprache betrachtet sie als Singulare generis feminini und konstruiert sie demgemäß …“.

Carl Brockelmann, Arabische Grammatik, S. 94 f.

Somit sind auch alle Regeln für einen نكاح (nikâH = Ehe/Ehevertrag) bzw. زواج (zawâj = Ehe, Partnerschaft) für alle gültig. Denn er macht die Menschen erst zu Partnern (ازواج, azwâj). Zumal es nirgendwo im Qur’ân ein Heiratsverbot gibt zwischen Menschen desselben Geschlechts. Folglich sind unter einem نكاح (nikâH) homosexuelle Verbindungen ebenso legal wie heterosexuelle. الحمد لله – al-Hamdu lillah.

Jeder Homosexuelle, Muslima oder Muslim, sollte von daher die von Allah so gewollte sexuelle Disposition dankbar akzeptieren.

Vorab die Fakten und das Ergebnis der Untersuchung in Kurzform:

Bis hierher beurteilt der Qur’ân alle zwischenmenschlichen sexuellen Partnerschaften als gleichwertig und gleichberechtigt. Eine Ehe zwischen zwei Personen des gleichen Geschlechts wird im Qur’ân nicht untersagt. Der Islam ist somit die einzige (mono-)theistische Lehre, die Homosexuelle und ihre Partnerschaften voll akzeptiert, الحمد لله.

Im Qur’ân untersagt Allah, etwas zu verbieten, was Er nicht verboten hat:

Wer ist ungerechter als der, welcher eine Lüge wider Allah ersinnt?

Koran 6:144

Zusammenfassung: Islam ist allein die offenbarte Lehre im Qur’ân, spätere Ergänzungen (Verbote, Gebote) durch Menschen gehören nicht dazu.

Worauf beruht die homosexualitätsfeindliche Argumentation der traditionellen Lehre?

Die traditionelle Argumentation führt als Beleg für ein Verbot von Homosexualität die Verse über Lot und sein Volk an.

Was aber sagen diese Verse tatsächlich aus?

Kein Wort im Qur’ân deutet an, dass die Passagen von Lot und seinem Volk im sexuellen Sinne zu verstehen seien. Ganz im Gegenteil. Es gibt 4 Passagen (7:80-81; 26:165-166; 27:54-55; 29:28-29), in denen Lot sein Volk tadelt, die alle mit denselben Worten eingeleitet werden.

“wa lûTan id qâla li-qaumi-hi” (و لوطا اذ قال لقومه)
„und (gedenke) Lots, als er zu seinem Volk (allen Männern und Frauen) sprach“,

In mehreren Koranversen

Der Leser wird in allen diesen Fällen besonders darauf hingewiesen, dass Lot alle Männer und Frauen seines Volkes, seiner Leute, in seinen Tadel einschliesst.

Ob Lots Worte in seinem Tadel (7:81, 27:56) „Kommt ihr zu den Männern anstatt/und nicht zu den Frauen bei einem Begehren (شهوة)“ eine sexuelle Bedeutung haben, kann man sehr leicht durch Anwendung einfacher Logik prüfen: Sein Tadel richtet sich an القوم (al-qaum), alle Männern und Frauen seines Volkes. Wenn seine Worte auf beide Gruppen im sexuellen Sinne anwendbar sind, können sie eine sexuelle Bedeutung haben, wenn nicht, müssen wir diese Bedeutung vermeiden.

Angewendet auf die Frauen: Glaubt wirklich jemand, dass das beabsichtigte Ergebnis seines Tadels “kommt ihr zu den Männern anstatt zu/neben den Frauen” ist, dass Lot wollte, dass die Frauen sich lesbisch verhalten? Warum sollte er das tun? In den beiden vorgenannten Versen wird das Wort (شهوة – schahwa) verwendet, das in den meisten Qurân-Übersetzungen als sexuelles Begehren (z.B. „Sinnenlust“) verstanden und übersetzt wird.

Das Wort schahwa kommt indes einschließlich der Verbformen an weiteren 11 Stellen im Qur’an vor:

  • schahawât (pl.): 3:14, 4:27 und 19:59
  • als Verbum (VIII. Stamm): 16:57, 21:102, 34:54, 41:31, 43:71, 52:22, 56:21, 77:42

An allen diesen Stellen hat es ganz klar keinen sexuellen Bezug. Dieser entstand und verstärkte sich erst durch die traditionelle Qur’ân-Interpretation der Verse von Lot und seinem Volk.

Es gibt keine historisch verlässlichen Zeugnisse über Lot und sein Volk und das, was in ihrer Stadt geschah. Es gibt nur eine Erwähnung im Alten Testament der Bibel, wo ein einziges Wort in einem der Bücher Mose zu einer verbreiteten Fehlinterpretation führte (die Quelle für bestimmte mawâlî-(موالي) –Überlieferungen).

Die Verse von Lot und seinem Volk

Über den Propheten Lot sagte der Qur’ân:

Und (Wir leiteten) Ismael und Elisa und Jonas und Lot; sie alle zeichneten Wir aus unter den Völkern.

Koran 6:86

Wann lebte Lot?

Die Antwort auf diese Frage hilft bei der Prüfung, ob es vor Lot bereits Homosexualität nachweislich gab. Denn in der traditionellen Interpretation wird anderes behauptet. Direkt auf Lot bezogene Angaben enthielten die befragten Nachschlagewerke nicht, dafür jedoch Zeitangaben über seinen Zeitgenossen und Verwandten Abraham.

Abraham, Stammvater der Israeliten und Araber, aus Ur in Chaldäa; kam um 1800 v. Chr. nach Kanaan; bei Hebron begraben.

Das Herder-Bücherei Lexikon, Band 1, Spalte 3

Abraham, erster der drei at. [= alttestamentlichen] Erzväter, zog zwischen dem 19. und 17. Jh. v. Chr. aus Haran oder Ur nach Kanaan.

rororo lexikon, Duden-Lexikon, Taschenbuchausgabe, Seite 15

Ungefähr um 2000 v. Chr. bauten hier Abraham und sein Sohn Ismael zusammen im Namen Gottes einen Altar, der Ka’ba genannt wurde.

Syed Muzaffar-ud-Din Nadvi, A Geographical History of the Qur’ân, Seite 53

Nach Reclams Bibellexikon, Seite 310, ist Lot (arabisch: lûT) der „Brudersohn Abrahams, der mit ihm nach Kanaan zieht, sich in Sodom niederlässt und dem Gericht über die Stadt entkommt.“ Nach dem Qur’ân ist er zudem ein Gesandter Gottes (26:162) unter dem Volk, bei dem er lebt.

Der folgende Abschnitt soll alle wichtigen Aspekte der Geschichte von Lot und seinem Volk zusammenfassen, so wie der Qur’ân sie schildert. Das kann dabei helfen, die Umstände besser zu verstehen, unter denen Lot lebte. Um einen vollständigen Überblick darüber zu erhalten, sind die einzelnen Teile, die an verschiedenen Stellen des Qur’âns zu finden sind – teils verkürzt, teils ausführlicher -, die einander ergänzen bzw. Wiederholungen darstellen und zum Teil in einander verschachtelt berichtet werden, thematisch zu sichten und zusammenzufassen.

Hierbei ergeben sich folgende Hauptthemen:

  • Lot und Abraham
  • Lot und das Volk
  • Die Gesandten
  • Die Vernichtung des Volkes
  • Lots Geschichte im Vergleich zu der anderer Gesandter

Sie lassen sich wiederum weiter unterteilen. Im Folgenden werden die Verse, die sich auf die Geschichte Lots beziehen, in der angegebenen thematischen Aufteilung wiedergegeben, erforderliche Erklärungen und Zusammenfassungen werden jeweils eingeschoben.

Lot und Abraham

Abraham wurde von einem Anschlag seines Volkes gegen sein Leben errettet und ging mit Lot, der mit ihm auswanderte, in das Land, das Allah segnete.

Sie [das Volk] wollten eine List gegen ihn [Abraham] anwenden. Doch Wir machten sie zu den größten Verlierern. Und Wir erretteten ihn und Lot in das Land, das Wir für die Menschen in aller Welt [wörtlich: für alle Welten] segneten.

Koran 21:70-71

Und Lot glaubte ihm [Abraham], und er sagte: „Ich werde zu meinem Herrn auswandern [wörtlich: hijra machen]. Er ist der Mächtige, der Weise.“

Koran 29:26

Demnach wirkte Lot unter Menschen, zu denen er als Fremder kam, nachdem er seine Heimat verlassen hatte. Mit Bailey, einem anglikanischen Autor, muss man annehmen, dass Lot sich als Fremder in der Stadt, in der er sich danach niederließ und über die der Qur’ân berichtet, nur mit eingeschränkten Rechten leben durfte.

Lot und sein Volk

Lot empfing von Gott Weisheit und Wissen:

Und Lot gaben Wir Weisheit [Hukm] und Wissen [‚ilm], und Wir erretteten ihn aus der Stadt [al-qarya], die Schlechtigkeiten [chabâ’ith] beging. Sie waren ein böses Volk [qaum], Frevler [fâsiqîn]. Und Wir ließen ihn in Unsere Barmherzigkeit eingehen; denn er war einer der Rechtschaffenen.

Koran 21:74-75

Lot war Gesandter Allahs, und Lot rief das Volk zu gottesfürchtigem Leben auf und betonte, dass er für sein Wirken keine Entlohnung erwarte. Lot bezeichnet sich als rasûl amîn, als einen zuverlässigen Gesandten, als jemanden, der zuverlässig, vertrauenswürdig und ehrlich ist, laut E.W. Lane auch faithful, d.h. wahrheits- und wortgetreu und glaubwürdig. Mit anderen Worten: Er wird niemanden einer Tat beschuldigen, die dieser nicht begangen hat.

Und Lots Volk [qaum lûT] zieh die Gesandten der Lüge, da ihr Bruder Lot zu ihnen sprach: „Wollt ihr nicht gottesfürchtig sein? Denn ich bin euch ein zuverlässiger Gesandter. So fürchtet Allah und gehorcht mir. Und ich verlange von euch keinen Lohn dafür [, dass ich euch die Offenbarung übermittle]. Mein Lohn ist allein beim Herrn der Welten.“

Koran 26:160-164

Lot kämpfte gegen etwas Abstoßendes, das es bis dahin noch nicht unter Menschen gab. Daraufhin drohte das Volk ihm mit Vertreibung.

Und [Wir entsandten] Lot, da er zu seinem Volk sprach: „Wollt ihr etwas Abstoßendes begehen, worin keiner in aller Welt euch vorangegangen ist. Ihr kommt zu Männern bei einem Begehren, nicht [auch] zu den Frauen. Nein, ihr seid ein das Maß überschreitendes Volk [qaum musrifûn].“

Koran 7:80-81

Kommt ihr unter allen Geschöpfen zu Männern, und lasst unbeachtet, was euch euer Herr an euren Partnern erschaffen hat? Nein, ihr seid ein übertretendes Volk [qaum ‚âdûn].“

Koran 26:165-167

Und [Wir entsandten Lot], da er zu seinem Volk sprach: „Wollt ihr etwas Abstossendes begehen, während ihr seht? Kommt ihr denn zu Männern bei einem Begehren, nicht [auch] zu Frauen? Nein, ihr seid ein unwissendes Volk [qaum tajhalûn].“

Koran 27:54-55

Und [Wir entsandten] Lot, da er zu seinem Volk sprach: „Ihr begeht etwas Abstoßendes, worin keiner in aller Welt euch vorangegangen ist. Kommt ihr denn zu Männern und zerschneidet den Weg? Und in eurer Versammlung [nâdî-kum] begeht ihr Verwerfliches [munkar]?“ Doch die Antwort seines Volkes war nur, dass sie sprachen: „Bring uns Allahs Strafe, wenn du die Wahrheit sagst.“ Er sprach: „Mein Herr, hilf mir gegen das Volk, das Unheil anrichtet [mufsidîn].“

Koran 29:28-30

Über das Wort – nâdin – Versammlung – schreibt G. Lüling:

[…] der Stamm ndw [hat] ganz allgemein eine außergewöhnlich hehre, im profanen wie auch im religiösen Bereich erhabene Bedeutung. Während der IV. und V. Stamm fast ausschließlich eine profane Erhabenheit umschreibt (‚edel, großmütig sein, sich freigiebig zeigen‘), zeigt besonders der Sprachgebrauch des Qur’âns selbst, aber auch die alte arabische Poesie, dass die Stämme I und III ihren bevorzugten Platz in der religiösen Terminologie haben, als die Verben, die in Sonderheit für den feierlichen Aufruf zur Besinnung, zum Glauben stehen, auch für die Anrufung Gottes (z. B. 11,42; 21,83 und oft) […].

G. Lüling, Über den Ur-Qur’ân, Seite 63

Unter der ‚Versammlung‘ ist daher wenigstens eine Ratsversammlung, wenn nicht sogar eine religiöse Versammlung kultischen Inhalts zu verstehen. Die Worte ‚ihr … zerschneidet den Weg‘ können bedeuten, dass die Angesprochenen den Weg, d.h. die Verbindung nach außen, zu anderen Menschen außerhalb der Stadt unterbrechen; darauf weist auch, dass die Leute Lot daran erinnern, dass sie ihm den Kontakt zu anderen Menschen untersagt haben (s. 15:70). Sie können aber auch aussagen, dass das Volk den Handels- und Reiseweg, der an der Stadt vorbeiführt und den es auch später noch gibt (s. 15:76), unterbrochen haben. Zu dem Ausdruck ‚ihr … zerschneidet den Weg‘ schreibt Muhammad Ali:

[…] qaT’us-sabîl ist nach Kf [kassâf von abûl-qâsim maHmûd ibn ‚umar az-zamachscharî] ‚die Arbeit von Räubern, die Menschen töten und sich deren Eigentum aneignen‘. JB [jâmi’ul-bayan fî tafsîril-qur’ân von mu’înud-dîn ibn Sâfiyud-dîn] fügt nach den Wörtern taqta’ûna`s-sabîl als Erklärung hinzu: ‚Denn sie ermordeten gewöhnlich die Vorbeikommenden und beraubten sie ihres Eigentums‘. Andere Kommentatoren geben ähnliche Erklärungen.

Muhammad Ali, The Holy Qur’ân, Seite 766

Welche Art von Verwerflichem die Leute in ihren Versammlungen begehen, wird im Qur’ân nicht weiter ausgeführt, außer dass Lot dafür die Strafe Gottes angekündigt hat. Der Vorwurf kann sich einerseits auf die gemeinsame Vorbereitung und Planung ihrer schlechten Taten (z. B. Wegelagerei) und ihres Übereinkommens, das Gastrecht für Fremde nicht anzuerkennen, beziehen. Wenn man ‚Versammlung‘ andererseits im kultischen Sinne verstehen will, so kann sich der Vorwurf auf ein frevelhaftes Ritual beziehen, das sich nicht auf den Glauben an den einen Gott gründet.

Und die Antwort seines Volkes war nur, dass sie [die einen zu den anderen] sagten: „Treibt sie hinaus aus eurer Stadt [qarya]. Denn sie sind Leute [unâs], die sich rein halten.“

Koran 7:82

Doch die Antwort seines Volkes war nur, dass sie [die einen zu den anderen] sagten: „Treibt Lots Anhänger [âl lûT] hinaus aus eurer Stadt [qarya]. Denn sie sind Leute [unâs], die sich rein halten.“

Koran 27:56

Die Antwort der Leute ist recht ungewöhnlich. Sie sagen: „Treibt sie aus eurer (nicht aber: treiben wir sie aus unserer) Stadt“. Daraus kann man nur schließen, dass Unruhe entstanden ist und es starke Interessen gibt, Lot und seine Anhänger auszuweisen. Einige befürworten zwar eine solche Aktion, wollen die Verantwortung dafür aber nicht übernehmen, solange formale Handhaben gegen ihn fehlen. Sie fordern daher andere auf, dies zu übernehmen. Seine Anhänger werden von ihnen als Leute beschrieben, die sich rein halten wollen. Das ist sicher spöttisch gemeint, wenn auch offensichtlich unter Verwendung eines Ausdruck, den Lot und seine Anhänger selbst verwenden; denn die Menschen in der Stadt verstehen ihr Tun sicher nicht als unrein. Worauf sich der Ausdruck ’sich rein halten‘ neben der allgemeinen Bedeutung ’sich einer untersagten Sache enthalten‘ beziehen kann, wird ersichtlich, wenn man dessen Gebrauch in der frühen Zeit des Alten Testaments berücksichtigt. Unter dem Stichwort ‚rein und unrein‘ heißt es u. a. in Reclams Bibellexikon:

In frühen alttest. Texten bezieht sich ‘r.’ [= rein] und ‘u.’ [= unrein] auf Hygiene- und Speisevorschriften (Richt 13, 4; 2 Sam 11,4). Bei den Profeten sind ‘r.’ und ‘u.’ umfassende religiöse-sittliche Kategorien. Unrein macht vor allem der Kult fremder Götter (Hos 5, 3; 6, 10; oft bei Ezechiel, z.B. Ez 20, 7).“

Reclams Bibellexikon, Seite 424 f.

Der Zusammenhang der beiden Verse, in denen der Ausdruck ’sich rein halten‘ vorkommt, zeigt, dass es hier nicht um Hygiene- und Speisevorschriften geht, sondern darum, dass sich Lot und seine Anhänger nicht am Tun der anderen Leute beteiligen. Man könnte daher auch davon ausgehen, dass damit der Kult fremder Götter gemeint ist, von dem sie sich fernhalten, wie die Fruchtbarkeitsreligionen jener Zeit in Kanaan.

Sie sprachen: „Wenn du nicht ablässt, Lot, so wirst du zu den Vertriebenen gehören.“ Er sprach: „Gewiss verabscheue ich euer Tun. Mein Herr, rette mich und die Meinen [ahl] vor dem, was sie tun.“

Koran 26:167-169

Bis zu diesem Zeitpunkt haben die Bewohner der Stadt Lot offensichtlich gewähren lassen. Um sich für die Zukunft eine formale Handhabe gegen ihn zu verschaffen, greifen sie zu der Forderung, seine Aktivitäten einzustellen, und kündigen ihm für den Fall der Zuwiderhandlung die Vertreibung an. Damit machen sie ihm deutlich, dass sein Aufenthalt als Fremder nur unter einschränkenden Bedingungen geduldet wird.

Die Gesandten

Die Gesandten sind zuerst bei Abraham:

[Abraham] sprach: „Was ist euer Auftrag, ihr Gesandten?“

Koran 15:57

[Abraham] sprach: „Was ist euer Auftrag, ihr Gesandten?“ Sie sprachen: „Wir sind entsandt zu einem sündigen [mujrimîn] Volk, auf dass wir Steine aus Ton auf sie niedersenden, bezeichnet von deinem Herrn für die, die das Maß überschreiten.“

Koran 51:31-34

Sie sprachen: „Wir sind entsandt zu einem sündigen Volk, Lots Anhänger [âl lûT] ausgenommen; sie alle sollen wir erretten, bis auf seine Frau. Wir bestimmten es. Sie gehört zu denen, die zurückbleiben.“

Koran 15:58-60

Und da unsere Gesandten Abraham die frohe Botschaft [von der Geburt eines Sohnes] brachten, sprachen sie: „Wir werden die Bewohner dieser Stadt [ahl hâdihî`l-qarya] vernichten; denn ihre Bewohner [ahl] sind Missetäter [Zâlimîn].“ [Abraham] sprach: „Doch Lot ist dort.“ Sie sprachen: „Wir wissen sehr wohl, wer dort ist. Wir werden ihn und die Seinen [ahl] sicherlich retten bis auf seine Frau, die zu denen gehört, die zurückbleiben.“

Koran 29:31-32

Und als die Furcht von Abraham gewichen war und die frohe Botschaft zu ihm kam, da stritt er mit Uns über Lots Volk. Denn Abraham war milde, mitleidig und weichherzig. „O Abraham, steh ab davon. Denn der Befehl deines Herrn ist schon ergangen, und über sie kommt eine unabwendbare Strafe.“

Koran 11:74-76

Die Gesandten kommen zu Lot:

Und als die Gesandten zu Lots Anhängern [âl lûT] kamen, da sprach [Lot]: „Ihr seid Leute, die man [in unserer gefährdeten Lage besser] verleugnet [qaum munkarûn].“

Koran 15:61-62

M. Hamidullah übersetzt, Seite 242: „[…] des gens insolites […]“ – ungewöhnliche Leute; Max Henning, Seite 248, sagt: „[…] fremde Leute.“ Die Antwort der Gesandten aber ist: „Nein, im Gegenteil, […]“ und unterstützt diese Wiedergabe nicht: Die Gesandten sind Lot ja fremd und – wenn sie, wie allgemein angenommen wird – Engel sind – ungewöhnliche Leute.

Rudi Parets Wiedergabe, Seite 184: „[…] verdächtige Leute“, trifft von der Antwort der Gesandten her eher zu („Wir sind mit der Wahrheit gekommen“). Denn verdächtig sind sie in zweifacher Hinsicht:

  • Aus Sicht der Bewohner der Stadt, weil sie sich an Lot, einen Fremden, wenden und seine Gäste sind
  • Aus Lots Sicht, weil er äußerst vorsichtig sein muss und ihre Gegenwart seine Lage weiter verschärfen kann. Denn jeder Kontakt zu Fremden ist ihm untersagt (s. 15:70).

Die hier gewählte Übersetzung berücksichtigt eher die Wortbedeutung und die Antwort der Gesandten: „Nein, im Gegenteil [verleugne uns nicht …]“, und sie betonen, dass sie mit der Wahrheit gekommen sind und um ihn und die Seinen zu retten.

Nach H. Wehr, Seite 1313, bedeutet ankara: „Nicht kennen wollen (hu j-n), nicht wissen wollen (von e-r S.); nicht anerkennen, in Abrede stellen, leugnen; verleugnen (etw.) […] verwerfen, missbilligen […]“.

Sie sprachen: „Nein, im Gegenteil. Wir sind zu dir gekommen mit dem, woran sie zweifelten. Wir sind zu dir gekommen mit der Wahrheit; und gewiss, wir sind wahrhaftig. So mache dich auf mit den Deinen [ahl] in einem Teil der Nacht und folge ihnen [als letzter]. Und niemand von euch wende sich um, sondern geht, wohin euch geboten wird.“

Koran 15:63-65

Und als die Gesandten zu Lot kamen, war er ihretwegen besorgt und fühlte sich um ihretwegen hilflos und sprach: „Das ist ein schlimmer Tag.“

Koran 11:77

Und als Unsere Gesandten zu Lot kamen, war er ihretwegen besorgt und fühlte sich um ihretwegen hilflos. Sie sprachen: „Fürchte dich nicht. Denn wir sind hier, um dich und die Deinen [ahl] zu retten bis auf deine Frau, die zu denen gehört, die zurückbleiben. Denn wir werden über die Bewohner dieser Stadt [ahlu hâdihî`l-qarya] ein Strafgericht vom Himmel niedergehen lassen, weil sie sündigten [yafsuqûna].“

Koran 29:33-34

Das Verhalten des Volkes nach Ankunft der Gesandten:

Und sie suchten, ihn von seinen Gästen abwendig zu machen. Da blendeten Wir ihre Augen [und sprachen]: „Kostet nun Meine Strafe und Meine Warnung.“

Koran 54:37

Die Aussage des Qur’âns, dass die Leute Lot von seinen Gästen abwendig zu machen suchten, und die Betonung Lots, dass die Gesandten seine Gäste sind (15:68), vor denen sie ihn nicht beschämen sollen, stellt ganz klar, worum es dem Volk geht: Es will Lot dazu bringen, seinen Gästen das Gastrecht zu entziehen, und es will ihm damit ‚Schande antun‘ (15:68) und ihn ‚in Schmach stürzen‘ (15:69). Damit tritt es ein in jener Zeit fundamentales Recht des Fremden – besonders in Gebieten mit unsicheren Wegen und feindseligen Gruppierungen – mit den Füßen und folgt blind nur seinen gegen Lot gerichteten Absichten. Ebenso verweist die Stelle (11:79) auf das Gastrecht. Aus diesem Grunde betont auch Muhammad Ali im Zusammenhang mit 15:69 dies:

„[…] Lot war ein Fremder unter den Sodomitern und, wie der Vers zeigt, war es ihm vom Volk verboten worden, Fremde als Gäste aufzunehmen oder ihnen Schutz zu geben.“

Muhammad Ali, The Holy Qur’ân, S.515

Unter dem Stichwort ‚Gastfreundschaft‘ führt Reclams Bibellexikon über das Gastrecht in der Zeit des Alten Testaments folgendes an:

[…] Der Reisende war in der Antike vielfach auf die G. [Gastfreundschaft] angewiesen, die ihm unentgeltlich Unterkunft und Verpflegung bot. Sie zu verweigern galt als Schande […], sie zu verletzen als Frevel […].

Reclams Bibellexikon, Seite 154 f.

Und die Bewohner der Stadt [ahlu`l-madîna] kamen frohlockend.

Koran 15:67

Offensichtlich, weil sie glauben, Lot selbst habe ihnen einen Anlass geliefert, ihre Absichten ihm gegenüber zu verwirklichen.

Er sprach: „Das sind meine Gäste; so tut mir nicht Schande an. Und fürchtet Allah und stürzt mich nicht in Schmach.“ Sie sprachen: „Haben wir dir nicht ein Verbot hinsichtlich anderer Menschen [wörtlich: der Welten, d.h. außerhalb der Stadt] auferlegt?“

Koran 15:68-70

Auch hier wird wieder deutlich, dass die Absicht der Leute in dem hier geschilderten Fall sich in erster Linie gegen Lot richtet, von denen dieser daher für sich Schmach und Schande befürchtet, und die Anwesenheit der Fremden in seinem Haus lediglich ein wohlfeiler Anlass dazu ist. Die Leute erinnern Lot daran, dass eine der Auflagen, unter denen ihm und seinen Anhängern der Aufenthalt in der Stadt zugestanden worden ist, darin bestehe, dass er zu anderen Menschen von außerhalb der Stadt keine Kontakte haben darf. Dadurch, dass Lot die Gesandten aufgenommen und ihnen das ihnen zustehende Gastrecht gewährt hat, hat er dagegen verstoßen und befürchtet Böses („Das ist ein schlimmer Tag“, 11:78, ein Tag, der schlimme Folgen haben wird). Aber auch angesichts seiner bedrängten Lage bleibt er rechtschaffen und verstößt nicht gegen ein in der damaligen Zeit für Reisende lebenswichtiges Grundrecht, das Gastrecht. Er kann und will sich nicht dem ungesetzlichen Verhalten der anderen anschließen, sondern hat den Gesandten mutig Schutz und Obdach gewährt, um sie vor den Leuten, denen das Gastrecht nichts bedeutet, die es mit Füßen treten und Reisende wohl auch ausrauben (29:29), zu schützen.

Er sprach: „Dies sind meine Töchter [nehmt sie als Garanten für mein und meiner Gäste Wohlverhalten], wenn ihr etwas tun wollt.“ Bei deinem Leben, in ihrer Trunkenheit irren sie hin und her.

Koran 15:71-72

Und sein Volk kam zornbebend zu ihm gelaufen; und schon zuvor hatten sie Böses verübt. Er sprach: „O mein Volk dies hier sind meine Töchter; sie sind reiner für euch. So fürchtet Allah und bringt nicht Schande über mich in Gegenwart meiner Gäste. Ist denn kein vernünftiger Mann unter euch?“ Sie antworteten: „Du weißt recht wohl, dass wir kein Anrecht auf deine Töchter haben, und du weißt auch, was wir wünschen.“

Koran 11:78-79

Zu diesen Versen sagt Muhammad Ali:

„Lot, so zeigt es sich in 1 Mose 19, 9 war in der Stadt ein Fremder: ‚Ist da einer als Fremdling hierhergekommen und will schon den Richter spielen‘, und da die Gesandten [ebenfalls] Fremde waren, wollten die Stadtbewohner ihm nicht erlauben, sie zu beherbergen. Lot bot seine Töchter als Geiseln an, damit es ihm erlaubt würde, seine Gäste bei sich zu behalten; denn nach (15:70) besaß er nicht die Genehmigung, irgendeinen Fremden in sein Haus kommen zu lassen: ‚Haben wir dir nicht ein Verbot hinsichtlich anderer Menschen auferlegt?‘, d. h. ihnen Schutz zu gewähren. Das kann von der ständigen Gefahr von Stammeskämpfen herrühren. […].“

Muhammad Ali, The Holy Qur’ân, Seite 453

Die Aussage, dass Lot auf seine Töchter verweist, verstehen viele Kommentatoren als Argument für ihre Vermutung, dass das Volk (die Männer und Frauen) die Gesandten zur Befriedigung ihrer sexuellen Absichten von Lot fordert. Sie gehen davon aus, dass die Gesandten Engel in der Gestalt von Männern sind. Manche sagen, dass sie junge Männer, andere, dass sie gutaussehende junge Männer seien (z. B. Yusuf Ali, The Holy Quran, Band 1, Seite 649 zu 15:67; ibn kathir, Band 2, Seite 451 zu 11:69-73, Seite 453 zu 11:77-79, Seite 554 zu 15:61-64; Muhammad Asad, Seite 327 zu 11:77, S. 389 zu 15:67). Diese Annahme ist frühestens bei dem jüdischen Schriftsteller Josephus (37 oder 38 – nach 100 n. Chr.) nachweisbar, der damit einer Tendenz folgt, die außerhalb der Schriften des Alten Testaments, des rabbinischen Schrifttums und damit außerhalb der vorherrschenden religiösen Tradition des Judentums liegt und deren Ursprung nicht bekannt ist. Sie hat sich über die christliche Tradition bis zu den Muslimen erhalten.

Der Qur’ân sagt nicht ausdrücklich, dass die Gesandten Engel sind. Doch schließen die klassischen Kommentatoren es aus dem Wort ‚Gesandte‘, das auch für Engel verwendet wird (s. Muhammad Asad, Seite 325). Und nur unter dieser Voraussetzung sind die Verse (51:32-34) verständlich. Über das Aussehen oder das Alter der Gesandten gibt es im Qur’ân keinen Hinweis. Jede dahingehende Äußerung lässt sich nicht aus ihm ableiten und ist reine Spekulation.

Es ist kaum vorstellbar, dass Lot seine Töchter den Leuten überantworten würde, damit sie sie missbrauchten (ebenso wenig wie man es sich in Bezug auf den Propheten Muhammad (S.) und seine Tochter oder einen der anderen Propheten vorstellen kann). Nach dem Wortlaut des Alten Testaments, das von ’seinen Schwiegersöhnen, die seine Töchter heiraten wollten‘ (1 Mose 19, 14) spricht, hat Lot sie diesen schon versprochen.

Ebenso ist die Annahme, dass das Volk die Gesandten für sexuelle Ausschweifungen fordert, nicht aus dem Wortlaut des Qur’âns zu belegen. Zudem ist es unverständlich, warum die Leute nicht auch die anderen Männer unter Lots Anhängern, zumal die jungen und gutaussehenden, oder gar Lot selbst begehren, wenn sie tatsächlich so hemmungslos auf gleichgeschlechtliche Befriedigung den Gesandten gegenüber versessen waren. Weiterhin bleibt unverständlich, welchen Grund ein Teil des Volkes, nämlich die Frauen (qaum = Volk, d.h. die Männer und Frauen des Volkes), gehabt haben soll, sich diesem Ansinnen anzuschließen; dem Wortlaut nach gehören sie zum Volk.

Lots Verweis auf seine Töchter wird damit erklärt, dass

  1. Lot sie dem Volk zur Heirat anbietet, um die Leute von ihrem sexuellen Ansinnen gegenüber den Gästen abzuhalten
  2. Lot damit bedeuten will, dass Frauen die für das Volk angemessenen Geschlechtspartner seien.

Die erste Annahme würde zu keinem befriedigendem Ergebnis führen, weil nur wenige Männer (entsprechend der Zahl der Töchter) eine Ehe eingehen könnten. Vor allem aber verweist die Antwort der Leute (11:79) diese Ansicht in den Bereich der Spekulation; sie sagen: „Du weißt doch, dass wir kein Recht [= mâ la-nâ fî banâti-ka min Haqq, nicht: sexuelles Interesse] auf deine Töchter haben, und du weißt auch, was wir wollen.“

Hans Wehr gibt für das Wort Haqq in Verbindung mit der Präposition fî auf Seite 276 die folgenden Bedeutungen an: „Recht, Anrecht, Anspruch, Rechtsanspruch (fî auf).“

Soweit Lots Töchter unverheiratet sind, haben die Leute grundsätzlich ein Recht darauf, sie zu ehelichen. Nur in dem Fall, dass diese bereits verheiratet sind, haben sie es nicht und gibt ihre Antwort einen Sinn. Doch muss wohl ausgeschlossen werden, dass Lot ihnen seine verheirateten oder verlobten Töchter zur Ehe anbietet, weil er damit gegen Gebote Gottes verstoßen würde und seiner Aufgabe, die Menschen auf den rechten Weg zu führen, nicht gerecht werden würde.

Wir wissen nichts Näheres über die sozialen Verhältnisse und die Auswirkungen des Gastrechts zur Zeit Lots. Doch könnte man aus den Versen schließen, dass die Leute nach ihrem Rechtsverständnis Lots Töchter nicht ehelichen konnten, weil Lot bei ihnen das Gastrecht in Anspruch nahm und er und seine Anhänger damit nicht die vollen Bürgerrechte besaßen, was gegebenenfalls einen solchen Kontrakt ausschließen würde, oder dass die Leute einer anderen Religionsgemeinschaft angehörten als die von Lot vertretene, was eine eheliche Verbindung unter Umständen ebenfalls nicht zulassen würde.

Einige Kommentatoren (Hinweise gibt es dazu bei Muhammad Asad, Seite 327 zu 11:78; Muhammad Ali, Seite 453, u. a.) beziehen den Ausdruck ‚Töchter‘ auf die Frauen im Volk, da Lot als Gesandter im übertragenen Sinne deren Vater sei. Auch dadurch wird die Antwort des Volkes nicht verständlicher: Denn die Männer in ihm haben ein Recht – sicherlich auch nach Ansicht Lots -, Frauen zu ehelichen. Muhammad Ali zu dieser Frage zu 11:77:

[…] Eine andere Ansicht ist, dass Lot seine Töchter zur Heirat anbot, da er dadurch kein Fremder mehr unter ihnen sein würde, sondern einer von ihnen. Einige Kommentatoren haben vorgeschlagen, dass Lot nicht auf seine eigenen Töchter verwies, sondern auf die Frauen des Stammes, weil ein Prophet von den Frauen seines Stammes als von seinen Töchtern sprechen würde (Rz [= at-tafsîrul-kabîr von fachrud-dîn râzî], JB [= jâmi’ul-bayân fî tafsîril-qur’ân von mu’înud-dîn ibn Sâfiyud-dîn]), und in diesem Falle nur auf die natürliche Beziehung von Mann und Frau verwiesen hätte. Die Antwort seines Volkes scheint sich jedoch auf seine Töchter zu beziehen.

Muhammad Ali, Seite 453 f.

Ganz generell spricht gegen die Annahme, dass das Volk gegenüber Lots Gästen sexuelle Absichten hege, der Wortlaut des Qur’âns, der eine solche Aussage nicht macht. Damit entfällt auch die zweite oben angeführte Annahme. Zudem ist die Antwort der Gesandten an Lot (11:81): „Sie sollen dich [= Lot] nicht erreichen [mit ihren bösen Absichten]“, d. h. das Volk verfolgt gegenüber Lot bestimmte Absichten, nicht aber gegenüber den Gesandten. Wenn Lot vertrieben wird, kann er als Folge allerdings das Gastrecht gegenüber seinen Besuchern nicht ausüben. Deshalb fühlt er sich ihretwegen besorgt und hilflos (11:77).

Die naheliegendste Erklärung auf Grund des Wortlautes des Qur’âns ist sicherlich, dass Lot versucht, sein Wohlverhalten und das seiner Gäste mit dieser Geste zu bekräftigen und das Recht der Fremden auf Gastfreundschaft zu betonen, und er dabei an die Einsicht vernünftiger Menschen appelliert (11:78). Außerdem betont er mit dem Hinweis auf seine Töchter die Gleichwertigkeit von Frauen und Männern auch als Garanten.

Denn, wenn die Leute sagen, dass sie auf die Töchter Lots keinen Rechtsanspruch haben, als Lot sie ihnen als Austausch für die Sicherheit seiner Gäste anbietet, bedeutet das auch, dass die Frauen in ihren Augen nicht rechtsfähig sind, nicht als Garanten akzeptiert werden können, Frauen bei ihnen rechtlos, wenigstens von minderem Rechtsstatus sind.

Mit anderen Worten: Dass das Volk die Töchter nicht als Garanten akzeptiert, kann von daher nur bedeuten, dass der Status der Frauen in dem sozialen Verbund der Stadt außergewöhnlich gering ist. Mit ihnen kann Lot daher ihrem Rechtsanspruch auf Garanten oder Geiseln nicht genügen. Für diese Deutung spricht auch, dass die Leute bei Verfolgung ihrer materiellen Bestrebungen (= ‚Begehren‘) sie unbeachtet lassen und diese Geschäfte nur von Männern abwickeln lassen, obwohl Gott sie für sie als Gefährten und Partner erschaffen hat (26:165-166).

Es ist auch eine andere Erklärung möglich: Lot ist nur unter eingeschränkten Rechten ein Aufenthalt in der Stadt zugestanden worden. So ist es ihm untersagt, Kontakt mit Fremden außerhalb der Stadt aufzunehmen (15:70). Für die Bewohner der Stadt bedeutet das offensichtlich, dass er Fremden gegenüber auch nicht das Gastrecht ausüben darf. Aus ihrer Sicht kann er daher seine Zuwiderhandlung nicht dadurch folgenlos für sich machen, dass er auf seine Töchter als Garanten verweist, und sie lehnen es ab, auf seinen Vorschlag einzugehen, weil sie unter diesem Aspekt keinen Rechtsanspruch auf sie für sich ableiten können und wollen.

Und sein Volk kam zu ihm gelaufen; und schon zuvor hatten sie böse Taten [sayyi’ât] verübt. Er sprach: „Mein Volk, dies sind meine Töchter; sie sind reiner für euch. So fürchtet Allah und bringt mich nicht hinsichtlich meiner Gäste in Schande. Ist denn kein vernünftiger Mann unter euch?“

Koran 11:78

Das Volk kommt – wie schon früher – in böser Absicht zu ihm. Um seinen Gästen das Gastrecht zu sichern, bietet er seine Töchter als Garanten für das Wohlverhalten seiner Gäste mit der Begründung an, sie seien reiner als das Vorhaben, das den Fremden zustehende Gastrecht zu verletzen.

Sie sprachen: „Du weißt doch, dass wir kein Recht [ Haqq] auf deine Töchter haben, und du weißt, was wir
wollen.

Koran 11:79

Schon einmal haben sie ihm angedroht, ihn zu vertreiben, wenn er nicht von dem ablässt, was sie ihm untersagt haben.

Er sprach: „Hätte ich doch die Macht euch gegenüber, oder könnte ich mich nach einer starken Stütze wenden!“

Koran 11:80

Lot ist sich seiner gefährdeten Lage bewusst, als sein Versuch misslingt, die Leute zu besänftigen und die Einhaltung des Gastrechts für die Gesandten sicherzustellen. Selbst der Verweis auf seine Kinder, seine Töchter, und der Appell an vernünftige Männer im Volk führen zu nichts. In ihrer Blindheit wollen sie nicht auf Lots Angebot eingehen. Sie erinnern ihn daran, dass auch er wisse, was sie eigentlich von ihm wollen. Lot seinerseits weiß um seine schwache Position. Seine Äußerung: „Hätte ich doch die Macht euch gegenüber, oder könnte ich mich nach einer starken Stütze wenden!“ zeigt seine Hilflosigkeit ganz deutlich und führt den Leuten noch einmal vor Augen, dass er alleinsteht und daher der Auflage nachgekommen ist, von sich aus keine Kontakte zu Menschen außerhalb der Stadt aufzunehmen. Denn Unterstützung für sich und seine Mission kann er – wie die Situation sich darstellt – nicht in der Stadt finden, sondern nur außerhalb.

Und Wir ließen die Gläubigen, die dort waren, fortgehen. Allein, Wir fanden dort nur ein Haus von Muslimen. Und Wir hinterließen darin ein Zeichen für jene, die die qualvolle Strafe fürchten.

Koran 51:35-37

Lot und seine Anhänger, die Gläubigen bzw. Muslime, lebten in einem Haus zusammen. Vielleicht geschah es, weil die anderen sie dazu veranlassten und sie besser unter Kontrolle behalten wollten, sie gleichsam ghettoisieren wollten, vielleicht weil die Anhänger Lots selbst nur diesen Weg sahen, um einander besser zu beschützen und sich von dem Tun der anderen fernzuhalten. Und es zeigt, dass sie nur wenige Leute waren.

Sie sprachen: „Lot, wir sind Gesandte deines Herrn. Sie sollen dich nicht erreichen [mit ihren bösen Absichten]. So mache dich auf mit den Deinen [ahl] in einem Teil der Nacht, und niemand von euch wende sich um als deine Frau. Denn, was jene dort treffen wird, das wird sie [ebenfalls] treffen. Siehe, der Morgen ist ihre festgesetzte Frist. Ist der Morgen nicht nahe?“

Koran 11:81

Um Lot vor weiteren Bedrängnissen durch die Bewohner zu bewahren und ihn und die Seinen vor der Vernichtung zu retten, sollen sie die Stadt verlassen.

So mache dich auf mit den Deinen [ahl] in einem Teil der Nacht und folge ihnen [als letzter]. Und niemand von euch wende sich um, sondern geht, wohin euch geboten wird.

Koran 15:65

Die Vernichtung des Volkes

Und Wir verkündeten ihm diesen Ratschluss, dass die Wurzel jener abgeschnitten werden sollte am Morgen.

Koran 15:66

Und Lot war gewiss ein Gesandter, da Wir ihn und die Seinen [ahl] alle erretteten, bis auf eine alte Frau unter denen, die zurückblieben. Dann vernichteten Wir die anderen.

Koran 37:133-136

So erretteten Wir ihn und die Seinen [ahl] alle, bis auf eine alte Frau unter denen, die zurückblieben. Dann vernichteten Wir die anderen.

Koran 26:170-172

So erretteten Wir ihn und die Seinen [ahl] bis auf seine Frau; sie gehörte zu denen, die zurückblieben. Und Wir ließen einen gewaltigen Regen über sie niedergehen. Nun sieh, wie das Ende der Sünder war!

Koran 7:83-84

So erretteten Wir ihn und die Seinen [ahl] bis auf seine Frau; sie ließen Wir unter denen, die zurückblieben. Und Wir ließen Regen über sie niedergehen; und schlimm war der Regen den Gewarnten.

Koran 27:57-58

Alle Anhänger Lots folgen der Aufforderung, die Stadt zu verlassen. Nur seine Frau/eine alte Frau bleibt mit den anderen zurück. Die Erwähnung dieser Frau und die Tatsache, dass Frauen zu dem Volk gehören, zeigt zudem, dass der Grund für die Bestrafung des Volkes nicht in irgendwelchen homosexuellen Aktivitäten der Männer zu suchen ist, sondern in anderen Taten, denen sich diese Frau auch verbunden fühlt, so dass sie nicht mit Lot geht.

Das Volk Lots erklärte die Warnungen als Lüge. Da sandten Wir einen Sandsturm über sie außer über die Anhänger Lots [âl lûT], die Wir im Morgengrauen erretteten als eine Gnade von Uns. So belohnen Wir den, der dankbar ist. Und er hatte sie vor Unserer Strafe gewarnt, sie aber bezweifelten die Warnungen.

Koran 54:33-36

Als Unser Befehl eintraf, da kehrten Wir in dieser [Stadt] das Oberste zuunterst [ja’al-nâ ‚âliya-hâ sâfila-hâ] und ließen auf sie Steine aus Ton niederregnen Schicht auf Schicht. Gezeichnet [für sie] bei deinem Herrn. Und das ist nicht fern von den Frevlern [Zâlimîn].

Koran 11:82-83

Da erfasste sie der Schrei bei Sonnenaufgang. Und Wir kehrten das Oberste zuunterst [ja’al-nâ ‚âliya-hâ sâfila-hâ] und ließen auf sie Steine aus Ton niederregnen.

Koran 15:73-74

Und in der Morgenfrühe ereilte sie eine dauernde Strafe. „So kostet Meine Strafe und Meine Warnung.“

Koran 54:38-39

Und Wir haben davon ein klares Zeichen zurückgelassen für Leute, die verstehen.

Koran 29:35

Über die religiösen Verhältnisse in der Stadt wird wenig mitgeteilt. Jedoch zwei Verse im Anschluss an die Geschichte Lots in Sura 27 sind aufschlussreich:

Sprich [Muhammad]: „Aller Preis gebührt Allah, und Frieden sei über jenen seiner Diener, die Er auserwählt hat. Ist Allah besser oder die Götter, die sie [Ihm] an die Seite stellen? Wer hat denn Himmel und Erde erschaffen, und wer sendet Wasser für euch vom Himmel nieder, durch das Wir prachtvolle Gärten sprießen lassen? Ihr vermögt nicht, ihre Bäume sprießen zu lassen. Gibt es einen Gott neben Allah? Nein, sondern sie sind ein Volk, das [Ihm Götter] gleichsetzt [oder: das (vom rechten Weg) abweicht].“

27:59-60

Wenn man diese Verse in enger Verbindung zu der Geschichte Lots liest, weisen sie darauf hin, dass das Volk Götzendienst ausübte oder wenigstens von ihm im religiösen Leben stark beeinflusst war. Die Tatsache, dass der Qur’ân die Anhänger Lots als Gläubige und Muslime bezeichnet (51:35-36), nicht aber das übrige Volk, weist in die gleiche Richtung.

Lots Geschichte im Vergleich zu der anderer Gesandter

Die Zerstörung der Stadt, in der Lot eine Zeitlang lebte, war in der Menschheitsgeschichte kein einmaliges Geschehen und muss nicht die Folge irgendwelcher sexueller Missetaten gewesen sein wie andere Berichte im Qur’ân zeigen. Andere Städte und Völker wurden nach dem Qur’ân ebenfalls und aus anderen Gründen vernichtet und die Propheten und ihre Anhänger zuvor gerettet. In der 7. Sura, in der auch über Lot und sein Volk berichtet wird, heißt es z. B. über

  • Noah und sein Volk (7:64):
    Doch sie leugneten ihn, dann erretteten Wir ihn und die bei ihm waren in der Arche, und ließen jene ertrinken, die Unsere Zeichen verwarfen. Sie waren gewiss ein blindes Volk.
  • hûd und das Volk ‚âd (7:72):
    Sodann erretteten Wir ihn und die mit ihm waren durch Unsere Barmherzigkeit, und Wir schnitten den letzten Zweig derer ab, die Unsere Zeichen leugneten und nicht Gläubige waren.
  • SâliH und das Volk thamûd (7:76-78):
    Da sprachen die Hoffärtigen: „Wir glauben nicht an das, woran ihr glaubt.“ Dann erfasste sie das Erdbeben, und am Morgen lagen sie in ihren Wohnungen auf dem Boden hingestreckt.
  • schu’aib in madyân (7:91-92):
    Dann erfasste sie das Erdbeben, und am Morgen lagen sie in ihren Wohnungen hingestreckt. Jene, die schu’aib der Lüge beschuldigt hatten, wurden, als hätten sie nie darin gewohnt – sie waren die Verlorenen.

Dann heißt es über diese Städte:

Nie sandten Wir einen Propheten in eine Stadt, ohne dass Wir ihre Bewohner mit Not und Drangsal heimsuchten, auf dass sie sich demütigen mögen. Darauf verwandelten Wir den üblen Zustand in einen guten, bis sie anwuchsen und sprachen: „Auch unsere Väter erfuhren Leid und Freude.“ Dann erfassten Wir sie unversehens, ohne dass sie es merkten. Hätte aber das Volk der Städte geglaubt und wären sie rechtschaffen gewesen, so hätten Wir ihnen ganz gewiss vom Himmel und von der Erde Segnungen eröffnet. Doch sie bezeichneten [die Gesandten] als Lügner; so erfassten Wir sie um dessentwillen, was sie sich erwarben. Sind die Bewohner der Städte sicher, dass Unsere Strafe nicht über sie kommt zur Nachtzeit, während sie schlafen? Oder sind die Bewohner der Städte sicher, dass Unsere Strafe nicht über sie kommt zur Mittagszeit, während sie beim Spiel sind?

Koran 7:94-98

Dies sind die Städte, deren Kunde Wir dir gegeben haben. Ihre Gesandten waren zu ihnen gekommen mit deutlichen Zeichen. Allein sie mochten nicht an das glauben, was sie zuvor als Lüge bezeichnet hatten. Also versiegelte Allah die Herzen der Ungläubigen. Und bei den meisten von ihnen fanden Wir kein Worthalten, sondern fanden die meisten von ihnen als Frevler [fâsiqîn].

Koran 7:101-102

Ähnliches finden wir in der 11. Sura. Abschließend heißt:

Das ist von der Kunde der [bestraften] Städte, die Wir dir erzählen. Manche von ihnen stehen noch aufrecht da, und [manche] sind niedergemäht worden. Nicht Wir taten ihnen Unrecht, sondern sie taten sich selber Unrecht an; und ihre Götter, die sie statt/neben Allah anriefen, nützten ihnen ganz und gar nichts, als deines Herrn Befehl eintraf; sie mehrten nur ihr Verderben. Also ist der Griff deines Herrn, wenn Er die Städte erfasst, weil sie freveln [Zâlima]. Wahrlich, Sein Griff ist schmerzhaft und streng.

Koran 11:100-102

Zusammenfassung

Eine Reihe von Fragen, die der Bericht des Qur’ân aufwirft, müssen unbeantwortet bleiben. Es ist u.a. nicht klar,

  • warum Lot sich von Abraham trennt und gerade in diese Stadt geht,
  • warum er der ‚Bruder‘ (26:161) seines Volkes genannt wird, obwohl er ein Fremder unter ihnen ist
  • was mit ihm und seinen Anhängern nach der Vernichtung der Stadt und ihrer Bewohner geschieht.

Das Volk bzw. die Leute, bei denen Lot und seine wenigen Anhänger leben, sind die Bewohner einer Stadt, die im Qur’ân ungenannt bleibt und unter der man sich eine Art Stadtstaat mit einer Ratsversammlung vorzustellen hat. Der religiöse Hintergrund dieser Menschen wird aus den Aussagen Lots nicht deutlich. Lots Betonung, dass er für sich keinen Lohn – außer bei Allah – erwarte, lässt die Annahme zu, dass er dort bezahlte, für den sakralen Bereich zuständige Leute vorfindet. Darüber hinaus weisen die Verse im Anschluss an seine Geschichte auf eine Form des Götzendienstes.

Im Unterschied zum Alten Testament, das nur von den Männern spricht, verwendet der Qur’ân zur Bezeichnung von Lots Volk das Wort qaum, das im Zusammenhang mit Propheten jeweils die Männer und Frauen eines Volkes umfasst. Damit wird einer einseitig homosexuellen Interpretation der Geschichte von Lot weiterer Boden zu entzogen (es hat aber nicht verhindern können, dass Muslime sich des alten Interpretationsmusters bedienten). Auch wird dadurch der eigentliche Grund für Lots Verweis auf seine Töchter deutlicher hervorgehoben: Er bietet sie als gleichwertige Garanten für seine Gäste an.

Lot erklärt sich den Leuten als zuverlässigen Gesandten Gottes und ruft sie zur taqwa, Gottesfurcht, Rechtschaffenheit, auf und zum Gehorsam sich gegenüber. Er wendet sich gegen etwas Abstoßendes, das vor diesen Leuten noch niemand begangen habe, und er tadelt, dass sie alle bei einem ‚Begehren‘ zu den Männern kommen, nicht jedoch zu den Frauen. Außerdem sollen sie Vorüberziehende, d.h. Reisende überfallen und ausrauben, statt ihnen das Gastrecht zu gewähren. Verwerfliches begehen sie auch in ihren Versammlungen, indem sie dort Aktionen beschließen, die den damals akzeptierten Grundrechten zuwiderlaufen. Sie sind ein unwissendes, übertretendes, jedes Maß überschreitendes und Unheil anrichtendes Volk.

Lot wird von den Stadtbewohnern zum Lügner erklärt, was seine Mission betrifft. Er und seine Anhänger werden als ‚Leute, die sich reinhalten‘ wollen, bezeichnet. Das ist sicherlich spöttisch gemeint, gibt andererseits wohl auch das Selbstverständnis von Lot und den Seinen – den Muslimen bzw. Gläubigen – wieder und verdeutlicht, dass sie sich von den anderen in bestimmten Bereichen fernhalten.

Die Bewohner der Stadt bilden offenbar eine Gemeinschaft, die nicht tolerieren kann, dass es Widerstand gegen bestimmte Aspekte ihrer Lebensform gibt, so dass Lot mit seinen Anhängern nur die Möglichkeit bleibt, in einem Haus zusammenzuleben, wenn sie sich davon fernhalten wollen. Zur Aufrechterhaltung ihrer besonderen sozialen und/oder kultischen Verhältnisse beschuldigen die Leute Lot der Lüge.

Lots Wirken offenbart die unduldsame Haltung der Bevölkerung und führt dazu, dass die Leute einander anstacheln, ihn aus der Stadt zu vertreiben. Niemand will zunächst dafür die Verantwortung übernehmen, da der Anlass anscheinend nicht ausreichend für eine solche Maßnahme ist. Doch wird ihm – wohl um für die Zukunft nicht ohne formale Handhabe ihm gegenüber zu sein – jede weitere Aktivität unter Androhung der Vertreibung untersagt. Außerdem darf er keinen Kontakt zu Außenstehenden aufnehmen. Damit soll offensichtlich verhindert werden, dass er Unterstützung und Schutz außerhalb der Stadt sucht. Als Folge dieser Maßnahmen macht sich jeder Fremde verdächtig, der sich an ihn wendet oder gar als Gast zu ihm kommt. Diese Situation legt Lot äußerste Umsicht und Vorsicht im Umgang mit Fremden auf; denn jeder Besucher kann seine Lage unhaltbar machen.

Er befindet sich in einer schier ausweglosen Lage: Verhält er sich ruhig entsprechend den Auflagen der Stadt, so wird er seiner Aufgabe als Gesandter Gottes nicht gerecht, die Menschen zum rechten Weg aufzurufen. Setzt er hingegen seine Arbeit offen fort, so gefährdet er seine Sicherheit und die seiner Anhänger; und wird er infolgedessen vertrieben, so kann er ebenfalls seine Aufgabe bei diesen Menschen nicht mehr erfüllen. Unter diesen schwierigen Gegebenheiten kommen die Gesandten zu ihm. Er kann und will ihnen das ihnen zustehende Gastrecht nicht vorenthalten und nimmt sie auf. Ihm sind die Folgen bewusst, sagt dies auch seinen Gästen und erklärt ihnen seine Hilflosigkeit in dieser gefährdeten Lage.

Froh über diesen ‚Verstoß‘ gegen ihre Auflagen kommen die Bewohner der Stadt zu ihm geeilt und wollen ihre Absichten ihm gegenüber verwirklichen. Zunächst suchen sie ihn zu veranlassen, sich von seinen Gästen abzuwenden und ihnen das Gastrecht zu entziehen, und wollen ihn auf diese Weise bloßstellen und in Schande stürzen. Denn gibt Lot nach, so setzt er sich vor seinen Gästen ins Unrecht, straft vor allen Leuten seinen Anspruch Lügen, ein zuverlässiger, vertrauenswürdiger Gesandter zu sein, und bestätigt damit den Vorwurf, ein Lügner gegenüber seiner Mission zu sein. Weigert er sich, muss er mit den angekündigten Gegenmaßnahmen rechnen. In dieser ausweglosen Situation versucht er, die Leute zum Einlenken zu bewegen, zumindestens die vernünftigen unter ihnen, verweist auf seine Töchter und bietet sie als Garanten für sein und seiner Gäste Wohlverhalten an. Doch die Leute sind blind und trunken angesichts dieser günstigen Gelegenheit, sich seiner zu entledigen. Sie sehen nur die formalen Aspekte von Lots Verstoß, nicht aber die Unrechtmäßigkeit ihres eigenen Verhaltens. Sie lehnen folglich seinen Vorschlag ab und verweisen darauf, dass sie keinen Anlass sehen, aus seinem Verstoß gegen ihr Verbot ein Recht auf seine Töchter abzuleiten.

Die Gesandten hingegen versichern Lot, dass die Bewohner der Stadt ihn mit ihren Absichten nicht erreichen werden, sondern er sich zuvor von sich aus mit den Seinen aus der Stadt entfernen soll. Dann wird sie mit allen verbliebenen Bewohnern vernichtet.

Die Verse über Lot und sein Volk und der Sodom-Mythos

Unter dem Sodom-Mythos wird hier die unter Christen und Muslimen gängige Vermutung verstanden, dass Lot bei einem Volk lebte, in dem die Männer durchweg homosexuell gewesen seien, eine Annahme, die unter Berücksichtigung von Evolution und Biologie absurd ist. Diese Situation könnte daher nur durch ein „Wunder“ entstanden sein, ein Begriff, den der Qur’ân nicht kennt. Und ein „Wunder“ könnte ja nur von Allah veranlasst worden sein, und damit wären die Männer für ihr Verhalten nicht verantwortlich.

Wie ist es möglich, dass – wie die Sodom-Mythos-Anhänger annehmen – der männliche Teil der Bevölkerung homosexuell gewesen sei? Homosexualität ist nach allem, was wir wissen, keine Krankheit, die vielleicht durch Viren, Pilze, Bakterien oder andere Erreger übertragen werden könnte. Die Antwort darauf ist für Muslime, die der traditionellen Interpretation folgen, besonders schwierig: Sie gehen gemäß ihrer Qur’ân-Interpretationen davon aus, dass es zuvor keine Homosexualität gegeben habe. Wie entstand diese Homosexualität? Über veränderte Erbeigenschaften bei einem Individuum, vielleicht sogar dominante? Es würde selbst dann eine Unzahl Generationen dauern, bis sie sich durchgesetzt hätte, zumal zudem homosexuelle Männer andere Männer als Geschlechtspartner vorziehen, so dass eine Weitergabe dieser Eigenschaft sehr spärlich sein würde. Und woher kamen die Frauen, von denen der Qur’ân spricht? Und wie konnte die Bevölkerung eine Stadt füllen – sie müsste eigentlich allmählich ausgestorben sein? Und Homosexualität müsste zudem mit der Vernichtung dieser Stadt beendet sein.

Über die Lage oder Überreste der Stadt Sodom gibt es keine wissenschaftlichen Erkenntnisse. Im Archäologisches Bibel-Lexikon heißt es dazu:

Die Versuche S. [= Sodom] zu lokalisieren, blieben bislang ohne Erfolg. Es wurde am Süd- oder Nordende des Toten Meeres vermutet und sogar auf seinem Boden. Der Name „S.“ hat sich in dem arabischen Gebel Usdum, einem Bergrücken aus Salz nahe dem Südwestufer des Toten Meeres erhalten.

Archäologisches Bibel-Lexikon, Hrsg. Avraham Negev, S. 412

Mit anderen Worten: Wir wissen nichts über die Stadt, und da selbst ihre Lage unbekannt ist, gibt es auch keine Schrift- oder sonstigen Funde, die über das soziale Leben Auskunft geben könnten. Was über sie und ihre Bewohner später erzählt wurde, ist damit nichts als bloße Spekulation. Die älteste Bezugnahme auf Lot und seine Stadt ist im Alten Testament der Bibel zu finden. Im Neuen Testament spricht Jesus nur von der fehlenden Rücksichtnahme auf das Gastrecht dort (Matthäus 10,11–15, Matthäus 11,23–24, Lukas 10,10–12).

Die Vorstellung, dass die Bevölkerung in Lots Stadt homosexuelle Wünsche an Lots Besucher richtete, erwies sich als eine sehr phantasievolle, aber falsche Interpretation eines einzigen Wortes in nur einem Vers im 1. Buch Mose (1 Mose 19, 5, = Gen. xix. 5, siehe Derrick Sherwin Bailey, Homosexuality and Western Christian Tradition, 1955, auf Seite 1-8). Bailey (1910 – 1984) war ein Anglikanischer Theologe mit überzeugenden und klaren linguistischen und kontextuellen Argumenten. Er erwähnt auch, dass alle Bezugnahmen auf Lots Stadt in den anderen Büchern des Alten Testaments nie von einem sexuellen Fehlverhalten der Menschen in Lots Stadt sprechen. In der englisch-sprachigen Wikipedia heißt es u.a. über Bailey:

… Anerkannt als führender Experte der Kirche für Sexualethik, … halfen Baileys Schriften der Church of England, auf die theologische Frage der Homosexualität, auf die Homosexuellen selbst sowie auf die Gesetze Englands zu reagieren. Diese Periode von 1954 bis 1955 im Moral Welfare Council lieferte wichtige konzeptionelle Leitlinien für spätere Diskussionen über Homosexualität, nicht nur in der Church of England, sondern im gesamten Christentum.

Wikipedia

Zu diesem Vers sagt Bailey:

Der Vers, der bisher oft als Hinweis auf homosexuelles Ansinnen verstanden wurde, ist 1 Mose, 5: 5 Sie riefen Lot und sagten: ‚Wo sind die Männer, die heute abend zu dir gekommen sind? Bringe sie zu uns heraus, damit wir sie erkennen!‘

Die herkömmliche Auffassung von der Sünde Sodoms […] rührt von der Tatsache her, dass das Wort, das hier mit ‚erkennen‘ (yâdha‘) übersetzt ist, ‚geschlechtlich verkehren‘ bedeuten kann. Ist das in diesem Passus gemeint?

Das [hebräische] Verb yâdha‘ kommt sehr häufig im Alten Testament vor [in der Fußnote: Nach F. Brown, S. R. Driver und C. A. Briggs, A Hebrew and English Lexikon of the Old Testament (Oxford, 1952), 943 mal], doch mit Ausnahme dieses Textes und seiner unzweifelhaften Ableitung in Richter 19,22 wird es nur zehnmal (ohne Einschränkung) gebraucht, um Geschlechtsverkehr zu bezeichnen [in der Fußnote: 1 Mose 4, 1, 17, 25; 19, 8; 24, 16; 38, 26; Richter 11, 39; 19, 25; 1 Samuel 1, 19; 1 Könige 1, 4.]. In Verbindung mit mishkâbh, das in diesem Zusammenhang den Vorgang des Liegens bezeichnet, kommt yâdha‘ an fünf weiteren Stellen vor [in der Fußnote: 4 Mose 31, 17, 18, 35; Richter 21, 11 […], 12 […] ]. Auf der anderen Seite findet man shâkhabh (von dem mishkâbh herkommt) etwa fünfzigmal in der Bedeutung ‚liegen‘ im geschlechtlichen Sinne. Während yâdha‘ sich immer auf heterosexuellen Geschlechtsverkehr bezieht (wenn man zunächst die kontroversen Stellen 1 Mose 19, 5 und Richter 19, 22 außer Betracht lässt), wird shâkhabh überdies sowohl für homosexuellen Geschlechtsverkehr als auch den mit Tieren verwendet zusätzlich zu dem zwischen Mann und Frau.

So findet man yâdha‘ also nur ausnahmsweise im geschlechtlichen Sinne gebraucht […]. Linguistische Betrachtungen allein unterstützen daher [… die Ansicht], dass es hier nichts weiter als ‘kennenlernen’ bedeuten kann. Warum wurde dann aber eine anscheinend vernünftige Forderung auf so heftige Art und Weise vorgebracht? Was für eine Schlechtigkeit war es, die Lot erwartete und von der er die Sodomiter abbringen wollte? […] Unsere Unkenntnis der lokalen Gegebenheiten und sozialen Verhältnisse lässt uns keine andere Möglichkeit als die Motive zu erraten, die dem Verhalten der Sodomiter zugrunde liegen; da aber yâdha‘ meistens ‘kennenlernen’ bedeutet, kann die Forderung, die Besucher, die Lot bewirtete, ‘zu erkennen’, gut einen ernsthaften Bruch der Regeln des Gastrechts [wörtlich: hospitality = Gastfreundschaft] eingeschlossen haben. […]

Derrick Sherwin Bailey, Homosexuality and the Western Christian Tradition, S. 2

Spricht der Text des Qur’âns für oder gegen den Sodom-Mythos?

In keinem Vers über Lot und sein Volk wird gesagt, dass das sexuelle Interesse der Männer im Volk homosexuell ist oder sich auf Lots Gäste richtet. Jedoch ergänzen die muslimischen Anhänger des Sodom-Mythos beim Lesen einiger Verse des Qur’âns diese entsprechende Vorstellungen ziemlich willkürlich. Im Gegenteil, an allen vier Stellen, in denen Lot sein Volk tadelt, stehen als Einleitung zum Zitat von Lot dieselben Worten: „und (gedenke) Lots, als er zu seinem Volk (allen Männern und Frauen) sprach“,

“wa lûTan id qâla li-qaumi-hi” (و لوطا اذ قال لقومه)

„und (gedenke) Lots, als er zu seinem Volk (allen Männern und Frauen) sprach“,

In mehreren Koranversen

Es wird in diesem Vers unübersehbar gesagt, dass Lot zu „seinem Volk“ sprach, den Männern und Frauen unter ihnen. Somit werden beide Gruppen mit denselben Worten Lots getadelt werden. Welchen Sinn macht der Vorwurf, dass die Frauen zu den Männern kommen und nicht zu den Frauen? Sollen sie statt zu den Männern zu den Frauen kommen? Hieraus wird deutlich, dass hier kein sexuelles Verhalten gemeint sein kann. Denn das wichtigste Prinzip bei der Interpretation des Qur’âns ist, dass die Bedeutung aus dem Qur’ân heraus gesucht werden sollte und niemals eine Passage so interpretiert werden sollte, dass sie im Widerspruch zu anderen steht.

Der Einfluss der mawâlî (konvertierte Christen und Juden) auf die Muslime

In der Literatur finden wir einige eindrucksvolle Beschreibungen über deren zahlreichen Aktivitäten in der Frühzeit der muslimischen Geschichte.

„Die Clienten [= mawâlî] verstanden es in der That, die Araber zu überholen, denn sie waren die ersten, welche die gelehrten Studien pflegten und sich hiedurch ein immer zunehmendes Ansehen errangen. Sie aktivirten mit besonderer Vorliebe die theologischen und juridischen Studien und vermittelten den Import fremder Ideen in den Islam. So kam durch jüdische Proselyten die so sehr an den Talmud erinnernde Gewohnheit des Commentirens des heiligen Buches, die Vorliebe für die Tradition und deren Sammlung, der spitzfindige in Kleinigkeiten so gerne sich breit machende und wichtig thuende Ton der Schulmeisterei in die arabische Literatur.“

Alfred von Kremer, Kulturgeschichte des Orients, Band 2, Seite 158 f.

„Seit langem ist bekannt, wie kräftig die Entwicklung hebräischer Philologie unter den Juden im Mittelalter durch das Vorbild arabischer Grammatiker stimuliert wurde, und wie tief die muslimische Theologie und Philosophie das jüdische Denken jener Periode beeinflußte. Dass der Prozeß, der weit davon entfernt war, einseitig zu sein, wechselseitig war, dass der Mohammedanismus vom Judentum wenigstens ebenso viel erhielt wie er ihm gab – und wir sprechen hier nicht vom biblischen Judentum, sondern in erster Linie von seiner rabbinischen Erweiterung jenes unermeßlichen Überbaus von Gesetz und Legende, der auf den hebräischen Schriften beruhte, der in der Literatur des Talmud [religionsgesetzliches Sammelwerk] und Midrasch [erbauliche Auslegungen alttest. Bücher durch jüdische Schriftgelehrte vom 2. bis 6. Jh. n. Chr.] eingeschlossen ist. […] Einiges wenigstens hat eine deutliche christliche Färbung und muß in den Gesichtskreis der Muslime durch die Schriften des Klerus der Syrischen Kirche gekommen sein, der es seinerseits von den Juden übernahm. Es bleibt jedoch genug, das man nur als das Ergebnis persönlichen Kontakts mit Juden erklären kann, von denen es während des neunten und zehnten Jahrhunderts der üblichen Zeitrechnung, dem goldenen Zeitalter der arabischen Kultur, eine breite, fest gegründete und gut informierte arabisch sprechende Gemeinschaft im Zentrum der mohammedanische Zivilisation gab, nämlich im Irak und insbesondere in seiner Hauptstadt, dem Sitz des Kalifats Bagdad, wo man leicht von den maßgeblichen Vertretern und Interpreten des Judentums die erforderlichen Informationen über seine Überlieferungen erhalten konnte. […] Die mohammedanischen Legenden über biblische Gestalten können daher nicht als das Resultat eines unabhängigen Studiums des Alten Testaments seitens der Muslime entstanden sein, sondern sie müssen körperlich von rabbinischer Überlieferung übernommen worden sein. Dass die Autorität der Juden im Hinblick auf diese Überlieferungen den Muslimen uneingeschränkt akzeptabel war, wird ausdrücklich in fast allen Werken mohammedanischen Hadîths festgestellt, und dass jüdische Gelehrte zu diesem Zweck konsultiert wurden, wird durch Tabari und andere bezeugt. […].“

Samuel Rosenblatt, Rabbinic Legends in Hadîth, The Moslem World 35 (1945), Seite 237-252, auf Seite 251-252

[…] Von Anfang an waren Juden, die in den Schriften bewandert waren (‚Habr‘ [Pl. ‚aHbâr‘] = hebräisch ‚Haber‘), von großer Bedeutung, für solche Details zu sorgen; […].

Diese aHbâr nehmen eine wichtige Position auch als Quelle für Informationen in Bezug auf den Islam ein. Es soll hier genügen, auf die vielen Lehren in den ersten beiden Jahrhunderten hinzuweisen, die unter den Namen ka’b al-aHbâr (st. 654) und WAHB IBN MUNABBIH (st. circa 731) aufgezeichnet sind. An erster Stelle verdankt der Islam diesen Quellen seine Ausarbeitung biblischer Legenden; viele dieser Ausarbeitungen sind in den kanonischen Hadîth-Werken enthalten. […]

Der Islam entlieh im Laufe seiner Entwicklung auch eine große Zahl gesetzlicher Vorschriften aus der jüdischen Halacha [religionsgesetzliche Vorschriften für Lebenswandel, Kultus und Ritus]. Die Bedeutung, die der ’niyya‘ (= ‚intentio‘) beigelegt wird bei der Ausübung der gesetzlichen Vorschriften, ruft auf den ersten Blick die Erinnerung an die rabbinische Lehre über ‚kawwanah‘ wach, auch wenn nicht alle Einzelheiten übereinstimmen. Die mohammedanischen Vorschriften, die das Schlachten betreffen, jene, die sich auf die persönlichen Qualifikationen des ‚Sohet‘ (arabisch: ‚DâbiH‘) beziehen, ebenso wie jene in Bezug auf die Einzelheiten des Schlachtens, zeigen klar den Einfluß der jüdischen Halacha, wie ein Blick in Gesetzbücher selbst beweist […]

The Jewish Encyclopedia, Band VI, Seite 656, unter dem Stichwort ‚Islam‘

[…] Die isrâ’îliyyât, d.h. Traditionen, in denen jüdischer Einfluß erkennbar ist. Der allgemeine orthodoxe Standpunkt ist, so lange wie die isnâde als gesund erklärt werden, dass Muhammad diese Äußerungen getan haben muss. Stets wird an diesem Punkt die Toleranz des Islams gegenüber den anderen monotheistischen Religionen betont. Andererseits haben Gelehrte, die den Hadîth einer erneuten Kritik unterziehen wollen, darauf hingewiesen, dass die zwei wichtigsten Übermittler von isrâ’îliyyât, ka’b al-aHbâr und wahb b. munabbih, auf subversive Weise versuchten, den Islam zu unterminieren, indem sie jüdische Elemente in seine Glaubensanschauungen einführten.“

G.H.A. Juynboll, The Authenticity of the Tradition Literature, Discussions in Modern Egypt, Seite 14

[…]

Die Verse über Lot und sein Volk ohne Berücksichtigung des Sodom-Mythos

Der Sodom-Mythos ist nichts weiter als eine Art Fabel, phantasievolle Erfindung, auf die sich die Generation der mawâlî als ehemalige Christen und Juden stützte. Diese Worte sind eine zu schwache Basis als Argument in einer Interpretation. So können wir uns nur an die Worte des Qur’âns halten. Die mawâlî, frühere Christen und Juden, die viele Jahrhunderte nach Lot lebten, bildeten sehr schnell die Mehrheit unter den frühen Muslimen. Sie wussten von den Zuständen in Lots Stadt genau so wenig, wie wir heute, da alle historischen Belege darüber fehlen.

Ein weiterer Hinweis, dass die Geschichte von Lot und seinem Volk nicht von Homosexualität handelt, sind die Worte im Qur’ân:

Und (gedenke) Lots, da er zu seinem Volk [qaum] (, den Männern und Frauen), sprach: Wollt ihr etwas Abstoßendes [al-fâHischa] begehen, worin keiner in aller Welt euch vorangegangen ist. Ihr kommt zu den Männern und zerschneidet den Weg? Und in euren Versammlungen begeht ihr Verwerfliches [al-munkar]?

Koran 29:28

Generell nimmt man die Lebenszeit Abrahams – und damit Lots – zwischen 2000 v. Chr. und dem 14./15. Jahrhundert vor Chr. an. Wir haben historische Beweise, Texte, über Menschen vor Lot, die homosexuelle Beziehungen miteinander hatten (Encyclopedia of Homosexuality, Stichwort “Egypt, Ancient”). Auch diese Offenbarung Allahs spricht vor dem Hintergrund der historischen Belege gegen eine sexuelle Deutung.

Worum geht es im Tadel von Lot seinem Volk gegenüber?

Das Abstoßende, das Lot bei dem Verhalten der Männer und Frauen rügt, ist ein historisches Faktum, das es bei anderen Menschen vor Lots Volk noch nicht gab. Es ist ein historisch erstmaliges, sozial einzustufendes Phänomen, das nichts mit sexuellem Verhalten zu tun hat, sondern mit der Rechtlosigkeit und der untergeordneten Rolle der Frauen, die von allen Männern und Frauen als gegeben akzeptiert wird, so dass von beiden Gruppen nur Männer bei wichtigen Angelegenheiten (schahwa) konsultiert werden.

So bot Lot seine Töchter dem Volk an als Garanten für das Wohlverhalten seiner Gäste. Aber das Volk (die Männer und Frauen) wies sie zurück mit den Worten, dass es keinen Haqq (حق = Recht, Anspruch) auf sie hätte (11:79), sie sagen nicht: Kein sexuelles Begehren/Verlangen. Das bedeutet, dass es hier um eine Frage von rechtlicher Bedeutung geht, nicht um sexuelle Wünsche. Lot zeigte durch sein Angebot, dass Frauen den Männern gleichwertig sind, sogar in dieser speziellen Situation.

Auszug (S. 1-27) aus der Kurzversion zu Islam und Homosexualität gemäß dem Qur’ân und den authentischen Hadîthen (الاحاديث الصحيحة)

Die Liebe Gottes von Justin Lowery

Gott erschuf uns aus unbeschreiblicher Liebe

Gott erschuf uns Menschen aus unbeschreiblicher Liebe.

Wer liebt, möchte zurück geliebt werden, natürlich ohne Zwang und aus freien Stücken bzw. freiem Willen. Das ist etwas, was wir wissen und fühlen können. Diese Art der Liebe bedeutet, auch die völlige Absicht zu erlernen, sich aus Liebe hinzugeben in allem.

Durch Liebe erlauben wir alles. Diese Liebe ist dann wahrhaftig ohne Grenzen. Diese Liebe ist völliges Vertrauen, alles mit sich geschehen zu lassen: Sich für die Liebe opfern, alles geschehen lassen.

Wer Gott liebt, lässt alles zu, was in seinen geschriebenen Worten steht, die zusammengetragen wurden durch den Verkünder, seinen Propheten. Diese Worte dürfen nicht missverstanden werden. Der lebendige Sinn geht sonst verloren. Der Sinn ist das Verstehenwollen aus der damaligen und auch in der heutigen Zeit, auf alle Anwendungen im Leben, zu lernen und immer wieder neu zu lernen.

Das Leben ist vielfältig, dadurch findet sich ein vielfältiges Verstehen aus der Lesung wieder und ist immer wieder neu und lebendig. Gottes Wort ist lebendig. Es ist nicht monoton oder einseitig. Deswegen darf das Verstehen nicht einseitig sein oder von Menschen dazu gebracht werden durch Menschenworte, die Lesung so zu verstehen, wie sie es gerne hätten.

Die Liebe Gottes von Justin Lowery

Foto von Justin Lowery, CC-BY-ND 2.0

Tief gläubig kann nur der Forschende sein, nicht derjenige, der meint, viel zu wissen, sondern derjenige, der sagt, Gottes Worte sind immer lebendig und immer neu zu verstehen, um den Sinn auf alles im Leben zu erfassen. Denn Gottes Wort steht nicht still, sowie auch der Verstand nicht stillsteht – außer man will, dass der Verstand stillsteht. Dann kann das Wort Gottes für einen stillstehen und der lebendige Sinn schläft.

Das einfachste Prinzip, es bestmöglich immer so zu verstehen, ohne sich neue Gesetze zu machen, ohne neben Gott etwas beizugesellen, scheint unter den Gläubigen zu Gott sehr schwer zu sein.

Dort wo die Zeit stillsteht unter den Traditionen, ist Stillstand. Es ist keine Lebendigkeit zu erkennen, in ihren Worten, Handlungen und Gesetzen.

Ich bedauere es zutiefst, dass Gottes Wort verändert wurde. Nicht wegen der Menschen, die mein Mitleid haben, und Gott – allwissend – sieht auch das Verborgene in uns, denn einzig Gott, dem Allmächtigen, gebührt unsere Ehrfurcht, unsere Dankbarkeit und unsere Liebe.

Sie lieben und lehren lieber nach ihren von Menschenhand geschaffenen, erfundenen Gesetzen und dem Glauben, den sie sich selber beigebracht haben. Dieses tiefe Verständnis, Liebe zu erlernen, es zu wollen, diese größer werdende Ehrfurcht, es geschieht nur bei wachem Verstand und mit einem Herzen, das benutzt werden kann, ohne Unterbrechung, um nicht weggeleitet zu werden.

Es ist Mühe, harte Arbeit und auch Schmerz, religiöse Bildung aus dem Anfang geradeaus gestalten zu wollen, denn fast jeder will dich auf den Irrweg bringen, auch mit guten Absichten, die aber nur einen Irrweg darstellen, im Vergleich zu Gottes geschriebenem Wort.

Natürlich weiß es Gott besser.

Schlüssel zum Verständnis des Koran: Beispiel 4 – Buch und Weisheit: Eine Einheit

3:81 Und als Gott den Bund der Propheten annahm für das, was ich euch an Schrift und Weisheit brachte, kam darauf zu euch ein Gesandter, das bestätigend, was mit euch ist. So glaubt an ihn und helft ihm. Er sagte: Habt ihr zugestimmt und diesbezüglich meine Bürde angenommen? Sie sagten: Wir haben zugestimmt. Er sagte: So bezeugt und ich bin mit euch unter den Bezeugenden

 

Es ist leider so, dass ein erheblicher Großteil der Sunniten und Schiiten glaubt, dass einerseits mit „Schrift“ das Buch, also die Lesung selbst gemeint sei, andererseits die Weisheit etwas anderes sei, was wir erst durch die Aussprüche in den Ḥadīṯ-Büchern erfahren könnten. Dies ist ein wichtiger Punkt, denn hier begründet sich die theologische Argumentation vieler klassisch-orthodoxer Sunniten oder Schiiten und ihren Anhängern, die damit der Tradition Gewicht verleihen möchten. Diese Tradition beinhaltet unter anderem auch die Steinigung, die Apostasie-Strafe für Abfällige von der Religion, die Sklaverei, die Unterdrückung der Frau und viele weitere Abscheulichkeiten. Deshalb müssen wir diesem Missbrauch der Verse aus der Lesung Einhalt gebieten.

Dass diese Idee, die Weisheit sei in der traditionellen Sunna, auf einem Fehlverständnis der Lesung beruht, werde ich im Anschluss gleich zeigen. Leider hat dies alles damit angefangen, dass ein mittelalterlicher Gelehrter, nämlich Asch-Schāfiʿī meinte, er müsse die auf Vermutungen, Lügen und Hörensagen begründeten Überlieferungen zu einer Offenbarung (waḥiy) erheben, um so der angeblich prophetischen Sunna Legitimität zuschreiben zu können. Diese Leute des Hadīṯ (ahlu-l-ḥadīṯ) waren dermaßen überzeugt von ihrer eigenen Ansicht und sehr aggressiv, dass sie diese Überlieferungen, welche dem Propheten angedichtet wurden, faktisch höher ansahen als die Lesung selbst. Zumindest wurde die Lesung nicht als kategorisch epistemologisch erhabener als ihrer Meinung nach zuverlässige Aussprüche angesehen. Es wird von ihnen auch folgender Spruch überliefert:

 

جاءت السنة قاضية على الكتاب وليس الكتاب قاضياً على السنة

dschā’at as-sunnatu qāḍiyatan ʿalá al-kitābi wa laysa al-kitābu qādiyan ʿalá as-sunnah

Die Sunna kam als Richtende über das Buch (die Lesung) und nicht das Buch als Richtender über die Sunna.118

 

Natürlich werden die heutigen Gelehrten diesen Satz relativieren und sagen, dass damit gemeint sei, die angeblich prophetische Sunna sei dazu da, um eine Erklärung für die in der Lesung „nicht erklärten“ Verse anzubieten. Den ersten Fehler, den sie hierbei begehen: Sie nehmen an, das Buch Gottes hätte nicht bereits die Erklärung in sich für diese Verse (siehe 25:33). Den zweiten Fehler, den sie begehen: Die meisten Aussprüche, selbst wenn sie in der Überliefererkette (Isnad) und im Inhalt oder Text (Matn) beide als authentisch (ṣaḥīḥ) gelten, sind und bleiben immer eine Vermutung und Gottes Lebensordnung kann nicht auf Vermutungen begründet werden. Die Lesung wird nicht durch Vermutungen begründet, sondern durch sich selbst, indem wir Verse im Lichte anderer Verse betrachten.

Die Wurzel ḥā-kāf-mīm (ح ك م), von welcher das arabische Wort für Weisheit abgeleitet ist, beherbergt als Grundbedeutung die Idee der „Weisheit“. Sie kommt in der Lesung in 189 Versen insgesamt 210 Mal vor.119 Aus diesem Grunde werden für Wörter wie „Richter“ oder „Urteil“ Ableitungen dieser Wurzel verwendet, da beispielsweise eine ausgebildete Richterin ohne die eigenen Gefühle ins Zentrum zu stellen bedacht, vernünftig und gerecht Urteile fällen muss. In anderen Worten muss sie weise handeln. Die in der Lesung verwendeten Wortformen sind:

  • 45 Mal als ersten Verbstamm ḥakama (حَكَمَ): urteilen/richten
  • 30 Mal als das Verbalnomen des ersten Verbstammes ḥukm (حُكْم): Urteil
  • Fünfmal als aktives Partizip des ersten Verbstammes ḥākimīn (حَٰكِمِين): Urteilende/Richtende
  • Zweimal als zweiten Verbstamm yuḥakkimu (يُحَكِّمُ): Jemanden zum Richter ernennen
  • Einmal als das aktive Partizip des dritten Verbstammes ḥukkām (حُكَّام): (strafrechtlich) Verfolgender / die rechtlich Zuständigen / Richter
  • Zweimal als vierten Verbstamm uḥkimat (أُحْكِمَتْ): stärken, etwas klar machen
  • Zweimal als passives Partizip des vierten Verbstammes muḥkamāt (مُّحْكَمَٰت) und muḥkamah (مُّحْكَمَة): klar gemacht
  • Einmal als sechsten Verbstamm yataḥākamu (يتََحَاكَمُ): sich gegenseitig vor den Richter bringen, Urteil verlangen
  • Zweimal als die Steigerungsform oder als Elativ aḥkam (أَحْكَم): weiser als / weisest. In der Lesung nominal verwendet als „der Weiseste“ (95:8)
  • Dreimal als das Nomen ḥakam (حَكَم): Schiedsrichter/Vermittler
  • 20 Mal als das Nomen ḥikma (حِكْمَة): Weisheit
  • 97 Mal als das Adjektiv bzw. das Nominal ḥakīm (حَكِيم): weise / der Weise

Wir werden in den nächsten Abschnitten sehen, dass in Tat und Wahrheit die Weisheit und das Buch eine Einheit bilden, die Weisheit also der Lesung innewohnt.

Es gibt viele Arten, wie diese Wurzel in der Lesung verwendet wird. Eins ist aber immer klar: Die Weisheit ist stets Gott und Seiner Offenbarung zu verdanken und die einzige Quelle der Weisheit ist Gott mit Seinem Wort und Wirken.

Wenn wir uns mit der Frage befassen, wie der Prophet urteilte und warum man in der Gottergebenheit nur mit der Offenbarung urteilen darf, so lesen wir:

 

5:48 Und Wir haben zu dir das Buch mit der Wahrheit hinabgesandt, das zu bestätigen, was von dem Buch vor ihm (offenbart) war, und als Wächter darüber. So urteile (uḥkum) zwischen ihnen nach dem, was Gott herabgesandt hat, und folge nicht ihren Neigungen entgegen dem, was dir von der Wahrheit zugekommen ist.

 

Hier ist es eindeutig, dass nur nach der Offenbarung zu urteilen erlaubt ist, dass es demnach nur eine Sunna geben kann, nämlich Gottes Sunna. Der Prophet urteilte also nach der Lesung (vgl. auch 7:203) und zwar nur nach dieser. Daraus können wir schließen, dass auch alle vorherigen abrahamitischen Religionen nach ihren jeweiligen Büchern zu urteilen hatten, denn laut der Lesung ist die Gottergebenheit keine neue Religion, sondern die Bestätigung der vorangegangenen Bücher. Bereits Abraham nannte sich und seine Mitgläubigen Gottergebene (22:78).

 

3:79–80 Nicht gebührt es einem Menschen, dass Gott ihm die Schrift, die Weisung (al-ḥukm) und die Prophetie zukommen lässt, und der danach zu den Leuten sagt: Seid mir Diener anstelle Gottes. Sondern: Seid ein Vorbild dabei, wie ihr die Schrift zu lehren und wie ihr zu studieren pflegtet. Und nicht befiehlt er euch, dass ihr die Engel und die Propheten als Herren nehmt. Befiehlt er euch etwa das Ableugnen, nachdem ihr Ergebene seid

 

Wir erinnern uns daran, dass ein „und“ in der Lesung nicht zwangsläufig bedeutet, dass hierbei unterschiedliche Einheiten in einer Aufzählung gemeint wären. Vielmehr sehen wir in diesem Vers auf deutliche Art und Weise, dass sie miteinander eng verbunden sind. Die Prophetie besteht darin, das Buch Gottes als Offenbarung zu erhalten und die darin innewohnende Weisheit den Menschen zu verkünden.

Die Verse 3:79–80 sind auch eine eindeutige Ansage, sich die Propheten nicht zu Herren zu nehmen und sich ganz auf Gott und Sein Wort zu konzentrieren – geradeaus direkt mit Gott die Verbindung aufzubauen, ohne Nebenwege einzuschlagen in religiösen Belangen! Sollten andere ins Zentrum gestellt werden, wo Gott doch die Quelle allen Heils ist? Würde Gott uns die Beigesellung und Ableugnung anordnen? Die einzige Autorität ist und bleibt Gott:

 

42:10 Und worüber ihr auch immer uneinig seid, das Urteil (al-ḥukm) darüber steht Gott zu. Dies ist doch Gott, mein Herr. Auf Ihn verlasse ich mich, und Ihm wende ich mich reuig zu.

 

Auch hier sehen wir wie eben dargelegt, dass das Urteil bei Uneinigkeiten in religiösen Dingen Gott allein obliegt, dass sich der Prophet nur auf Gott verlässt und sich Ihm in Reue zuwendet – sich also ganz auf Ihn einstellt. Ist nicht dies der Monotheismus in seiner schönsten Weise, von unseren Propheten vorgelebt? So folgen wir seinem prophetischen Beispiel und verlassen uns allein auf Gott.

 

4:105 Gewiss, Wir haben dir das Buch mit der Wahrheit hinabgesandt, damit du zwischen den Menschen richtest (litaḥkuma) auf Grund dessen, was Gott dir gezeigt hat. Sei kein Verfechter für die Verräter!

 

Gott gibt also dem Propheten das Buch, damit er zwischen den Menschen richte. Der Satzteil „was Gott dir gezeigt hat“ bezieht sich auf die in der Lesung vorhandenen moralischen, ethischen wie auch sozialen Prinzipien, die gemäß der Wahrheit offenbart wurden. Dies wird in der Betonung der Wahrheit im Vers sichtbar, die dem Buch innewohnt. Hier wird nochmals die Einheit Gottes ersichtlich, nämlich dass Gott in religiösen Angelegenheiten die einzige Autorität (6:114) und unser einziger Lehrer ist (55:1–2).

Die Lesung liegt uns heute vollständig vor und Gott hat uns dort  alle Urteile, die religiöse Belange betreffen, zu seiner Vollkommenheit mitgeteilt. Gott will im vorangegangenen Vers 4:105 dem Propheten nahelegen, nicht seinen Neigungen gemäß zu handeln. Denn das Buch und ihre Urteile sind eine Sache, die Durchführung und die damit verbundene Konsequenz eine andere. Der Prophet war nämlich nur ein Mensch (18:110) mit allen damit verbundenen Stärken und Schwächen. Denn der Vers 4:105 betont diese Haltung im letzten Satz: „Sei kein Verfechter für die Verräter!“

Und als nächstes muss man sich fragen, wie soll sich eine menschliche Sunna mit den oben behandelten Versen verstehen lassen, die nur der Offenbarung Platz einräumen? Und wieso wird in der Lesung nur Gottes Sunna erwähnt? Darüber hinaus muss die Quelle für die Religion rein und ohne Makel sein und wir finden in der Lesung selbst gleich mehrere Beispiele, die die Sünden des Propheten behandeln (47:19, 48:2). Die Offenbarung selbst wird hingegen als rein bezeichnet:

 

98:2 Ein Gesandter von Gott, der gereinigte Blätter vorliest

 

Wir sehen, eine Offenbarung muss ohne Makel sein und die traditionell gelehrte Sunna ist es nicht. Die traditionelle Sunna ist menschlichen Ursprungs, da bisher niemand behauptet hat, Buchārī oder Konsorten seien ebenso Gesandte Gottes, die in Seinem Namen gehandelt hätten. Allein diese Umstände verunmöglichen es, der traditionellen Sunna irgendeine religiöse Autorität zu verleihen.

Wir fassen das Bisherige zusammen:

  • Gott lehrte den Propheten die Lesung (55:2) und nur die Lesung.
  • Der Prophet wie auch alle Gläubigen dürfen nur dem Herabgesandten, also der Lesung folgen (7:3, 7:203).
  • Der Prophet selbst ist keine weitere Quelle, kein weiterer Herr, wie es 3:80 und 6:19 und auch weitere Verse klar machen.
  • Gott allein steht das Urteil zu (6:114, 5:44 usw.).

Es ist also sehr deutlich, dass der Prophet nur nach dem offenbarten Buch urteilte und keine andere Quelle benutzen durfte und dass nur Gott urteilen darf in religiösen Angelegenheiten. Der Vers 6:114 wird tiefgreifend mit dem Monotheismus verknüpft, denn der Vers sieht nur einen Schiedsrichter vor – Gott allein. Seine Gesetze sind im Buch, die ohne Sekundärquellen auskommen. Die Lesung wurde hier als „ausführlich dargelegt“ beschrieben, somit erübrigt sich die Frage, ob die Lesung Einzelheiten ausgelassen habe, die durch die traditionelle Sunna ergänzt werden müssten. Durch die rhetorische Frage des Verses wird jegliche Quelle außer Gott für überflüssig und auch ungültig erklärt.

 

6:114 Soll ich denn einen anderen Schiedsrichter (ḥakam) als Gott begehren, wo Er es doch ist, der das Buch, ausführlich dargelegt, zu euch herabgesandt hat?

 

Außerdem sagt Gott von der Lesung:

 

11:1 Alif-Lam-Ra. (Dies ist) ein Buch, dessen Zeichen eindeutig festgefügt und hierauf ausführlich dargelegt sind von Seiten eines Weisen und Kundigen.

41:3 Ein Buch, dessen Zeichen ausführlich dargelegt sind, als eine arabische Lesung, für Leute, die Bescheid wissen

 

Es lässt sich aber die Frage stellen, ob Gott denn Seine Befehlsgewalt weiter delegiert und sie in dem Sinne dann indirekt wirken lässt? Gibt es also noch andere Verse, die die Einheit und alleinige Autorität Gottes untermauern und somit die vorige Frage verneinen? Es folgen Verse, die besonders die alleinige Autorität Gottes hervorheben, indem gerade betont wird, dass Er seine Befehlsgewalt nicht aufteilt:

 

18:26 Sag: Gott weiß am besten, wie (lange) sie verweilten. Sein ist das Verborgene der Himmel und der Erde. Wie vorzüglich ist Er als Allsehender, und wie vorzüglich ist Er als Allhörender! Sie haben außer Ihm keinen Schutzherrn, und Er beteiligt an Seinem Urteil (ḥukmihi) niemanden.120

11:12 Vielleicht möchtest du einen Teil von dem, was dir offenbart wird, verlassen und deine Brust ist dadurch beklommen. Dies, weil sie sagen: „Wäre doch ein Schatz auf ihn herabgesandt worden oder ein Engel mit ihm gekommen!“ Du bist aber nur ein Warner. Und Gott ist Sachwalter über alles.

12:40 Anstelle seiner dient ihr nichts außer Namen, die ihr und eure Väter benanntet. Dafür ließ Gott keine Ermächtigung herabsenden. Gewiss, das Richten (al-ḥukm) ist nur Gottes. Er befahl, dass ihr keinem außer ihm dient. Dies ist die wertvolle Lebensordnung, doch die meisten Menschen wissen nicht

6:57 Sag: Ich halte mich an einen klaren Beweis von meinem Herrn, während ihr Ihn der Lüge bezichtigt. Ich verfüge nicht über das, was ihr zu beschleunigen wünscht. Das Urteil gehört allein Gott. Er berichtet die Wahrheit, und Er ist der Beste derer, die entscheiden.121

 

Die vier oben genannten Verse machen mit Aussagen wie „Das Urteil (al-ḥukm) ist allein Gottes“, „Und Er beteiligt an Seinem Urteil (ḥukmihi) niemanden“ oder „Und Gott ist Sachwalter über alles“ klar, dass weitere Quellen neben Gottes Worten keine Autorität haben können. Sie unterstreichen die alleinige Autorität Gottes und zeigen auf, dass es nur die Sunna Gottes gibt. Wenn wir uns die Frage stellen, welche Befugnisse der Gesandte durch Gottes Worte, also durch die Lesung erhält, so finden wir unter anderem folgende Verse dazu:

  • Dem Gesandten obliegt nur die Verkündigung. (5:92, 64:12)
  • Der Gesandte ist nur ein Warner. (88:21, 79:45, 13:7, 11:12)
  • Der Gesandte hat die Botschaft klar zu übermitteln. (16:44)

Es gibt noch viele weitere Verse, die die alleinige Autorität Gottes hervorheben, ich will hier nur mit drei Versen diese Angelegenheit ein letztes Mal verdeutlichen:

 

12:67 … Gewiss, das Richten (al-ḥukm) ist nur Gottes. Auf Ihn vertraue ich und auf Ihn sollen sich die Vertrauensvollen verlassen.

25:2 Er, Dem das Königreich der Himmel und der Erde gehört, Der Sich kein Kind nahm und Der keinen Teilhaber an der Herrschaft hatte und alles erschuf und ihm sein Maß wohlbemessen gegeben hat.

28:70 Und Er ist Gott. Es gibt keine Gottheit außer Ihm. Ihm gehört das Lob im Ersten und im Letzten. Ihm gehört das Urteil, und zu Ihm werdet ihr zurückgebracht.

 

Nach diesen und anderen Versen ist es schwer eine Gewaltenteilung vorzunehmen, dass auf der einen Seite die Lesung stünde und auf der anderen Seite die menschliche Sunna (entgegen der göttlichen Sunna). Gott, „der keinen Teilhaber an der Herrschaft hat“, und von sich aus sagt, dass das Urteil (ḥukm) allein Seines ist und Ihm das Richten gehört, reicht den Gläubigen aus.

 

12:80 Als sie es bei ihm aufgegeben haben, gingen sie gerettet davon. Der Älteste von ihnen sagte: Wisst ihr nicht, dass euer Vater von euch, auch bevor ihr euch von Josef entledigt habt ein verbindliches Versprechen vor Gott entgegengenommen hat. Ich werde das Land nicht verlassen, bis mein Vater es mir erlaubt oder Gott richtet (yaḥkum Allāh), und er ist der beste der Richtenden (al-ḥākimīn).

95:8 Ist Gott nicht der Weiseste der Richtenden (bi-aḥkami al-ḥākimīn)?

5:50 Erstreben sie etwa das Urteil (al-ḥukm) der Ignoranz? Wer ist ein besserer Richter (ḥukm) als Gott für ein Volk, das überzeugt ist?

 

Wir sehen also überaus deutlich, dass die Weisheit und die daraus abgeleiteten Urteilssprüche Gott allein gehören. Es gibt auch klare Aussagen in der Lesung, dass die Lesung selbst die Weisheit darstellt. Wie etwa in Kapitel 17, in welchem beginnend ab Vers 22 ethische Prinzipien und Gesetze erklärt werden, welche ein Gläubiger umzusetzen hat. Dies geht weiter bis Vers 38 und im darauffolgenden Vers lesen wir:

 

17:39 Diese sind von dem, was dein Herr dir von der Weisheit offenbarte. Und setze zu Gott keine andere Gottheit, sonst wirst du in die Hölle geworfen, verschmäht und verstoßen sein

 

Die vorhergehenden Verse werden also direkt als Teil der Weisheit des Herrn beschrieben. Insofern sehen wir in diesem Beispiel, dass die Verse ein Teil der Weisheit Gottes sind. Im nächsten Schritt werde ich aufzeigen, dass diese laut der Lesung eine Einheit sein müssen. Das Prinzip der Einheit von Buch und Weisheit wird also auch von der anderen Richtung her aufgezeigt.

 

2:231 … So nehmt euch Gottes Zeichen nicht zum Spott und gedenkt Gottes Gunst an euch und dessen, was Er aus der Schrift und der Weisheit (al-ḥikmah) auf euch herabsandte, euch damit zu belehren. Und seid Gottes achtsam und wisst, dass Gott in allen Dingen wissend ist.

 

Auf Arabisch heißt es:

 

ولا تتخذوا ءايت الله هزوا واذكروا نعمت الله عليكم وما أنزل عليكم من الكتب والحكمة يعظكم به واتقوا الله واعلموا أن الله بكل شىء عليم

Transliteration:
wa lā tattachiḏū ʾāyāti-llāhi huzuwān waḏkurū niʿmāta-llāhi ʿalaykum wa mā ʾanzala ʿalaykum min al-kitābi wal-ḥikmati yaʿiẓukum bihi wa-ttaqū-llāha wa ʾaʿlamū ʾanna-llāha bikulli schayʾin ʿalīmun

 

Das große fette Wort im Arabischen wird in der Übersetzung als „damit“ wiedergeben und transliteriert „bihi“ ausgesprochen. Wären nun die Schrift und die Weisheit zwei verschiedene Dinge, müsste für den Bezug auf diese beiden verschiedenen Dinge die Dualform benutzt werden, nämlich bihimā (بهما) oder zumindest der Plural bihim (بهم). Der im Vers verwendete Bezug ist aber singular! Somit sind die Schrift und die Weisheit eine Sache, oder anders gesagt: Die Weisheit wird als der Schrift innewohnend angenommen.

Alles in allem kann bekräftigt werden, dass die traditionelle Aufteilung in Buch als die Lesung und Weisheit als die angebliche prophetische Sunna auf einem missglückten, geradezu peinlichem Fehlverständnis des Begriffs „Weisheit“ und der Wurzel selbst beruht, wobei ich hier etliche Verse zitierte, die Gott allein Autorität zusprechen und die Gott allein als Quelle der Weisheit klarstellen.

Schlüssel zum Verständnis des Koran: Die Bezeugung als Heilmittel

Den aufmerksamen Studenten der Lesung stellt sich die Frage naturgemäß früh, wie man sich aus dem Zustand der Beigesellung befreien kann, wenn die Beigesellung eine unverzeihliche Sünde darstellt (4:48). Welches sind die ersten notwendigen Schritte? Was muss ich beachten, um nicht nach der Befreiung von der Beigesellung wieder erneut in diese Falle der Beigesellung zu tappen?

Es erscheint plausibel, dass wenn die Beigesellung unter anderem solches Übel wie zuvor beschrieben verursachen kann, das Gegenteil der Beigesellung, also die Vereinheitlichung der Autorität und die Akzeptanz der Einheit Gottes in jeglichen Belangen die Heilung mit sich bringen wird. In der Tat ist auch der erste Schritt zum Glauben, sich vollends Gott zu ergeben (aslama). Denn wie uns in den Versen 49:14–15 mitgeteilt wird, kommt vor der inneren Sicherheit, einem überzeugten Glauben (Īmān) die Ergebung, die Gottergebenheit (Islām). Der Glaube ist hierbei die gesicherte Überzeugung der Gegenwart Gottes in uns und um uns herum, also die Sicherheit im Herzen für sich selbst als auch die Sicherheit vor den Einflüssen der Satane. Wieso beschreibe ich den Glauben als gesicherte Überzeugung? Anders als üblicherweise so auf Deutsch wahrgenommen bedeutet Glaube (Īmān) nicht blindes Vertrauen. Vielmehr handelt es sich bei diesem Wort um eine gefestigte, gesicherte Überzeugung sowohl aufgrund persönlicher Erfahrungen (subjektive Beweise) als auch aufgrund langen Studiums und wissenschaftlich gestützter Erkenntnisse (objektive Beweise) in der Wirkung und Wahrhaftigkeit der Worte und Zeichen Gottes in der Lesung wie auch in der Natur. Die Wurzel von ʾĪmān ist alif-mīm-nūn (ا م ن), was stets mit einer Sicherheit in der Grundbedeutung der Wurzel zu tun hat.75 Aus diesem Grund darf „Glaube“ in dem Sinne, wie es in der Lesung verwendet wird, nicht verwechselt werden mit der gemeinhin wahrgenommenen, deutschen Bedeutung von „Glaube“. Der gottergebene (islamische) Glaube ist eine auf Vernunft und Erfahrung aufbauende Sicherheit im Herzen und kein blindes Vertrauen. Diese Überzeugung dringt erst später in die Herzen ein (49:14–15), nämlich erst nach der Ergebung (Islām), also erst nachdem man ein Gottergebener (Muslim) wurde.

Erst muss man sich komplett lossagen von jeglichem Bezug zu dieser Welt und sich allein Gott dem Erlöser ergeben, Ihn allein als Quelle allen Heils akzeptieren. In dieser Ergebung ist die bewusste Bezeugung (schahādah) der Einheit Gottes (tawḥīd) als die zentrale Botschaft in jeglicher Hinsicht des Monotheismus zu verstehen. Man legt sein Seelenheil und sein Herz vollständig und allein in die Hand Gottes.

Die Bezeugung der Ergebung ist der folgende Ausdruck:

Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer dem Gott gibt.

Dies ist die vollständige Bezeugung der Ergebung. Kein weiterer Satz ist laut der Lesung nötig, um sich als Gottergebener (Muslim) zu identifizieren (3:18–19, 6:19). Dieser Satz und seine Bedeutung beherbergen das Heilmittel gegen den Virus der Beigesellung.

Die als erste Säule der Gottergebenheit bekannte Bezeugung (schahādah) dient dazu, sich zum Glauben zu bekennen, dass es keine andere Gottheit außer dem einen Gott gibt. Die arabische Entsprechung der Bezeugung lā ilāha illa-llāh und ihre Variationen davon76 kommen in der Lesung in 35 Versen 36 Mal vor und wird nirgends mit einem anderen Namen zusammen erwähnt bzw. ergänzt. Sich mit dieser Bezeugung nicht zu begnügen, während wir uns zum Glauben des einzigen Gottes bekennen, Gott allein nicht für ausreichend zu empfinden und neben Seinem Namen irgendwelche andere Namen zu erwähnen, stellt eine Form der Beigesellung dar. Als ob dieser Zustand nicht ausreicht, ist derjenige Vers, der die Bezeugung für alle Gottergebenen festlegt, der einzige Vers (3:18), der diese Bezeugung im selben Vers wiederholt, um die klare Botschaft zu vermitteln, dass kein Name irgendeines Gesandten erwähnt werden muss.

 

3:18 Gott bezeugte, dass es keine Gottheit gibt außer ihm, auch die Engel und die im Wissen Herausragenden, stehend für die Gerechtigkeit. Es gibt keine Gottheit außer ihm, dem Ehrenvollen, dem Weisen.

 

Jahre nach dem Ableben des Propheten Mohammed wurde dem gemeinsamen Spruch aller göttlichen Religionen „Es gibt keine Gottheit außer dem Gott“77 der Name Mohammed beigefügt. Mit dieser Handlung haben jene, die seinen Namen hinzugefügt haben, gegen viele Grundsätze der Lesung verstoßen, allen voran aber sich der Beigesellung schuldig gemacht. In gewissen Moscheen wurden neben Gottes Namen (nebst dem Namen Mohammeds) die Namen wie Abu Bakr, ʿUmar, Uṯman, ʿAli, Ḥasan und Ḥussein und andere idolisierte Namen beigesellt. Die Schiiten haben eine andere Form der Götzenkollektion und haben ihre Moscheen mit den entsprechenden Namen ihrer „Lieblinge“ versehen. Es gibt in der gesamten Lesung nur vier Verse, welche Mohammeds Namen beinhalten. Es kann Einwände geben, ob es denn falsch sei, diese Verse an die Wand der Moschee zu hängen. Wie wäre es, wenn man die Verse über die Hölle an die Wand hängt? Was ist mit den Versen über Jesus oder Moses? Was ist mit den Versen über die Heuchler und Lügner? Wenn die Wände der Gebetsstätten mit der ganzen Lesung verziert wären, gäbe es kein Problem. Aber wenn gewisse Verse ausgewählt werden, dann kommt es darauf an, welche Absicht dahintersteckt, um sicher zu sein, dass man nicht beigesellt. Wenn aus der Lesung Verse ausgewählt werden sollen, sollten wir nur die Verse nehmen, die allein über Gott berichten, wie zum Beispiel 39:44–45 oder 39:11–12. Nebenbei: Es gibt keine Pflicht, Verse an die Wand von Moscheen zu hängen!

 

2:285 Der Gesandte glaubt an das, was von seinem Herrn zu ihm herabgesandt worden ist, und (mit ihm) die Gläubigen. Alle glauben an Gott, seine Engel, seine Schriften und seine Gesandten: „Wir machen bei keinem von seinen Gesandten (den anderen gegenüber) einen Unterschied.“ Und sie sagen: „Wir hören und gehorchen, (dies ist) Deine Vergebung, Herr! Bei dir wird es (schließlich alles) enden.“

 

So wie bereits schon einige Christen haben viele sogenannte „Gottergebene“ (Muslime) die Gesandten unterschiedlich bewertet und stellten der Lesung widersprechende Behauptungen auf. Es wurden Hunderte von Aussprüchen (Aḥādīṯ) und Wundergeschichten erfunden, um den Propheten Mohammed über alle anderen Propheten zu erheben. Beispielsweise wurde das Geschwätz des „heiligen Ausspruchs“ (Ḥadīṯ qudsī), welcher besagt, dass das gesamte Universum nur wegen Mohammed erschaffen worden sei, Gott zugeschrieben:

 

law lāka law lāka lamā chalaqtu-l-ʾaflāka

In etwa wörtlich: Wärst du nicht gewesen, wärst du nicht gewesen, hätte ich die Universen nicht erschaffen!

 

Andererseits existieren zahlreiche Aussprüche, die Mohammed als Sex-Psychopathen darstellen. Allen voran ist das Buch von Buchārī voll mit abscheulichen Übertreibungen über das sexuelle Privatleben des Propheten. Diese sind heute dorthin zu verbannen, wo sie hingehören: in die Geschichte. All diese Erfindungen wurden dem Propheten aus unterschiedlichen Gründen angedichtet, etwa um religiöse Macht auszuüben, die eigenen sexuellen Triebe zu rechtfertigen und um die Massen in Schach halten zu können. Die verherrlichten Gelehrten, die ihre eigenen Sexfantasien dem Propheten Mohammed zugeschoben haben, werden ihre Taten zu rechtfertigen haben (6:112).

 

39:45 Wenn Gott ALLEIN genannt wird, schrecken die Herzen derjenigen, die nicht ans Jenseits glauben, zusammen in Abstoßung. Aber werden Idole neben Ihm genannt, beginnen sie sich wieder zu freuen.

 

Die große Mehrheit der „Muslime“ beharrt trotz der in Vers 3:18 mitgeteilten Bezeugung der Gottergebenheit darauf, Mohammeds Namen in der Bezeugung miteinzuschließen. Dieses Kriterium aus 39:45 stellt klar, dass diejenigen, die sich nicht daran erfreuen können, dass Gottes Name allein erwähnt wird, und auf jeden Fall Mohammeds Namen (oder auch irgendeinen anderen Namen) äußern möchten, in Wahrheit nicht ans Jenseits glauben, da sie sich nicht bewusst sind, dass sie gerade in dieser Angelegenheit geprüft und vor Gott gebracht werden. Jene, die nicht wirklich ans Jenseits glauben, sagen aus, dass die Lesung zum Verstehen zu schwer sei, und sie selbst dürfen laut 17:46 die Lesung nicht verstehen.

Einige Leserinnen und Leser fragen sich sicher auch, was es mit dem folgenden Vers auf sich habe, ob er nicht bestätige, dass wir Mohammeds Gesandtschaft zu bezeugen hätten.

 

3:86 Wie soll Gott ein Volk rechtleiten, das ableugnete, nachdem es glaubte und bezeugte, dass der Gesandte rechtmäßig ist, und zu ihnen kamen ja die Klarheiten. Doch Gott leitet das Volk der Ungerechten nicht recht.

 

Es steht in der Tat eine Ableitung der Wurzel sch-h-d (ش ه د) im Vers, die allgemein fürs Bezeugen von etwas steht. Betrachten wir die 160 Stellen in den 123 Versen78, in welchen Ableitungen dieser Wurzel vorkommen, so verstehen wir, dass diese Wurzel in unterschiedlichen Nebenbedeutungen verwendet wird.

„Bezeugen“ bedeutet in der Lesung nebst der offensichtlich wörtlichen Bedeutung auch

  • am Leben zu sein und den Monat Ramadan zu bezeugen (2:185) oder auch am Jüngsten Tag den Tag selbst erst nach dem Tod zu erleben (19:37),
  • eine Sache oder Angelegenheit, die für sich selbst offenbar ist (9:94, 9:105, 13:9),
  • durch Schlussfolgern und Gebrauch des Verstandes eine Angelegenheit im Hier und Jetzt nachzuvollziehen (12:26),
  • die Wahrheit im Hier und Jetzt zu erkennen (5:83, 22:28),
  • dass man nicht Zeuge sein kann, wie und wann Gott etwas offenbarte (6:144), da man dabei nicht anwesend sein kann,
  • die Anwesenheit von Engeln, die uns im Hier und Jetzt wahrnehmen (z.B. 17:78),
  • im Hier und Jetzt sich zu beraten und auszutauschen (27:32).

Insbesondere Verse wie 28:44, 37:150 oder 2:133 legen die Bedeutung dieser Wurzel fest, dass man stets im Hier und Jetzt etwas bezeugen kann. Insofern erhält dieser Vers auch eine besondere Betonung, wenn die Zeugen nach den Propheten noch einmal für sich erwähnt werden.

 

39:69 Die Erde wird im Licht ihres Herrn erstrahlen. Die Schrift (mit allen Angaben über die Taten der Menschen) wird hervorgeholt werden. Die Propheten und die Zeugen werden vorgeladen. Über die Menschen werden die Urteile gefällt, und niemandem soll Unrecht geschehen.79

 

Wir sehen also, dass die Propheten nicht immer Zeugen sein können, sondern höchstens für ihr eigenes Volk. Dadurch ergeben Verse wie 25:30 Sinn, dass der Prophet Mohammed erst am Jüngsten Tag begreifen wird, dass diejenigen, die sich „Gottergebene“ nennen, die Lesung verlassen haben! Erst am Jüngsten Tag bezeugt er dies, weil er erst dann den Umstand wahrnimmt und erkennt.

Die Art von Bezeugung, von der in 3:86 also die Rede ist, bezweckt eine andersartige, nicht wörtlich ausgesprochene Bezeugung. Es geht mehr um eine zeitlich bedingte Überzeugung, nämlich dass man überzeugt ist, dass Mohammed ein Gesandter war aufgrund seiner Botschaft, die er übermittelt hat. Das Volk war zugegen, wir aber nicht. Wir können also keine direkten Zeugen sein. Doch mit „Gesandter“ ist darüber hinaus nicht nur die Person Mohammeds gemeint, sondern auch die Lesung selbst, die ja zu uns durch den Gesandten übermittelt wurde, uns also auch zugesandt wurde. In dem Sinne kann man sagen, dass man zuerst zu bezeugen hat, dass die Lesung wahrhaftig ist, um überhaupt ein Gottergebener sein zu können. Wir können den Gesandten, also die Lesung, im Hier und Jetzt bezeugen. Den verstorbenen Menschen Mohammed, der nur einer unter vielen Gesandten ist, können wir nicht mehr bezeugen. Es geht hierbei um die innere Einstellung der Sache gegenüber, nicht, dass man irgendwelche Sätze in Form von Formeln über die Lippen bringt. Diese Glaubensformel, die Bezeugung der Ergebung, wurde nämlich bereits in 3:18–19 unabänderlich festgelegt.

Ich sage nicht, dass es eine Beigesellung darstellt, den Propheten Gottes als Diener und Gesandter anzusehen (mit dem Herzen zu bezeugen). Vielmehr besteht die Beigesellung darin, ihn oder irgendjemanden in der ausgesprochenen Bezeugung zu erwähnen, die nur Gott alleine gebührt (39:45, 3:18–19). Die Bezeugung, das erste Gebot Gottes, soll der ganzen Welt sagen, dass es nur einen Gott gibt, der immer existierte und für immer bleibt. Gott erwähnte ja den Propheten in der Lesung als Seinen Diener und als Seinen Gesandten. Deshalb glauben wir ohne Zweifel an diese Worte, die von Gott direkt kommen. Doch die Gesandtschaft des Menschen Mohammed bezeugen im Sinne einer aktiven Erfahrung können weder Sie noch ich, denn der einzige Zeuge, der es mit Sicherheit weiß, ist GOTT alleine.

 

2:133 Oder wart ihr Zeugen, als Jakob dem Tod nahe war? Da sagte er zu seinen Kindern: Was dient ihr nach mir. Sie sagten: Wir dienen deinem Gott, dem Gott deiner Väter Abram, Ismael und Isaak, einem einzigen Gott und ihm sind wir ergeben.

 

Hier antworten wir: Nein Gott, wir waren nicht Zeuge, aber wir glauben an sämtliche Deiner Worte, da wir unbedingtes Vertrauen in Dich haben und weil wir uns vollends Dir ergaben. Zwischen der Überzeugung, dass etwas geschehen ist, und dem Bezeugen einer Angelegenheit liegt ein großer Unterschied, der im soeben zitierten Vers angesprochen wird. Das Zeugnis Gottes entnehmen wir aus der Lesung, denn das ist die richtige Lehre ohne Zufügung oder Verminderung. Wer ist dann wahrhaftiger als Gott und Seine Lehren?

 

3:18 Gott bezeugte, dass es keine Gottheit gibt außer ihm, auch die Engel und die im Wissen Herausragenden, stehend für die Gerechtigkeit. Es gibt keine Gottheit außer ihm, dem Ehrenvollen, dem Weisen.

 

So bezeugen es Gott, die Engel und die Wissenden. Doch die, die nicht wissen, fügen Mohammed oder sonst irgendwelche ihrer Vorfahren diesem allerwichtigsten Satz hinzu.

Es ist leider oft so, dass Menschen blind das wiederholen, was sie von ihren Vätern gelernt haben. Das ist aber nicht der Sinn des Lebens. Denn sonst hätten wir genauso gut in irgendeiner anderen Gemeinde aufwachsen können und hätten dieselben Sätze wiederholt, die von dieser Gemeinde vorgegeben werden, ohne dabei nachzudenken, was richtig oder falsch ist. Der Grundsatz der Bezeugung ist hier im Vers deutlich zu sehen:

 

7:172 Und als dein Herr aus den Kindern Adams, aus ihren Rücken, ihre Nachkommenschaft nahm und sie gegen sich selbst zeugen ließ: „Bin Ich nicht euer Herr?“ Sie sagten: „Doch, wir bezeugen (es)!“ (Dies,) damit ihr nicht am Tag der Auferstehung sagt: „Wir waren dessen unachtsam“80

 

Der Glaube an Mohammed als den letzten Propheten und als ein Gesandter Gottes (33:40) sowie der Glaube an alle Propheten und Gesandten (2:285) ist der Grundsatz unserer Lebensordnung (dīn) und darf nicht fehlen, doch die ausgesprochene Bezeugung gebührt Gott alleine, denn Er hat ja die Welt erschaffen, und weder Mohammed noch irgendein Engel haben etwas mit der Bezeugung zu tun.

Der Irrglaube, man müsse Mohammed in der Bezeugung erwähnen, stammt von den Aussprüchen (Aḥādīṯ) ab. Aussprüche hin oder her. Die Religion ist Gottes und nicht in den Geschichten der Ahnen, die fälschlicherweise dem Propheten angedichtet wurden. Wenn wir etwas über Mohammed oder einen anderen Propheten wissen wollen, dann entnehmen wir das entsprechende Wissen aus einer sicheren Quelle: Die vom Schöpfergott offenbarte Lesung. Vermutungen können die Wahrheit niemals ersetzen.

 

10:36 Und die meisten von ihnen folgen bloß einer Vermutung; doch Vermutung nützt nichts gegenüber der Wahrheit. Siehe, Allah weiß recht wohl, was sie tun.81

 

Solche Vermutungen wie die Überlieferungen, die über einem Jahrhundert nach dem Tode des Propheten entstanden sind, enthalten leider viel Beigesellung (schirk). Ich will auch nicht die Lebensordnung Gottes nach meiner Vorstellung definieren, ich fordere nur dazu auf, Gottes Buch zu öffnen und mit mehr Verstand zu lesen. Denn nur so kann jeder wissen, ob das menschliche Gerede in den Aussprüchen (Aḥādīṯ) und auch sonst wo der Wahrheit entspricht oder nicht. Und nur so erlangt man die Freiheit des Denkens und der Selbstbestimmung. Denn jede Seele ist für sich verantwortlich. Die Gelehrten werden niemanden von der Hölle fernhalten können.

 

53:23 Es sind nichts außer Namen, die ihr und eure Väter benanntet, und für die Gott keine Ermächtigung herabsandte. Denn sie folgen nichts außer der Vermutung und dem, wozu die Seelen neigen, obwohl ihnen von ihrem Herrn die Rechtleitung zukam.

 

Edip Yüksels Kommentar zu diesem Vers:

 

„Die Beigeseller Mekkas besaßen eine abstrakte Auffassung des Polytheismus, der Beigesellung. Zu Zeiten Abrahams, in denen die Anbetung von Statuen weit verbreitet war, wurden die Formen der Beigesellung zwangsweise auf Grund der Bemühungen Abrahams verändert. Die Beigeseller, die glaubten, sie würden dem Weg Abrahams folgen, dachten, dass sie Monotheisten seien (6:23; 16:35), während sie die Namen der verstorbenen „Heiligen“ und der Engel, von denen sie glaubten, dass sie Gott nahe stünden, zwecks Fürsprache gedachten (39:3). Die Beigeseller haben nach Mohammed behauptet, dass die mekkanischen Beigeseller Statuen anbeteten, um die Ähnlichkeit zwischen ihnen und den mekkanischen Beigesellern zu vertuschen. Sie gedenken auf ähnliche Art und Weise der Namen von Mohammed, seinen Gefährten und von „Heiligen“ erneut zwecks Fürsprache. Laut Koran fasteten, pilgerten und beteten die Götzendiener Mekkas (8:35; 9:19,45,54; 2:199).“

 

Etwas Wichtiges möchte ich an dieser Stelle deutlich betonen:

Ein bloßes Aussprechen dieses Satzes der Bezeugung ist keinerlei Garantie für eine sofortige Heilung. Bezeugen mit den Lippen ist einfach und im schlimmsten Fall eine Selbsttäuschung (2:8–9). Erst das Verstehen, Fühlen und Umsetzen, also das Ausleben und das Bezeugen dieses Satzes im Herzen und mit jeder Faser des Körpers führt dazu, dass man sich von der Ignoranz befreit (48:11, 49:3). Erst, wenn wir Gott gegenüber die nötige Ehrfurcht empfinden, wie es Ihm gebührt, werden wir uns und unsere Seelen befreien können (39:67, 36:60, 39:17).

Eine kurze Auflistung der wichtigsten Überzeugungen, welche die Einheit Gottes ausmachen:
Die Weisheit und die Befehlsgewalt sind bei Gott allein. (12:40, 13:41, 4:174–175, 4:65, 33:36, 69:44–46, 6:14, Sura 114, 27:60–64, 21:22) Die Befreiung des eigenen Selbst wie auch von anderen von jeglichen Fesseln ist die ständige Aufgabe des Gottergebenen: Gott ist das einzige Ziel, der Dienst ist in erster Linie nur Ihm gegenüber (1:5, 3:64, 51:56), wobei keine intellektuelle, spirituelle, kulturelle, ökonomische oder sonstige Quelle, in menschlicher oder schriftlicher Form, als nicht hinterfragbar gelten kann. Gott allein ist der Absolute im Zentrum, und Gott allein ist die nicht hinterfragbare Autorität. Dies bedeutet beispielsweise als direkte Konsequenz, dass keine Form von Sklaverei Bestand haben kann, da Sklaverei bedeutet, Menschen als „Herren“ über andere zu erheben. Zur Sklaverei komme ich im zweiten Teil des Buches zurück. Dies bedeutet auch die Herausforderung der herrschenden Klasse, weil keine Regierung unbedingtes Vertrauen genießen kann.82

Der Gottergebene hat fernzubleiben von der Ableugnung Gottes und von der Ablehnung Seiner Zeichen in der Natur, den Himmeln und der Erde und in den Menschen. Dies bedeutet das eigene Bewusstsein dahingehend zu schulen, dass die Psychologie, die Mentalität der Ableugnung (kufr) bereits früh erkannt und abgelehnt wird.83 Auch die Ableugnung wird im zweiten Teil behandelt.

Es gilt das Prinzip: Keine Übertreibung (ghulū – غلو) im eigenen Glauben, indem wir uns ein Beispiel an den Leuten der Schrift nehmen. (4:171, 5:77 – Dies sind sämtliche Verse der Wurzel von ġulū.)

Es gibt laut Gottes Wort nur Gottes Sunna (tawḥīdu sunnatillah): mit „Sunna“ ist hier dasselbe Wort gemeint wie bei der dem Propheten nachträglich zugeschobenen „prophetischen Sunna“ (sunna nabawiyya). Sunna bedeutet hierbei „Weg“ oder „Gesetz“. Die Lesung verwendet dieses Wort nur in Bezug auf Gott und lässt uns unmissverständlich verstehen, dass Gottes Gesetz und Weg allein maßgebend sind und Sein Gesandter nichts Weiteres verkünden durfte. Gottes Weg allein ist die Sunna, das Gesetz. Dies betrifft nicht nur Sein an uns offenbartes Buch, sondern sämtliche Aspekte des Lebens, wie etwa Seine Naturgesetze, Sein Willen, Seine Barmherzigkeit usw. Das heißt, dass wir diesbezüglich keinen Kompromiss eingehen dürfen und zum Beispiel auch die Pflicht haben, eine gesunde, langfristig orientierte Einheit mit der Natur herzustellen. Jeder andere Weg als Gottes Sunna ist zum Scheitern verurteilt. (23:84–85, 19:93, 2:116, 39:67, 4:79, 34:28, 2:85, 2:44, 3:83, 22:18, 34:3, 2:29, 16:10–14, 57:3, 28:88)

Eine weitere Pflicht einer Gottergebenen oder eines Gottergebenen ist das Lesen und Studieren der Zeichen Gottes in der Lesung und in der Natur, um nicht dieselben Fehler unserer Vorfahren zu begehen (55:5, 10:5, 3:137, 6:11, 12:109, 16:36, 27:69, 29:20, 30:9, 42, 35:44, 40:21, 40:82, 47:10, 96:1, 22:46, 55:1 ff.). Sie haben dabei ihren Verstand zu gebrauchen und ihre Sinne optimal einzusetzen (10:100, 8:22, 17:36, 39:18, 10:38 – 39, 74:30, 2:269, 3:7, 13:19, 38:29). Wissenschaftliche Disziplinen wie Mathematik oder Physik, Biologie oder Chemie müssen bis zur Exzellenz vorangetrieben werden, um den Glauben mit tiefer Überzeugung sichern zu können. Siehe hierzu allgemein die 49 Verse und den Kontext dieser Verse, in denen die Wurzel zu „Verstand“ vorkommt: 2:44, 2:73, 2:75, 2:76, 2:164, 2:170, 2:171, 2:242, 3:65, 3:118, 5:58, 5:103, 6:32, 6:151, 7:169, 8:22, 10:16, 10:42, 10:100, 11:51, 12:2, 12:109, 13:4, 16:12, 16:67, 21:10, 21:67, 22:46, 23:80, 24:61, 25:44, 26:28, 28:60, 29:35, 29:43, 29:63, 30:24, 30:28, 36:62, 36:68, 37:138, 39:43, 40:67, 43:3, 45:5, 49:4, 57:17, 59:14, 67:10.

Es darf kein Stammestum, kein Rassismus, keinerlei Bevorzugung aufgrund irgendwelcher Zugehörigkeit oder gewissen Eigenschaften vorherrschen. Wir sind sozusagen als eine große Familie mit unterschiedlichen Kulturen, Sprachen und Hautfarben anzusehen. (49:13, 21:94, 4:1, 11:61, 16:5–7, 16:9, 16:22, 30:22)

Der Gottergebene hütet sich davor, seine eigenen Wertvorstellungen Gott aufzuerlegen. Beispiel: Er hütet sich vor der Illusion, dass nur weil eine Minderheit einer gewissen Meinung ist, diese Meinung nicht die Wahrheit sein kann, da Gott es angeblich nicht zulassen würde, dass so viele Menschen in die Irre gehen. Hier wird der Fehler gemacht, dass man das eigene Empfinden zu einem universalen, ja Gott angedichtetem Gesetz erklärt. Die Wahrheit braucht nicht die Mehrheit, um die Wahrheit zu sein. Gott ist nicht auf die Mehrheit angewiesen.

Insofern ist es zwar keine Garantie, immerhin aber ein positives Zeichen, dass die wahren Gläubigen in der Minderheit sind. Die Geisteshaltung, sich aufgrund der eigenen Mehrheit zu brüsten, wird von Gott scharf kritisiert (72:24). Der Mehrheit anzugehören ist kein positives Zeichen, wie den Versen der Lesung deutlich zu entnehmen ist:

  • Man geht in die Irre, wenn man der Mehrheit folgt. (6:116)
  • Die Mehrheit weiß nicht, dass Gott Zeichen herabsenden kann. (6:37)
  • Die Mehrheit weiß nicht, dass Gott den Lebensunterhalt beschert und Er der Versorger ist. (34:36)
  • Die meisten der Menschen sind Ableugner oder Beigeseller. (12:103,106; 16:83; 17:89; 30:42)
  • Die Mehrheit besteht aus Frevlern. (5:49,81; 9:8; 57:16,27)
  • Die Mehrheit glaubt nicht und hat keine Sicherheit im Herzen. (2:100, 11:17, 13:1)
  • Die meisten Menschen sind unachtsam und beachtungslos. (10:92)
  • Die meisten Menschen sind nicht dankbar. (2:243, 10:60, 12:38)
  • Die Mehrheit folgt nur der Vermutung. (10:36)
  • Die Mehrheit ist stur in der Ableugnung. (25:50)
  • Die meisten der Menschen sind Lügner. (26:223)
  • Die Mehrheit verabscheut die unangenehmen Wahrheiten. (43:78, 23:66)
  • Die meisten wenden sich von der Lesung ab. (41:4 – Und nicht etwa von der Sunna, den Aussprüchen oder sonstigen Zweitquellen)
  • Die meisten Ableugner verwenden ihre Vernunft nicht, sie setzen ihren Verstand nicht ein. (5:103)
  • Die meisten der Menschen wissen nicht, dass Gott die Toten auferwecken und dass der Tag der Auferstehung kommen wird. (16:38, 23:59, 45:32)
  • Die Mehrheit weiß nicht, dass die aufrechte Lebensordnung die Ergebenheit und der Monotheismus ist. (30:30, 3:19, 12:40)
  • Die meisten Menschen wissen nicht, wann der Tag des Gerichts eintreffen wird. (7:187)

Anders betrachtet sind die wertvollen Angelegenheiten, Menschen und Dinge öfters wenig oder in der Minderheit (ein Beispiel für eine Ausnahme wäre Vers 9:38, wonach das diesseitige Leben wenig ist im Vergleich zum Letzten):

  • Dankbar zu sein für die Gaben ist sehr wertvoll, doch es gibt nur wenige Dankbare. Dankbarkeit ist ein Zeichen der Gottergebenheit. (2:243, 10:60, 12:38, 34:13, 7:10, 40:61, 23:78, 27:73, 32:9, 67:23)
  • Diejenigen, die an Noah glaubten und von Gott errettet wurden, waren nur sehr wenige. (11:40)
  • Die Menschen sind im Verlust bis auf die wenigen, die glauben, Gutes tun und zur Wahrheit und Geduld ermahnen. (Kapitel 103, 38:24)
  • Obwohl das nachfolgende Volk von Moses beteuerte, dass sie selbstverständlich für Gott kämpfen würden, nahmen danach nur sehr wenige am Kampf teil. (2:246, 2:249)

Einfach gesagt:

Die Wahrheit ist, weil sie ist. (10:36, 6:116)

 

21:18 Doch wir schleudern die Wahrheit gegen das Falsche, und da zerschmettert sie es, und sogleich vergeht es. Und wehe euch wegen dessen, was ihr da schildert!

Schlüssel zum Verständnis des Koran: Beigesellung (Schirk): Nicht nur Statuen sind Götzen

Millionen von Gottergebenen (Muslimen) glauben heute eine monotheistische Religion zu leben, die aber eher der Beigesellung des Quraisch-Stammes vor der Prophetie Mohammeds ähnelt. Millionen von Menschen von Ägypten bis nach Iran, von Indien bis in die Türkei und in vielen anderen Ländern beten in den Moscheen eindeutig für Gott. Doch nach ihrem Gebet gehen sie über zu den Grabstätten ihrer „Heiligen“ oder gehen zu ihrem Scheich und bitten diesen um Gesundheit, Wohlstand oder Kinder, oder dass diese für sie bei Gott um diese Dinge bitten mögen. Gleichermaßen gibt es Millionen von „Gottergebenen“, die glauben, der Prophet Mohammed könne sie vor Gottes Urteil schützen. So beten sie in ihrem Gebet in der Rezitation des eröffnenden Kapitels zu Gott und versichern ihm, dass sie nur Ihm dienen und nur Ihn um Hilfe erflehen werden (1:5). Als ob sie dieses täglich mehrfach wiederholte Versprechen nie ausgesprochen hätten, bitten sie am selben Tag Mohammed, dass er für sie Fürbitte bei Gott einlegen möge! Wenn man sie auf diesen Widerspruch hinweist, meinen sie, dass sie Mohammed ja Gott nicht beigesellten, obwohl sie wissen müssten, dass der Prophet Mohammed nicht mal die Menschen retten kann, die er liebte (28:56)! Er konnte lediglich zu seinen Lebzeiten (!) nur diejenigen ermahnen, die bereits an Gott geglaubt und sich Ihm ergeben hatten (30:52–53). Nein im Gegenteil, denken diese Leute etwa, Mohammed könnte sie auch jetzt noch hören oder sehen, wobei uns in der Lesung mitgeteilt wird, wie überrascht er sein wird und sich bei Gott über sein eigenes Volk beklagt, dass diese die Lesung verlassen haben (46:9, 7:188, 25:30)?! Solange man ein Beigeseller (Muschrik) ist, wird man nie und nimmer errettet:

 

9:113 Nicht gebührt es den Propheten und denjenigen, die glaubten, dass sie für die Beigeseller um Vergebung bitten, auch wenn sie Nahverwandte wären, nachdem ihnen klar wurde, dass diese die Angehörigen des Infernos sind

 

Nein, sie wollen es auch dann nicht wahrhaben, dass sie in Tat und Wahrheit Mohammed zu Gott beigesellen und sich somit der Beigesellung schuldig machen, wenn ihnen folgender Vers ans Herz gelegt wird:

 

9:80 Ob du für sie um Verzeihung oder nicht um Verzeihung bittest, oder ob du siebzigmal für sie um Verzeihung bittest, Gott wird ihnen niemals verzeihen. Deshalb, weil sie nicht an Gott und Seinen Gesandten glaubten. Und Gott weist den frevelhaften Leuten nicht den Weg.

 

Sie verstricken sich danach in weitere Widersprüche und es ist klar, dass sie Mohammed zum Götzen, zum Beigesellten erhoben haben, ohne dass sie sich dessen bewusst sind oder bewusst sein wollen (10:18). Sie gehören zu jener Gruppe, die Mohammed am Jüngsten Tag ablehnen wird und seine „Fürsprache“ wird daraus bestehen, sie abzulehnen, weil sie entgegen der von ihm überlieferten Lesung ihn idolisierten, ihn zum Götzen erhoben und sich nicht allein auf Gott verlassen haben. Ähnlich werden viele Christen und Juden am Jüngsten Tag überrascht sein, dass sie von Gott als „Beigeseller“ verurteilt werden. Die sogenannten „Gottergebenen“ (Muslime), die von Mohammed Fürsprache erhoffen, sind was die Geisteshaltung betrifft nicht anders als diejenigen Christen, die ihr „Vater unser“ beten und danach hoffen, dass Jesus sie erlösen möge.74 Diese gesellen also Jesus Gott bei. Oder sie sind sogar noch weiter von der Wahrheit entfernt, wenn sie Jesus als Gott ansehen (5: 72, 22: 8), also zu Gottes Wesen etwas beigesellen, was selbst den evangelischen Lehren widerspricht (Markus 10: 18, Lukas 18: 19). Dabei ist es ganz einfach:

 

65:3 … Wer sich auf Gott verlässt, dem genügt Er. …

39:6 Genügt Gott Seinem Diener etwa nicht? …

 

Diese sogenannten „Gottergebenen“ gehören zu jenen, die die Botschaft der Lesung nicht verstanden haben und auch nicht verstehen werden, solange sie ihren Irrtum nicht als Irrtum akzeptieren – oder anders gesagt nicht bereit sind, ihr komplettes Weltbild, ihre gesamte Identität aufzugeben, was im Endeffekt nichts anderes ist als sich Gott zu ergeben und dem Irrglauben ein Ende zu setzen, man sei bereits rechtgeleitet.

Es ist hierbei wichtig zu verstehen, dass die Beigeseller vom Stamme Quraisch die Gebete genauso verrichteten wie wir heute, doch sie hatten damals ihre Götzen Allat, Al-‘Uzzah, Manat und weitere Beigesellte, um für Gesundheit, Wohlstand, Fürsprache oder Kinder zu bitten. Die Beigesellung ist im Prinzip gleich geblieben, nur die Beigesellten, die Götzen sind verschieden. Anders gesagt sind nur die Namen der Beigesellten neu.

 

12:106 Die meisten unter ihnen, die an Gott glauben, gesellen Ihm (andere) bei.

 

Es ist deshalb von äußerster Bedeutsamkeit, die Wahrheit zu verinnerlichen, dass nicht nur Statuen Götzen sein können, die Gott beigesellt werden, sondern beispielsweise auch:

  • Ihre Kinder (7: 190),
  • Ihre Eltern, Geschwister, Verwandten oder Ihr Ehepartner (9: 24),
  • Ihr Geschäft bzw. Ihre Arbeit (18: 35) und
  • Ihr Ego (25: 43).

Zu glauben, dass Gott der Schöpfer der Himmel und der Erde ist, schützt einen nicht vor der Beigesellung, dem Virus des Denkens, der sich in uns einnistet und unsere Gedanken verdreht (12:106), sodass in Tat und Wahrheit unser „Gott“ das ist, was uns am meisten beschäftigt. Merken Sie sich diesen Satz:

 

Ihr Gott ist wer oder was auch immer Ihre Gedanken die meiste Zeit beschäftigt.

– Rashad Khalifa

 

Gott weist uns in der Lesung selbst an, wie wir uns davor schützen können und ich möchte dies nur kurz anschneiden, da man auch dazu ein eigenes Buch verfassen könnte: Wir müssen Gottes häufig gedenken (33:41–42), wie zum Beispiel vor dem Essen (6:121) oder wenn wir über die Zukunft reden (18:23–24) oder allgemein unsere Dankbarkeit zum Ausdruck bringen wollen. Es ist auch nicht von ungefähr, dass wir die Kontaktgebete (ṣalāh) regelmäßig verrichten müssen, da eine ständige, bewusste, richtig aufgebaute und tief empfundene Verbindung mit Gott, also in wirklichem Kontakt zu stehen mit Gott, von den Schändlichkeiten dieser Welt abhalten wird (29:45). Das Kontaktgebet (aṣ-ṣalāh) wird neben anderen zentralen Begriffen wie Läuterung (zakāh), Gerechtigkeit (qisṭ), Debatte (ḥadsch) oder Fasten (ṣawm) mit Gottes Erlaubnis in einem zweiten Buch näher betrachtet.

 

20:14 Wahrlich, Ich bin Gott. Es ist keine Gottheit außer Mir; darum diene Mir und verrichte das Kontaktgebet zu Meinem Gedenken.

 

Gelehrten, die politisches Kalkül betreiben

Schlüssel zum Verständnis des Koran: Beigesellung (Schirk) – Der Virus des Denkens

Bevor ich zur eigentlichen Anwendung unserer Auslegungsmethodik übergehe, müssen noch einige wichtige Themen angesprochen werden, damit von vornherein viele Fehler vermieden werden können. Ich werde auch in den nächsten Abschnitten die soeben vorgestellte Methodik nur teilweise anwenden, um den Rahmen dieses Buches nicht zu sprengen. Das Thema der Beigesellung (schirk) könnte man ohnehin in einem eigenen Buch behandeln.

Gelehrten, die politisches Kalkül betreiben

Dies ist ein dunkles Kapitel in Anbetracht der jetzigen Situation, wie sehr sich die „Muslime“ die an sie offenbarte Lesung zu Herzen genommen haben. Denn die Lebensordnung der Gottergebenheit (Islām) wurde durch die Mutmaßungen, Dogmen, Doktrinen und Hinzufügungen über die Jahrhunderte hinweg dermaßen verzerrt, dass es mit der Hingabe, der Gottergebenheit, den der Prophet Mohammed durch die Lesung (Koran) verkündete, nichts mehr zu tun hat. Die so genannten Religionsgelehrten haben im Namen der Religion Hunderte von Gesetzen und Verboten erfunden und somit Gottes Religion, die Gottergebenheit, durch eine verwirrende und nicht praktizierbare Religion ersetzt. Diese erfundene Religion nenne ich seit fast einem Jahrzehnt schon den Mainstream-Islām oder Menschen-Islām: Mislām. Die Religionsgelehrten haben für die Verirrung vieler Muslime gesorgt, indem sie diese Menschen glauben ließen, dass der Mislam die Gottergebenheit (Islām) darstelle. Sie haben sie hinters Licht geführt, indem sie sie im Irrtum ließen, dass das, was sie ausleben, die Lebensordung (dīn) sei, die Gott für uns vorsah. Doch die Außenstehenden seien ebenso gewarnt: Das Problem ist um einiges komplexer, als es hier angerissen wird. Ich möchte an dieser Stelle die Nichtgottergebenen dazu ermuntern, sich mit uns auf eine Reise zu begeben, mit dem Ziel, dass wir gemeinsam das Bestreben teilen, die beste verfügbare Lösung für ein gegebenes gesellschaftliches Problem zu finden (39:18, 13:11). Die Probleme sind schwierig, aber nicht unüberwindbar und erfordern von allen den nötigen gegenseitigen Respekt, damit eine gemeinsame Arbeit erst ermöglicht wird.

Es darf deshalb nicht sein, dass der Nichtgottergebene vorschnell über äußerliche Missstände urteilt und dabei das wahre Übel verkennt. Dies ist leider schon ein altes Problem. Um es mit den Worten des Orientalisten Max Horten aus dem Jahre 1916 zu sagen, der im Vorwort seiner Übersetzung „Muhammedanische Glaubenslehre – Die Katechismen des Fudali und Sanusi“ folgendes schrieb:

 

„Manche Europäer brüsten sich mit einigen Kenntnissen äußerer Formen des Islam und treten dann dem Orientalen mit dem Selbstbewusstsein gegenüber, Sinn und Geist seiner Religion verstanden zu haben. In diesem Gebaren mancher Europäer liegt eine schwere Verletzung des Ehrgefühls und des religiösen Bewusstseins des Muslim. Er, wenn er auch nur ein Halbgebildeter ist, hat ein tieferes Verständnis der Lehre (Dogmatik und Moral seiner Religion), als der oberflächlich gebildete Europäer auch nur zu begreifen imstande ist. Er empfindet, dass der Europäer von den vielfach so großzügigen Gedanken der islamischen Religion auch nicht den Schatten eines Verständnisses hat und in Ermangelung eines solchen glaubt, der Islam bestehe aus nichts anderem als kultischen Äußerlichkeiten und Ähnlichem.“

 

Herr Hortens Worte sind leider auch heute noch aktuell. In Europa ansässige Muslime leben häufig mit dem Bewusstsein, nicht verstanden worden zu sein und auch nicht verstanden werden zu wollen.

Nichtsdestotrotz ist der Zustand der sich als muslimisch bezeichnenden Welt in weiten Teilen leider katastrophal. Der Grund, wieso diese Völker in politischer, sozialer, wissenschaftlicher und ökonomischer Hinsicht derart zurückgeblieben sind, wurzelt in den polytheistischen Religionsgelehrten und den Politikern, die wissen, wie diese Gelehrten auszunutzen und einzusetzen sind. Sie haben die Religion kaltblütig und berechnend als Opium für die Massen eingesetzt und werden alles daran setzen, die Massen weiterhin unter ständigem Einsatz ihres giftigen, geistigen Opiums unter Schach zu halten. Sie werden versuchen die Gottergebenen daran zu hindern, die Offenbarung Gottes und Seine an uns übermittelte Lebensordnung wirklich zu verstehen (41:26). Denn sie wissen genau, dass die Lesung eine immense geistige Befreiung mit sich bringt und ihre künstliche Autorität für ungültig erklärt (9:31). Jene sind nämlich die menschlichen Satane, vor denen wir in der Lesung gewarnt werden (6:112). Der Begriff Gottergebenheit (Islām) stellt nämlich, anders als wir gelehrt wurden, keine besondere Bezeichnung dar, sondern ist vielmehr seit Beginn der menschlichen Geschichte das Paradigma aller Gottesergebenen. Die Lebensordnung der Gottergebenheit ist universell (3:83), bewirkt die Vereinigung der Rassen (49:13), wirkt friedensstiftend zwischen den Völkern (2:62; 2:135–136, 2:208, 30:20), spricht jedem die Gerechtigkeit zu (5:8), erfordert nebst dem Empirismus auch die möglichst objektiven Beweise (3:86; 2:111; 21:24; 74:30; 4:82) und hat ein geschütztes und mathematisch kodiertes Buch (15:9; 2:23; 74:30; 83:9,20). Darüber hinaus vertritt sie den generellen Frieden und die Realität (60:8–9), kennt keine Mittler und keinen Klerus (2:48; 9:31,34), fordert die Aufteilung der Reichtümer (59:7), zeigt keine Toleranz gegenüber produktionsloser Ökonomie (5:90; 3:130), sieht für die Bewältigung gesellschaftlicher Aufgaben die gemeinschaftliche Beratung vor (42:38), gibt dem Individuum einen großen Wert (5:32), gibt der Frau mehr Wert, als die meisten es sich eingestehen wollen (3:195; 4:124; 16:97) und will von uns, dass wir mit der Natur und der Umgebung in Harmonie leben (30:41, 42:30-31, 4:79). Von den Gelehrten verlangt die Lebensordnung der Gottergebenheit, dass diese die Irrungen und Korruptionen innerhalb der Gesellschaft aufdecken (5:63).

Allein aufgrund dieser Verse und ihrer Neuformulierung in unsere heutige Sprache sehen wir, wie verfehlt die Ansichten selbst vieler Gottergebener sind, was die Lesung betrifft. Es ist demzufolge einfach einzusehen, dass sich der Prophet Mohammed am Jüngsten Tag beklagen wird, dass seine eigenen Anhänger die Lesung, den von ihm klar übermittelten Koran verlassen haben, denn der Gesandte wird sagen: Herr, mein Volk hat gewiss diesen Koran verlassen! (25:30)

Deshalb ist es wichtig, dass wir dieses Kapitel über „Schirk“ (Beigesellung, Polytheismus) tiefgreifend verstehen, wenn wir auch nicht die Bedeutung des Wortes total ausschöpfen werden.

Die wichtigste Botschaft, die ich mitteilen will, kann in folgendem Prinzip zusammengefasst werden:

Alles oder jeder außer Gott kann zum falschen Idol, zum Götzen, zur falschen Autorität oder Gottheit werden. Dies kann ideell, geistig, physisch oder materiell ausgeprägt sein. Dann ist es aufgrund der selbstverschuldeten Achtlosigkeit, diese Idole, Götzen, Autoritäten oder Gottheiten zum Zentrum des eigenen Lebens werden zu lassen, dass man sich selbst vor der Rechtleitung Gottes ver- und ausschließt.

Gott macht uns in der Lesung unmissverständlich klar, dass mit der Beigesellung (schirk) nicht zu spaßen ist, denn:

 

4:48 Gott vergibt nicht, daß Ihm beigesellt wird, und Er vergibt, was darunter liegt, wem Er will. Und wer Gott (andere) beigesellt, hat eine gewaltige Sünde erdichtet.62

 

Die sprachliche und kontextuelle Bedeutung von Beigesellung (schirk)

Das Wort „Schirk“ (شرك) stammt von der Wurzel schīn-rā-kāf (ش ر ك) ab und hat stets mit der Grundform gesellen zu tun. Von der Bedeutung her lässt es sich gut vorstellen als eine Partnerschaft zweier vorher getrennter Dinge oder Personen. So wird das Verb scharika (شَرِكَ) als teilnehmen verstanden, sich also einer Sache anzuschließen, sich jemandem oder etwas dazugesellen. Nicht von ungefähr entspricht dann auch das Wort „Gesellschaft“ dem arabischen Wort scharika (شَرِكَة). In der Lesung werden folgende Ableitungen dieser Wurzel verwendet:

  1. Fünfmal als das Nomen schirk (شِرْك) in 31:13, 34:22, 35:14, 35:40 und 46:4: Beigesellung
  2. 40 Mal63 als das Nomen scharīk/schurakāʾ (شَرِيك – شُرَكَاء): Beigesellte(r), Partner, Teilhaber
  3. Einmal als Verb des dritten Verbstammes schārik (شَارِكْ) in 17:64: geselle bei (Imperativ)
  4. 71 Mal64 als das Verb des vierten Verbstammes aschraka (أَشْرَكَ): beigesellen
  5. 49 Mal65 als das aktive Partizip des vierten Verbstammes in männlicher oder weiblicher und in singularer oder pluraler Form als muschrik (مُشْرِك), muschrika (مُشْرِكَة), muschrikūn (مُشْرِكُونَ) und muschrikāt (مُشْرِكَٰت): Grundform „Beigesellender“ als Bezeichnung für den, der beigesellt
  6. Zweimal als das aktive Partizip des achten Verbstammes muschtarikūn (مُشْتَرِكُون) in 37:33 und 43:49: sich beigesellend

Im religiösen Sinne, also in der Bedeutung, wie das Wort in der Lesung verwendet wird, heißt dies, dass der Souveränität, Einheit und Autorität Gottes, dem Schöpfer allen Seins, etwas oder jemand beigesellt wird, sodass er/sie oder es ganz oder teilweise die Eigenschaften übernimmt, die in Wahrheit allein Gott zustehen. Dieses etwas oder dieser jemand kann bewusst oder unbewusst Gott beigesellt werden. In allen Fällen bedeutet dies, dass man Gott den Erschaffer nicht als alleinigen Gesetzgeber, alleinigen Gott oder alleinige Quelle allen Heils betrachtet. Man mag zwar durch Lippenbekenntnis Gottes Einheit bekennen, wie dies in der sogenannten Bezeugung (schahādah) geschieht, doch in Tat und Wahrheit werden Gott ein oder mehrere Teilhaber oder Partner zugesprochen. Dies betrifft jegliche Form der göttlichen Autorität, jegliche Aspekte, die laut der Lesung Gott allein zustehen, sei es nun was die Anbetungswürdigkeit oder auch die Hoffnung auf Vergebung betrifft.

Aber wieso sollte es für uns schlecht sein, wenn wir über Gott falsch denken? Welchen Schaden sollte die Beigesellung bei Gott schon anrichten können, wo Er der Absolute ist? Und wieso ist es gerade diese Form der Sünde, welche in der Lesung eine immense theologische Bedeutung erhält? Leider sind die wenigsten der Gottergebenen dieser Frage nachgegangen und wenn sie solche Fragen stellten, wurden sie zu großem Bedauern im Kindesalter im Keim erstickt durch soziale Einschüchterung oder gar durch Gewalt in den Moscheen. Es ist nun an der Zeit, dass wir als Gemeinschaft beginnen, diese zentralen Fragen erneut zu stellen mit dem Bewusstsein, dass wir nicht Gott hinterfragen, sondern versuchen besser zu verstehen, wieso das, was Gott in der Lesung offenbarte, auch wirklich gut für uns ist.

Gott hat den Gottergebenen versprochen, dass Er ihnen in jeglicher Lage beistehen und helfen wird. Er versprach den Gottergebenen, dass sie reichlich mit der Gunst und den Gaben Gottes beschenkt würden, folgten sie nur aufrichtig und getreu Seinem Wort. Dies ist nicht zuletzt auch im weltlichen Sinne zu verstehen: Folgten die Menschen, die sich „Muslime“ nennen, aufrichtig und getreu Gottes Wort in der Lesung, so wären sie nicht in der jetzigen politischen, sozialen, ökonomischen und wissenschaftlichen Situation.

 

40:51 Wahrlich, helfen werden wir unseren Gesandten und denen, die gläubig sind, im diesseitigen Leben und an dem Tage der Auferstehung.66

 

Der Schirk ist eine dermaßen tiefgreifende Angelegenheit, dass man von jeglicher göttlicher Leitung ausgeschlossen wird, wenn man sich mit diesem Virus des Denkens und Fühlens ansteckt und in diesem Zustand verbleibt, bis man wieder aus Eigeninitiative heraus die eigene Ausgangslage ändert (13:11, 5:105, 8:53). Dieser Zustand hat nicht nur zur Folge, dass man in weltlichen Angelegenheiten zurückbleibt, sondern gleichzeitig auch im Verständnis der Schrift Gottes keinen Zugang zur göttlichen Wahrheit erhält.

 

17:45–46 Und wenn du den Koran vorträgst, legen Wir zwischen dich und jene, die nicht an das Jenseits glauben, einen verborgenen Schleier; Und Wir legen Hüllen auf ihre Herzen, so daß sie ihn nicht verstehen, und in ihre Ohren Taubheit. Und wenn du im Koran deinen Herrn nennst, Ihn allein, so wenden sie ihre Rücken in Widerwillen.67

18:57 Und wer ist ungerechter als der, der an die Verse seines Herrn gemahnt wurde, sich aber von ihnen abwandte und vergaß sich seiner Sünde bewusst zu sein? Wahrlich, Wir haben Schleier über ihre Herzen gelegt, so dass sie ihn (den Qur’an) nicht begreifen, und Taubheit in ihre Ohren. Und selbst wenn du sie zum rechten Weg rufst, werden sie nie den rechten Weg einschlagen.

20:124–127 Und dem, der sich jedoch von meiner Ermahnung abkehrt, wird ein Leben in Drangsal beschieden sein, und am Tage der Auferstehung werden Wir ihn blind vor Uns führen.“ Er wird sagen: „Mein Herr, warum hast Du mich blind (vor Dich) geführt, obwohl ich sehen konnte?“ Er wird sprechen: „Es sind ja Unsere Zeichen zu dir gekommen, und du hast sie missachtet – also wirst heute nun du missachtet sein!“ Und ebenso belohnen Wir auch den, der maßlos ist und nicht an die Zeichen seines Herrn glaubt; und die Strafe des Jenseits ist wahrlich strenger und nachhaltiger.68

 

Das Wohlergehen einer Gesellschaft und auch des Individuums – geistig wie auch materiell – hängt also davon ab, ob man sich erfolgreich in weltlichen und jenseitigen Angelegenheiten von der Beigesellung fernhält. Jeder Mensch, der Gottes Wort befolgt, ob es nun bewusst oder unbewusst geschehen mag, wird in dieser Welt die Belohnung dafür erhalten, dass er Gottes Wort einhielt. Gottes Worte einzuhalten bedeutet in anderen Worten, dass abhängig davon, in welchem Lebensbereich sie im Leben umgesetzt werden, dieser Lebensbereich Gottes Segen erhält. Wir wissen auch aus der Lesung, dass sich Gottes Vorgehen niemals ändert.69 Gott wird also keinen Unterschied zwischen Ableugnern und Gläubigen in dieser Welt machen (20:127,131). Ein Ableugner wird weltlich genauso belohnt wie ein Gläubiger, wenn er Wissenschaft betreibt, er also zu denen gehört, die das Wissen schaffen. Wer wissenschaftlich aktiv ist, wird einen Vorteil haben und darüber hinaus Gottes Offenbarungen und Zeichen tiefgreifender verstehen können, welche sowohl in der Natur als auch in der Lesung vorhanden sind.70 Dies erklärt teilweise die zurzeit vorhandene materielle und wissenschaftliche Überlegenheit Europas und Amerikas.71 Solange also keine Zentren aufgebaut und gepflegt werden für mathematische, geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Institute, werden diese Länder immer zurückbleiben, mögen sie auch noch so gläubig und fromm erscheinen, weil Frömmigkeit auch bedeutet, Wissen voranzutreiben. Ohne Wissenschaft ist kein Glaube möglich.

Das verheerende Problem ist ja gerade, dass die meisten der Gottgläubigen selbst nicht wissen, dass sie der Beigesellung zum Opfer gefallen sind. Sie sind sich dessen in diesem Leben nicht bewusst, dass sie Götzendiener sind. Selbst am Jüngsten Tag werden sie überrascht sein.

 

6:22–24 Und am Tage, an dem wir sie alle versammeln werden, werden wir zu denen, die Götzen anbeten, sprechen: „Wo sind nun eure Götter, die ihr wähntet?“ Dann werden sie keine andere Ausrede haben als zu sagen: „Bei Gott, unserem Herrn, wir waren keine Götzendiener.“ Schau wie sie sich selbst belügen und das, was sie sich ausdachten, sie im Stich lässt.

12:103 Und die meisten Menschen werden nicht glauben, wenn du es auch noch so eifrig wünschst.

12:106 Und die meisten von ihnen glauben nicht an Gott, ohne dass sie Beigeseller sind.

18:103–104 Die schlimmsten sind diejenigen, die sich abwenden, und dann meinen, sie seien rechtgeleitet.72

 

Sie werden also aufgrund ihrer selbstverschuldeten Verirrung in der Beigesellung meinen, sie seien diejenigen, die die Wahrheit besitzen. Nichts kann schlimmer sein als die Verharrung im Irrglauben, man folge der Wahrheit, wo die Wahrheit ganz woanders zu finden ist. Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, eine innere Haltung zu entwickeln, die andere Meinungen nicht von vorneherein als „falsch“ ansieht, weil es nicht mit dem eigenen Weltbild übereinstimmt, denn die Wahrheit ist ein Wandelgestirn und wer mürrisch auf seinem Standpunkt verharrt, von dem wird sich die Wahrheit Gottes entfernen.

 

10:39 Nein, sondern sie verleugneten das, dessen Wissen sie sich nicht aneigneten und dessen Exegese ihnen noch nicht zuteil wurde. Solcherart haben diejenigen vor ihnen geleugnet. So siehe, wie das Anschließende der Unrecht-Begehenden war.73

 

Es gehört also selbstredend zum guten Ton eines Gottergebenen, sich gegenüber jeder Meinung aufgeschlossen zu zeigen (39:18) und Geduld zu entwickeln, um keine voreilige Meinung zu bilden (10:39). Nur das, was aus Geduld und reiflicher Überlegung entsteht, kann wachsen und zu etwas Fruchtbarem gedeihen.

Halal Fleisch im Islam – Gibt es halal Fleisch laut Koran?

Ich suche Zuflucht bei Gott vor dem verworfenen Satan
Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen

Frieden liebe Geschwister!

Wir wissen alle, dass für uns Gottergebene (Muslime) in der friedlichen Gottergebenheit (Islām) das Schweinefleisch und bezüglich des Schweines nur das Schweinefleisch verboten ist. Gelatine oder andere Teile des Schweins sind also erlaubt (ḥalāl). Doch wie steht es um die allgemeine Schlachtung der Tiere? Man hat doch mal was vom Schächten gehört und dass es rigide Vorschriften gäbe, wie etwa dass das Tier nach Mekka, genau genommen nach der sogenannten Qibla gerichtet werden müsse? Und wie steht es um das von Christen und Juden geschlachtete Fleisch? Gibt es so etwas wie halal Fleisch überhaupt?

Die wichtigste Frage ist jedoch, wie wir herausfinden können, was überhaupt erlaubt und verboten (ḥarām) sein kann. Es gibt eine einfache Art in der Lesung (deutsch für Koran oder „al-qurʾān“), wie man etwas als erlaubt oder verboten bezeichnen kann. In der Lesung gibt es nämlich einen Vers, der folgendes aussagt:

 

6:114 Wen außer den Gott soll ich als Richter suchen, wo er es doch ist, der die Schrift detailliert zu euch herab sandte? Diejenigen, denen wir das Buch zukommen ließen, wissen, dass es von deinem Herrn mit der Wahrheit herabgesandt wurde. So sei nicht unter den Zweiflern.

 

In einem anderen Vers lernen wir, dass die Lesung für die Gottergebenen genügt (29:51). Wenn man die Lesung kennt, so ist es in Wahrheit noch schwerwiegender. Es gilt nur das, was Gott offenbarte. Alles, was Er nicht offenbarte und offen ließ, ist unserem Ermessen überlassen (5:101). Wir dürfen im Namen der Religion keine Falschheiten verbreiten und etwas für verboten erklären, das Gott nicht verboten hat. Denn dadurch würde man sich als weiteren Gesetzgeber und weiteren Richter neben Gott behaupten und sich so seiner Souveränität und Autorität beigesellen. Und die Beigesellung (schirk) ist die Kapitalsünde schlechthin (4:48) in der Lebensweise (dīn), die Gott für uns vorsah. Wir dürfen also nichts Falsches behaupten (16:116) und dürfen nur das wiederholen, was Gott offenbarte:

 

10:59 Sage: „Was meint ihr, dass ihr das für verboten und erlaubt erklärt, was der Gott für euch an Versorgung herabsenden ließ?!“ Sage: „Hat euch dies der Gott erlaubt oder erfindet ihr etwas über den Gott?“

5:87 O ihr, die ihr glaubt, verbietet nicht die guten Dinge, die der Gott euch erlaubte, und übertretet nicht. Gewiss liebt der Gott nicht die Übertretenden.

 

Es ist für uns also verboten, etwas anderes zu behaupten als das, was der Schöpfergott uns herabsandte in seiner Lesung. Nein, es ist nicht nur für uns verboten, sondern darüber hinaus deutlich auch unserem geliebten Propheten Mohammed, etwas Neues zu erfinden (66:1), wonach der Prophet getadelt wird von Gott, etwas Neues hinzugedichtet zu haben, um seinen Partnerinnen zu gefallen, indem er etwas Erlaubtes verboten hat! Dieses Beispiel unseres Propheten zeigt uns klar, dass in Bezug auf das Essbare nur das als wahr gilt, was unser Gott in der Lesung offenbarte. Nur Blut, Totes, Schweinefleisch und das, was anderen Wesen oder Menschen als Gott gewidmet wurde, ist verboten und sonst nichts (2:173, 5:3, 6:145, 16:115)! Erfindungen wie die Richtung beim Schlachten der Tiere oder das angebliche Schächten kommt in der Lesung Gottes nicht vor und sind somit als Lügen und Unwahrheiten abzulehnen.

Doch wenn außer diesen vier Nahrungsmitteln nichts verboten und die meisten Regeln für das „halal Schlachten“ erfunden sind, wie verhält es sich dann mit der Erwähnung des Gottesnamens bei der Schlachtung? Sind wir nicht dazu verpflichtet, Ihn zu erwähnen? Betrachten wir hierzu erst einmal eine klassische Übersetzung des folgenden Verses:

 

6:118 Eßt von dem, worüber der Name Gottes ausgesprochen worden ist, so ihr an seine Zeichen glaubt. (Übersetzung von Khoury)
Transliteration: Fakulū Mimmā Ḏukira Asmu Allāhi `Alayhi ‚In Kuntum Bi’āyātihi Mu’minīna

 

Fast alle Übersetzer geben diesen Vers und verwandte Ausdrücke (z.B. in 5:4, 6:119, 6:121, 6:138, 22:28, 22:34, 22:36, 22:40) auf diese oder ähnliche Art wieder. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie im Vers die entsprechende Formulierung als „worüber Gottes Name ausgesprochen wurde“ interpretieren. Dies wird als Beleg verwendet, dass man doch den Namen Gottes erwähnen müsse beim Schlachten. Jedoch begeht man hier einen folgenschweren Fehler, wenn man dieser falschen Annahme folgt. Die Begründung ist einfach: „Worüber Gottes Name ausgerufen wurde“ bedeutet nämlich nicht dasselbe wie „worüber beim Schlachten Gottes Name ausgerufen wurde“ und darüber hinaus wurde das Essen der Schriftbesitzer, also das Essen der Christen und Juden für erlaubt erklärt:

 

5:5 Heute sind euch die guten Dinge erlaubt. Das Essen derer, denen das Buch zugekommen ist, ist euch erlaubt, und euer Essen ist ihnen erlaubt. …

 

Foto: Luca Rossato, CC BY-NC-ND 2.0

Die eigene Interpretation ist also fehleranfällig, wenn wir Vers 5:5 der Lesung außer Acht lassen. Wir müssen also genau formulieren: Die Aussage „nur das ist erlaubt, worüber Gottes Name ausgesprochen wurde beim Schlachten“ ist als Erfindung und somit als Lüge über den einen Gott zu werten. Es wird von uns nirgends verlangt, das Schlachten der Tiere durch die Schriftbesitzer zu beobachten und nachzuprüfen. Wenn wir aber wissen, dass Gottes Geschöpfe gemäß einer Lebensordnung (dīn) geschlachtet wurden, die fälschlicherweise Gott oder einer anderen Gottheit gewidmet ist, so dürfen wir das Essen nicht konsumieren, da wir ansonsten diese Blasphemie bestätigen. Durch den Vers 5:5 aus der Lesung wird jedoch das Essen von denen, die sich nicht als Gottergebene bezeichnen, für erlaubt erklärt. Wir können also grob gesagt ruhigen Gewissens das Essen verzehren, das in fremden Küchen gekocht oder in uns unbekannten Metzgereien geschlachtet wurde. Betrachten wir jedoch auch die anderen Verse, die ich oben in Klammern erwähnte, so wird folgendes klar:

 

  1. Uns sind die guten Dinge erlaubt und wir haben Gottes Namen zu gedenken, mindestens beim Verzehr. (5:4, 6:118-119, 22:28)
  2. Jede Gemeinschaft hat einen eigenen Ritus, welcher den Namen Gottes in irgendeiner Form beinhaltet (22:34). Dies wäre im Allgemeinen unmöglich, wenn der Name Gottes ausgesprochen werden müsste und geht nur, wenn wir das Verb gedenken angemessen berücksichtigen, was unter anderem sowohl das Aussprechen als auch ein im Herz gesprochener Gedanke bedeuten kann.
  3. Wir als Gottergebene müssen, wenn wir selbst schlachten, des Namen des einen Gottes gedenken. (22:36)
  4. Wenn wir als Gottergebene etwas schlachten oder auch schlachten lassen, so müssen wir einen Teil den bedürftigen Menschen abgeben. (22:28, 22:36)
  5. Die Tiere sind nicht nur zum Verzehr da, sondern bieten uns vielfältigen Nutzen an. (22:28)
  6. Das Schlachten an sich stellt keinen Gottesdienst dar. (22:37)

 

Genauso wenig bedeutet ausgerufen oder ausgesprochen nicht dasselbe wie das in Vers 6:118 verwendete Wort gedenken (ḏukira). Auch in allen anderen, ähnlichen Versen wird dieses Verb gedenken verwendet. Wir sollen also Gottes Namen gedenken, wenn wir essen. Dies kann auch erst beim Essen am Tisch geschehen und kann genau genommen auch nur im Herzen und in Gedanken erfolgen. Nochmals wiederholt: Des Namen Gottes muss mindestens vor dem Essen gedenkt werden, egal wer das Tier wie geschlachtet hat. Nur wenn wir erfahren, dass bewusst der Name Gottes ausgelassen wurde (6:121) oder das Essen einem anderen Wesen als dem Gott oder einem Menschen gewidmet wird, ist es uns verboten (2:173, 5:3, 6:145, 16:115). Doch lesen wir 6:121 einmal genauer:

 

6:121 Und esst nicht von dem, worüber des Namens Gottes nicht gedacht wurde. Das ist wahrlich ein Frevel. Die Satane geben gewiss ihren Verbündeten ein, damit sie mit euch streiten. Wenn ihr ihnen gehorcht, seid ihr gewiss Beigeseller.

 

Auf jeden Fall gehört die Achtsamkeit (at-taqwá) gegenüber Gott und Seiner Schöpfung zu den Tugenden der Gottergebenen.Dieser Vers darf nun nicht missverstanden werden nach all dem, was bisher geschrieben wurde. Bevor man voreilig zu Schlüssen gelangt, sollte man sich folgendes vor Augen führen: Der Vers beginnt mit einer allgemeinen Aussage und gilt nicht nur für Fleisch. Wenn wir uns also auf Vers 6:121 beziehen, gilt dies für sämtliche Nahrungsmittel und überall, wo man etwas essen kann. Das gilt sowohl für die heimische Küche als auch für andere Orte wie Restaurants, Cafes, Kantinen, Mensas, Take Aways und sonstigen Ständen. Des Weiteren müsste man die Schriftbesitzer immer danach fragen, ob sie bei der Zubereitung ihres Essens Gottes Namen gedacht haben, um zu wissen, ob ihr Fleisch auch erlaubt ist. Doch das stünde dem Vers 5:5 entgegen, der uns das Essen der Schriftbesitzer pauschal erlaubt bis auf das bereits Verbotene. Also kann das Gedenken des Gottesnamens nicht allgemein gemeint sein in 6:121, da man ansonsten so gut wie nichts mehr essen dürfte und nicht nur Fleisch damit gemeint ist.

Wie ist der Vers aber nun zu verstehen?

Dafür müssen wir die Verse 6:119, 22:37 und die Verse um 6:138 herum berücksichtigen. Allgemein handelt das sechste Kapitel ab Vers 114 von den Nahrungsmitteln, der Botschaft und den Zeichen Gottes. Dieser Bereich des sechsten Kapitels macht uns deutlich, dass es nur jemanden gibt, der das Essen für erlaubt oder verboten erklären kann und darf: Gott allein. Die Verse 6:136-138 geben uns zu verstehen, dass die Beigeseller ihre eigenen Regeln in Bezug auf die Versorgung Gottes aufstellen und diese erfundenen Regeln Gott zudichten und den Menschen als Lebensordnung Gottes auferlegen (vgl. auch 42:21). In Zusammenhang mit Vers 22:37 wird also klar, dass hiermit eine erfundene Tradition abgelehnt wird: Die Beigeseller erwähnten Gottes Namen bewusst nicht und die Gottergebenen müssen diese Nahrungsmittel vergehen lassen – Gott zuliebe (6:121). Die Gottergebenen wissen nämlich, dass Gott allein der Versorger ist und diese Wahrheit niemals vergessen gehen darf. Es ist also eine spirituelle Rebellion gegenüber dem Fehlverhalten der Beigeseller, eine religiöse Botschaft der Wahrheit.

Bevor ich zum Ende des Artikels gelange, möchte ich noch einen weiteren Gedanken anregen in Bezug auf den fünften Punkt aus der obigen Liste: Gott sagt in der Lesung über die Tiere, dass sie Völker wären wie wir es sind. Damit ist meines Erachtens gemeint, dass sie genau wie wir lebende, fühlende Wesen sind.

 

6:38 Und es gibt kein Tier auf der Erde und keinen Vogel, der mit seinen Flügeln fliegt, ohne dass es Gemeinschaften wären gleich euch. Wir haben im Buch nichts ausgelassen. Danach werden sie zu ihrem Herrn versammelt.

 

Neben diesem Vers wird uns beispielsweise in 5:88 geboten, das zu essen, was erlaubt und gut ist (in gewissen Übersetzungen steht ‚köstlich‘ anstelle von gut). Wir müssen uns demnach die Frage stellen, ob dieses Gebot nach dem Verzehr des Guten nicht direkt auch bedeutet, dass die fühlenden, lebenden Tiere selbst gut behandelt werden müssen. Wenn es ihnen nicht gut geht, wie kann das Fleisch dieser Tiere dann ethisch gesehen gut sein? Siehe hierzu auch die Verse 5:5, 8:69, 7:157, 16:114 und 20:81. Wir müssen uns weiter fragen, ob wir weiteren gedankenlosen Traditionen nachfolgen wie zum Beispiel dem Opferfest.

Auf jeden Fall gehört die Achtsamkeit (at-taqwá) gegenüber Gott und Seiner Schöpfung zu den Tugenden der Gottergebenen.

Gepriesen sei Gott und Dank sei Ihm für all Seine unzählbaren Versorgungen!
Mögen wir als Gottergebene gegenüber Gott und Seiner Schöpfung achtsamer werden.

Thema des Monats März 2014: Autoritäten – wer kontrolliert Ihre Gedanken?

Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen

Der Frieden sei mit euch liebe Leserinnen und liebe Leser, und Gottes Barmherzigkeit wie sein Segen!

So Gott will werden wir jeden Monat ein ausgewähltes Thema unseren Lesern zum Kommentieren anbieten. Damit möchten wir unseren Lesern die Möglichkeit geben, Einblicke zu erhalten, wie unterschiedlich die Menschen zum selben Thema denken können. Ähnlich einer Pinnwand, an der wir unsere Gedanken “pinnen” können. Einfach am besten spontan antworten!

 

Thema des Monats März 2014: Autoritäten – wer kontrolliert Ihre Gedanken?

Es gibt eine Krankheit, besonders bei einer überwältigenden Mehrheit der Mainstream-Muslime, die bewusst oder unbewusst, direkt oder indirekt die Vernunft nur soweit akzeptieren, wie sie ihre Weltsicht nicht gefährdet. So gibt es die Redewendung bei traditionalistischen Muslimen, die das selbständige Denken kritisieren, welche „die Überlieferung ist höher als die Vernunft“ lautet (an-naql ‚ala al-aql). Dieser Spruch besagt, dass die Vernunft an sich nicht die Wahrheiten erkennen könne, die doch schon bereits in der Tradition (Überlieferung) vorgedacht (vorgekaut) und niedergeschrieben wurden. So werden die früheren Gelehrten und ihre Werke zu Autoritäten erhoben, die bewusst oder unbewusst als Quellen der Weisheit fungieren und stellvertretend für uns denken.

 

9:31 Sie nahmen sich ihre Gelehrten und ihre Mönche als Herren anstelle Gottes, auch den Messias, den Sohn Marias. Und ihnen wurde nichts befohlen, außer einem einzigen Gott zu dienen. Kein Gott außer ihm. Gepriesen ist er über das, was sie beigesellen

 

Um diesen Einfluss loszuwerden, müssen wir zuerst den Irrglauben über den Haufen werfen, dass der Mensch stets jemand anderen bräuchte, der ihm die Angelegenheit X erklären muss, weil er selbst nicht dieselben „Fähigkeiten“, dieselbe „Intelligenz“ oder „Erfahrung“, dasselbe „Wissen“ oder dergleichen besitze. Um sich gedanklich zu befreien von solchen auferlegten Zwängen gibt es eine einfache Lösung: es gibt nur eine absolute, unhinterfragbare Autorität, nämlich Gott, weshalb das Glaubensbekenntnis, die Shahadah „la ilaha illa Allah“ auch wie folgt verstanden werden sollte:

Keine Autorität außer dem Gott

Widersprechen wir dieser Sichtweise, akzeptieren wir unbewusst oder auch bewusst andere Wesen neben Gott als Autoritäten über uns.

Jemand anderes kann Ihr Denken kontrollieren, wenn Sie nicht selbst das Steuerrad Ihres Denkens in der Hand halten. Woher und wieso akzeptieren wir eigentlich hervorgebrachte Definitionen von Wörtern wie „Terror“, „Demokratie“, „Freiheit“. Vieles von dem, was wir glauben, ist doch nur eine übergestülpte Ansicht der Meinungen von anderen, die wir nicht durch tiefere Einsicht gewonnen haben, oder etwa doch? Aufmerksamkeit und Bewusstsein sind die Stichworte, um diesem Effekt entgegenzutreten. Es gibt nämlich nicht nur „das“ Verständnis einer Sache, sondern ein Verständnis unter vielen, welches sich zusätzlich über Zeit noch ändern wird.

 

17:36 Und geh nicht einer Sache nach, von der du kein Wissen hast! Gehör, Augenlicht und Verstand, – für all das wird Rechenschaft verlangt.

 

Es ist doch tatsächlich so, dass das eigenständige Denken zu besseren Lösungen führt, das Auferzwingen von Meinungen im besten Falle verschwinden lässt und mehr zu einem „miteinander“ anleitet – ein sowohl-als auch statt einem entweder-oder. Wie befreit ihr euren Geist und eure Vernunft?

Vogel, dieser Vogel

Ich suche Zuflucht bei Gott vor dem verfluchten Teufel,
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen

Frieden wünsche ich,

Dieser Artikel sollte dazu dienen, sich mit einigen Äußerungen eines gewissen sunnitischen Predigers auseinanderzusetzen. Die „Predigt“ gibt es in zwei Videoteilen von Pierre Vogel alias Abu Hamza. Auch dieser Artikel teilt die Antwort in zwei Bereiche auf, je eine zum entsprechenden Video. Ich kann verstehen, wieso gewisse Menschen, vor allem Sunniten, Pierre Vogel Glauben schenken könnten, weil dieser rhetorische Mittel gebraucht, ohne wirkliche Argumente zu verwenden. Seine junge Art, seine Sprache, seine angeblichen „Bibelkenntnisse“, seine Vergangenheit als Boxer machen ihn für die Jugendlichen zum greifbaren Menschen, was natürlich dabei hilft, Menschen zu überzeugen, die kein Wissen haben. Doch ich möchte hier nicht auf seine Bibelverzerrungen eingehen, sondern auf zwei bestimmte Videos.

Der innersunnitische Hype um Pierre Vogel (kurz PV), der in einem ziemlich unsympathischen und unseriösen Ton eine Salafi-Propaganda durchzieht, dürfte wohl erst der Anfang sein. Solche Missionen sind mehr profaner und machtideologischer als spiritueller Natur. Menschen, die nach Idolen, Helden und Mittler denn Gott suchen, werden sich eher in solchen irrationalen und widerwärtigen Wegen verirren. Schade nur, dass solche Opfer selbst bei den diffusesten Sekten-Geboten wie „Denken ist vom Teufel“ nicht skeptisch werden.

Es ist nicht Zufall, dass gerade im Hochburg der Salafisten (Saudi-Arabien) die sogenannten religiösen Meinungen, Rechtsprechungen (Fatwas) und Richtlinien (natürlich im Namen Allahs und Muhammeds) erst den ökonomischen dann den politisch-diktatorischen Interessen dienen. Geistliche bilden einen Klerus und außer ihnen hat selbstverständlich mangels Intelligenz und Wissensvermögen der Menschheit niemand Zugang zu den Quellen. Das kennen wir bereits aus anderen Epochen und anderen Gemeinschaften. Geschichte wiederholt sich tagtäglich und dennoch ist der Einzelne vor Gott verantwortlich, seine Sinne im Dienste der Wahrheit zu nutzen. Möge Gott den Suchenden und Wahrheitsliebenden beistehen!

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Erhaltung der Sunnah

Videolink: Erhaltung der Sunnah (ca. 40 Minuten)

Ich werde auf möglichst einfache Art zeigen, dass seine Schlussfolgerung gegen Ende dieses Films ohne jegliche Grundlage und Basis ist. Damit diejenigen, die die Argumente meinerseits mit denen von Vogel vergleichen wollen, leichter überprüfen können, gebe ich die Zeitangabe des Films ungefähr an. Das Format ist Minuten:Sekunden.

Let’s get ready to rumble

Um 2:30 zitiert Vogel einen angeblichen Hadith des Propheten mit dem folgenden Inhalt: „Ich habe euch Gottes Buch und die Sunna hinterlassen!“ Dabei verschweigt er natürlich die anderen zwei Versionen dieses Hadiths. Ich bitte die LeserInnen, den siebten Punkt des fünften Abschnitts des Artikels Zuverlässigkeit der Ahadith auf dieser Seite zu lesen.

In den weiteren Minuten gebraucht er eine einleitende Rhetorik mit dem Begriff „Satans Weg“. Damit soll der Eindruck entstehen, dass der Koran UND die Sunna den EINZIGEN wahren Weg darstellen würden. Nebst dieser Rhetorik verrät Vogel etwas Entscheidendes: Er kritisiert Leute, die für sich das auswählen, was ihnen aus der Sunna passe. Wohlgemerkt, die sunnitischen Gelehrten tun in der Verkleidung der „Gelehrtheit“ genau dasselbe, wenn sie nach eigenem Gutdünken meinen, Ahadith bewerten und einstufen zu können. Der Koran kritisiert die Menschen, die in außerkoranischen Schriften das finden, was ihnen passt. Lassen wir einmal die Hadith-Sammlung der Schiiten aus, so ist es auch innerhalb der vier Rechtsschulen (Madhabs) des Sunnismus so, dass alle vier ihre häufig unterschiedliche Meinungen aus den Ahadith entnehmen (eine Darstellung dieser Unterschiede lässt sich im Buch „Die erfundene Religion und die Koranische Religion“ finden).

68:36-38 Was ist los mit euch, wie urteilt ihr denn?! Oder habt ihr etwa ein Buch, in dem ihr studiert? Worin ihr alles findet, was ihr euch wünscht?


Um etwa 7:30 gibt es in der Logik von P. Vogel einen Fehler. Die Frage, die gestellt werden kann: Wieso werden „erfundene Ahadith“ überhaupt überliefert, wenn diese seiner Meinung nach gar nicht erwähnt werden dürfen? Ist der Idschma’u-sabaha (Konsens der Sahaba) bzw. sind „die ersten drei Generationen“ weitere Religionsquellen neben Gott? Im Laufe des Films wurde diese Frage indirekt mit „Ja“ beantwortet, was nichts anderes als Beigesellung (shirk) bedeutet.

6:114 Soll ich etwa jemand anderen als Gesetzesgeber suchen als Gott, wenn Er doch euch dieses Buch vollständig detailliert offenbart hat?


Im Vortrag wird des Weiteren betont, dass wir so glauben sollen, wie die Gläubigen zur Zeit des Propheten geglaubt haben. Die Frage lautet also: Wie haben die Gläubigen zur Zeit des Propheten geglaubt? Die ganz simple, einfache und logische Antwort: So wie es im Koran steht, wie denn sonst?

Zu 10:10 gibt es Folgendes zu sagen: die einzige Pflicht des Gesandten besteht darin, die ihm zuteil gewordene Offenbarung zu verkünden (vgl. Koranverse 5:92, 5:99, 16:35, 16:82, 24:54, 29:18, 42:48 und 64:12). Es ist die Aufgabe Gottes höchstpersönlich, den Koran Seinen ergebenen gläubigen Dienern richtig zu erklären (vgl. Koranverse 55:1-2, 75:16-19 und 20:114). Gleich im Anschluss (um 10:29) wird ein Vers aus dem Koran falsch übersetzt wiedergegeben. Der besagte Vers lautet:

16:64 Und Wir haben dir das Buch nur deshalb herabgesandt, auf dass du ihnen das verkündest (litubeyyine), worüber sie uneinig sind, und (ebenso) als Führung und Barmherzigkeit für die Leute, die glauben.


Diejenigen, die die Ahadith und die Sunna der Weisheit Gottes beigesellen, verzerren die Bedeutung des Wortes „litubeyyine“ im Vers. So wie das Wort „Erklärung“ im Deutschen zwei Bedeutungen haben kann, verhält es sich mit diesem Ausdruck. Jene, die die Bedeutung wählen, welche den deutlichen Koranversen widerspricht, werden in Vers 3:7 erwähnt. Für ähnliche Formulierungen können die Koranverse 2:159-160 oder 16:44 nachgeschlagen werden. Das Merkwürdige dabei ist, dass die heutigen Araber die richtige Bedeutung immer noch wissen, dass dieses Verb SICHTBAR bedeutet, wenn es im anderen Kontext verwendet wird. Sura 98 besitzt einen von derselben Wurzel abgeleiteten Titel: al-bayyinah. Im Koran gibt es einen Vers, welcher dies deutlicher macht:

Transliteration 3:187 waez açaza Allaho meyßaqa Allazeyna owtow Alketaba latobayyenonnaho lelnnase wala taktomownaho fanabazowho wara žohowrehem waƒtaraw behe ßamanan qaleylan fabeysa ma yaƒtarowna

Paret 3:187 Und (damals) als Allah die Verpflichtung derer, die die Schrift erhalten haben, entgegennahm (des Inhalts): Ihr müßt sie den Leuten klarmachen (bayyan) und dürft sie nicht (vor ihnen) verborgen (katam) halten! Hierauf warfen sie sie achtlos hinter sich und verschacherten sie. Ein schlechter Handel (auf den sie sich eingelassen haben)!

Azhar 3:187 Einst hat Gott mit den Schriftbesitzern einen Bund geschlossen, durch den Er sie verpflichtete, den Menschen die Schrift bekannt zu machen (bayyan) und diese nicht zu verbergen (katam). Sie haben dem Bund aber den Rücken gekehrt und ihn für einen geringen Preis verkauft. Welch schlechter Handel!

Zaidan 3:187 Und (erinnere daran), als ALLAH das Gelöbnis derjenigen entgegennahm, denen die Schrift zuteil wurde: ‚Ihr werdet sie doch den Menschen erläutern (bayyan) und sie nicht verbergen (katam).‘ Dann haben sie ihr (der Schrift) jedoch den Rücken gekehrt und sie gegen Minderwertiges eingetauscht. Und erbärmlich ist das, was sie eingetauscht haben.


Wir haben das arabische Wort als Transliteration in Klammern gesetzt. Demnach ist es klar, dass dieser Vers zwei gegensätzliche Verben beinhaltet:

  1. bayyan: proklamieren, sichtbar machen, zeigen, etc…
  2. katam: verbergen, unsichtbar machen, verstecken, etc…

Das nicht genug, auch in der türkischen Sprache ist das aus dem Arabischen entlehnte Wort beyyine bekannt:

beyan: Angabe [die], Anmeldung [die], Kundgebung [die],
beyan etmek: anzeigen, aussprechen, bekunden, feststellen, kundgeben, proklamieren,
Quelle: http://www.sozluk.web.tr/


Für gewöhnlich wissen alle Araber was „bayan“ heißt, nur schalten sie plötzlich den Verstand ab, wenn sie bei der Lektüre zu diesem Vers gelangen! Unglaublich aber wahr. Es gibt sogar einen modernen ägyptischen Film, der heißt: dscha’ana albayan altaly (Es ist zu uns folgende Verkündigung angekommen). In den Medien wird ‚bayan‘ ebenso als Verkündigung verwendet. Für diejenigen, die das überprüfen wollen, haben wir folgenden Vorschlag: Suchen Sie Araber aus, die nichts mit dem Thema zu tun haben. Im Internet lassen sich die leicht finden. Stellen Sie ihnen die einfache Frage, was die folgenden zwei Wörter bedeuten: ezhar we baan (اظهر وبان). Das wird so Gott will eine ausreichende Bestätigung sein, dass Araber unter dem Wort „baana“ ‚komm raus‘, ’sei sichtbar‘ usw. verstehen. Fragen Sie außerdem, ob der Ausdruck verbreitet ist oder nicht.

Um 11:00 spricht er kurz vom Kopftuch. Seiner Meinung nach sei diese Sache klar, dass das Kopftuch erwähnt wird. Doch die entsprechenden Koranverse sprechen nicht das Kopftuch an. Kopftuch wird nicht mal im Koran als solches erwähnt. Es fehlen jegliche Beweise für seine Aussage.

Bis 13:50 werden auf rhetorische Weise die „Gelehrten“ von Bukhary bis Abu Hanifa als solche dargestellt, die sehr viel Wissen hätten. Es grenzt schon fast daran, dass sie wegen ihrem Wissen idolisiert werden, dass sie sich auf keinen Fall geirrt haben könnten, da sie sich ja „solche Mühe“ gegeben hätten, sich Wissen anzueignen usw.

Um 14:00 kommt aus dem Munde Vogels eine Meinung, die fast das eigenständige Denken verbietet. Der Koran ist NICHT nach der Interpretation des Propheten zu interpretieren, das wäre eine Denkhaltung, die metaphorisch einem Papagei ähnelt. Der Prophet hat nicht dasselbe Wissen über den Koran. Was die Koranischen Wunder angeht, so war der Prophet selbst unwissend. Also kann seine Interpretation (die übrigens definitiv NICHT in den außerkoranischen Büchern des Sunnismus zu finden sind) gar nicht diejenige sein, die als Quelle dient. Der Prophet hatte einen anderen Zugang zum Koran, und er hat sicherlich auch danach gelebt. Aber nie hätte der Prophet selbst von uns verlangt, gerade weil er nach dem Koran lebte, dass wir blind seinen eigenen Interpretationen folgen sollten, die er übrigens nicht im Namen des Islam lehren durfte. Dies widerspräche den Koranversen 17:36, 69:43-47 und einigen anderen.

Etwa 20 Sekunden später sagt Pierre: „Die Wahrheit, um den rechten Weg vom falschen zu unterscheiden“ sei das Verständnis derjenigen, die zur Zeit des Propheten gelebt hätten. Das ist Götzentum. Menschen als Quelle und Wahrheit neben dem Buch Gottes anzusehen ist nichts anderes als Polytheismus bzw. Personenkult. Nicht Menschen sind es, sondern der Koran selbst, der das Rechte vom Falschen unterscheidet. Einer der Namen des Koran lautet auch nicht zuletzt deshalb Al-Furqan (der Unterscheider, das Maß).

Um 17:34 wird die Betonung dermaßen auf die so genannte Sunna gelegt, dass hinterfragt werden kann, ob Vogel den Koran überhaupt aufmerksam liest. Im Koran ist nie von der Sunna des Propheten die Rede. Laut Koran ist die Sunna Gottes die einzige Sunna (vgl. Koranverse 33:62, 35:43, 48:23 – um das Wort Sunna in den Versen zu entdecken, sollten Transliterationen beigezogen werden).

Ein weiterer falscher Punkt: die Propheten seien masuum (fehlerfrei). Im Koran wird von 6 Fehlern des Propheten Mohammeds berichtet (diese sechs Fehler werden im Buch „Die erfundene Religion und die Koranische Religion“ erwähnt und kommentiert). Ohne diese Aussage klarzustellen (rhetorischer Trick), geht er weiter zur Aussage, dass damit die Verkündung der Botschaft gemeint ist. (Das Bild der fehlerlosen Propheten hängt aber immer noch nach.) Was die Verkündung der Botschaft angeht, bin ich fast gleicher Meinung. Die Überlieferung des Koran wurde vollbracht, das beweist der Code 19 eindeutig (zu dem er ja eine ablehnende Haltung hat; eigentlich überrascht es uns nicht, denn der Code 19 erfordert kritisches, skeptisches, rationales Denken, das Vogel wohl zu fehlen scheint). Die vollständige Überlieferung der Botschaft bedeutet aber nicht, dass damit verbunden auch das Leben des Propheten fehlerfrei sei. Durch das Zitat des Koranverses gebraucht er eine feine, nicht dumme Rhetorik, um den Propheten selbst als sündenlos darzustellen.

Der „zweite Punkt“: Der zitierte Vers bezieht sich auf den Koran, nicht auf außerkoranische Taten und Aussprüche des Propheten. Allein die Offenbarung wird mit dem Vers angesprochen, nicht der Prophet und seine Taten, Handlungen, Wege und Aussprüche selbst.

Um 22:20 kann ich meinen Ohren fast nicht trauen: ein direkter Widerspruch zum Koran. Im Koran wird Mohammed direkt von Gott getadelt, weil er in spiritueller Hinsicht (!) falsch gehandelt hat. Im Koran wird deutlich ausgesagt, dass Mohammed sich abgewandt hat. Es steht nichts davon, dass er „gerade beschäftigt gewesen sei“ oder ähnliches. Der Prophet Mohammed hat sich aktiv abgewandt, was jeder selbst nachlesen kann. Ich finde es schändlich, dass Vogel Koranverse abschwächen will, um die Sunna als legitim dastehen zu lassen.

Um 23:38 wird etwas Altbekanntes erwähnt. Der Gesandte Mohammed sei ein Beispiel für die Gläubigen. Die Beispiele der Gesandten Gottes (Plural!) sind IM Koran. Sowohl Mohammed als auch Abraham werden im Koran als Beispiele genannt (auch dies wird im zuvor erwähnten Buch unter die Lupe genommen). Bei ca. 25:20 spricht er vom „Iman (Glaube) an den Gesandten“, wohlbemerkt nicht an Mohammed! Der Gesandte verkündet die Botschaft, die er von Gott als Offenbarung erhält. Wenn wir dem Gesandten gehorchen, wenn er im Namen Gottes spricht, dann glauben wir der überlieferten Botschaft. Etwa um 26:40 zitiert er einen Koranvers (4:113) und meint, dass der Vers aussage, dass es zwei Offenbarungen gäbe: Buch und Weisheit. Jedoch kann soviel gesagt werden: Die Weisheit ist IM BUCH. Das „wa“ bedeutet normalerweise „und“ in den Sprachen, aber auf Klassischarabisch besitzt das „wa“ nicht dieselbe Bedeutung. Damit verliert die Interpretation von „zwei Offenbarungen“ an Gültigkeit. Beispiele mit 33:7 und 55:68:

33:7 waez açazna mena Alnnabeyyeyna meyßaqahom wamenka wamen nnowhen waebraheyma wamowsa waåeysa abne maryama waaçazna menhom mmeyßaqan galeyžan


Men alnabeyeen = von den propheten; men = von; wa men ka = und von dir. Obwohl derjenige, der mit „dir“ gemeint ist, auch ein Prophet ist, und obwohl auch Noah, auch Abraham, auch der Sohn der Maria Jesus, auch Moses, obwohl alle Propheten sind, werden diese mit WA verknüpft.

55:68 feyhema fakehaton wanaçlon warommanon
In ihnen gibt es Obst und (Datteln-)Palmen und Granatäpfel.


Der Granatapfel oder Grenadine (Punica granatum) ist eine Laubbaumart, […] deren rote Frucht als Obst gegessen wird. Datteln sind auch Früchte.

Ein weitaus kräftigeres Argument ist aus folgendem Vers zu entnehmen:

2:231 … Und gedenkt der Gnade, die Gott euch erwiesen, und der Schrift und der Weisheit (hikma), die er auf euch herabgesandt hat, um euch damit zu ermahnen! Und achtet Gott! Ihr müsst wissen, dass er über alles Bescheid weiß.


Auf Arabisch heißt es:

وَاذْكُرُوا نِعْمَتَ اللَّهِ عَلَيْكُمْ وَمَا أَنزَلَ عَلَيْكُم مِّنَ الْكِتَابِ وَالْحِكْمَةِ يَعِظُكُم بِهِ وَاتَّقُوا اللَّهَ وَاعْلَمُوا أَنَّ اللَّهَ بِكُلِّ شَيْءٍ عَلِيمٌ


Das große rote Wort im Arabischen wird in der Übersetzung als „damit“ wiedergeben und transliteriert „bihi“ ausgesprochen. Wären nun die Schrift und die Weisheit zwei verschiedene Dinge, müsste für den Bezug auf diese beiden verschiedenen Dinge die Dualform benutzt werden, nämlich „bihima“ (بهما) oder zumindest der Plural „bihim“ (بهم). Der im Vers verwendete Bezug ist aber Singular! Somit ist die Schrift und die Weisheit eine Sache, oder anders gesagt: die Weisheit wird als der Schrift innewohnend angenommen! Dies ist etwas, was den Hadith-Anhängern stets entgeht, weil sie den Koran nicht gründlich studieren und lieber blind ihren Vorfahren folgen.

Um 28:10 wird wieder mal etwas Ähnliches erwähnt: gehorcht Gott und gehorcht dem Gesandten (oder: wer dem Gesandten gehorcht, gehorcht Gott). Wohlgemerkt, im Koran steht nicht „gehorcht Mohammed“, sondern „gehorcht dem Gesandten“. Der Gesandte überliefert die Botschaft, und wenn er die Botschaft verkündet, sollen wir dem gehorchen, was der Gesandte sagt. Wir müssen also der verkündeten Botschaft, die aus dem Munde des Gesandten kommt, gehorchen. Wer der Botschaft des Gesandten gehorcht (die im Koran vorliegt), hat Gott gehorcht. Bei ca. 29:44 wird Sure 4, Vers 65 zitiert. Auch dieses Thema wird im Buch „Die erfundene Religion und die Koranische Religion“ erklärt. Dem, was der GESANDTE sagt, muss gehorcht werden und was Mohammed ALS GESANDTER entscheidet, dem muss Folge geleistet werden. Mohammed ALS GESANDTER ist der Richter, nicht Mohammed als Mensch. Mohammed war auch ein gewöhnlicher Mensch, der seiner Arbeit nachging und Fehler beging. Pierre Vogel bestätigt und beweist durch seine Aussagen mitunter die Idolisierung Mohammeds im Sunnismus.

Die Aussage, die um 31:20 erfolgt, kann so erklärt werden: Folgt dem Koran, um dem Propheten zu folgen. Denn, wenn wir dem Koran nicht folgen, folgen wir auch nicht dem Weg, den der Prophet beschritten hat. Der Prophet wird sich beschweren, dass SEIN VOLK den KORAN und nicht die Sunna verlassen hat (vgl. Koranvers 25:30)! Anschließend die Sunna mit Zitaten aus der Sunna zu beweisen, das ist ein Zirkelschluss – d. h. argumentativ und aus logischer Sicht wertlos.

Pierre Vogel zeigt seine Unwissenheit (oder Ignoranz?) um 34:40. Gebet, Pilgerfahrt (Hadsch), Almosen werden im Koran beschrieben, ausführlich und verständlich für diejenigen, die nachdenken (sh. Kapitel 36 im Buch „Die erfundene Religion und die Koranische Religion“). Erneute Unwissenheit von PV um 36:30: er soll mal sein Wissen überprüfen. Rashad Khalifa hat sich nicht als Propheten angesehen. Zudem wird im Koran die Funktion der 19 in 74:31 beschrieben.

Die Aussage von Pierre Vogel um 38:30 ist völlig ohne Grundlage. Gott hat nicht versprochen, die Sunna zu schützen, sondern die OFFENBARUNG selbst, also den Koran.

 

Autorität der Sunnah

Videolink: Autorität der Sunnah von Pierre Vogel (ca. 38 Minuten; der Link ist nicht mehr verfügbar, dennoch lass ich den Text hier stehen)

In den ersten 4 Minuten stellt Vogel die Frage: Wieso werden Ahadith zitiert, um Hadith-Bücher zu widerlegen?

Deshalb sollte gleich zu Beginn erwähnt werden: Der Koran reicht vollkommen aus, dafür brauchen wir keine Ahadith, um die Ahadith abzulehnen. Es gibt mehrere Koranverse, die diese Haltung erfordern. Der aussagekräftigste Vers ist wohl:

7:3 Folgt dem, was zu euch von eurem Herrn herabgesandt wurde, und folgt keinen anderen Beschützern/Freunden (awliya) außer Ihm. Wie wenig beherzigt ihr dies!


Sollen wir Mohammed als Beschützer/Freund (awliya) neben unserem Herrn folgen?

PV geht nicht auf den Hadith selbst ein, wieso der Prophet überhaupt gesagt haben soll, nichts außer dem Koran aufzuschreiben! Des Weiteren gibt es ebenso angebliche Ahadith, die davon berichten, dass die Gefährten (Sahaba) des Propheten Ahadith gesammelt haben sollten, um sie zu VERNICHTEN. Wieso vernichtet Abu Bakr angeblich Ahadith des Propheten, obwohl er doch ein Gefährte des Propheten war und es besser hätte wissen müssen?

Um 6:00: die Argumentation mit der „Anfangszeit“ ist bekannt und nicht überzeugend. Wieso sollte der Prophet die Wahrheit verbergen? Weiß PV nicht selbst, dass der Prophet die Wahrheit verkünden muss und sie nicht verbergen darf? Weshalb hat er die Wahrheit versteckt, wo sie ihm doch bekannt war? Die ersten größeren Hadith-Dokumentationen sind etwa zwei Jahrhunderte später zusammengestellt worden. Es gibt keinen Beweis bzw. kein Dokument für die Hadith-Niederschrift für die Zeit vom Ableben des Propheten bis zu Muwatta. Es gibt nur Behauptungen darüber oder eben Ahadith.

Bis um 9:00: Sind wir etwa auf die Fähigkeit der Menschen aus der früh-islamischen Zeit angewiesen, die die Ahadith auswendig gelernt haben? Es ist bekannt, dass kurz nach dem Ableben des Propheten der erste Koran bereits zusammengestellt war. Dies gilt nicht für Ahadith. Gott verlässt sich also bei der sogenannten Sunna auf die Fähigkeit der Menschen, auswendig lernen zu können? Was für eine Religion ist das? Außerdem scheint Vogel die Argumentation mit der Stillen Post nicht verstanden zu haben. Gewöhnliche Menschen, selbst wenn sie etwas auswendig gelernt haben, können einzelne Wörter vergessen und das haben sie auch, weswegen es mehrere verschiedene Versionen vom ein und desselben Hadith gibt (es sei denn, die Ahadith wurden bewusst von Bukhary und Konsorten fabriziert: Abu Huraira beispielsweise ist bekannt für seine Lügen). Eben weil die sunnitischen Gelehrten und PV wissen, dass gewöhnliche Menschen leicht vergesslich sind, wiederholen sie die Behauptung, dass eben genau diese Hadith-Überlieferer ein enormes Erinnerungsvermögen hätten. Da wir diese Behauptungen nicht überprüfen können, weil diese Menschen nicht leben, können wir daran glauben oder nicht. Doch die Behauptungen sind realitätsfern und sind nur Vermutungen. Vogel gebraucht die suggerierende Rhetorik „je mehr ich eine Behauptung wiederhole, desto wahrer wird sie in den Köpfen“. Eine Vermutung wird nicht wahrer, je öfter man sie wiederholt. Zumal der Koran äußerst negative Aussagen über Vermutungen anstellt. Noch was zum Erinnerungsvermögen aus sunnitischer Sicht; soviel zu seiner Aussage, Prophet, Sahaba und Überlieferer seien alles Menschen mit unglaublichem Erinnerungsvermögen gewesen, die nie etwas vergaßen:

Bukhary Kapitel 79, Nummer 14
Asch-Schaibanyy berichtete: „Ich stellte ‚Abdullah Ibn Abi Aufa folgende Frage: ‚Hat der Gesandte Allahs die Steinigungsstrafe angewendet?‘ Und er entgegnete: ‚Ja!‘ Ich fragte ihn weiter: ‚War das vor der Offenbarung der Sura An-Nur (Nr. 24) oder danach?‘ Er sagte: ‚Ich kann mich nicht erinnern!'“

Kapitel 22, Nummer 1
‚Abdullah Ibn Buhaina berichtete: „Der Gesandte Allahs leitete für uns das Mittagsgebet, und nach den beiden ersten Rak’a stand er auf und setzte sich nicht (wie es sonst üblich ist) und die Leute blieben ebenfalls mit ihm stehen. Als er das Gebet beendet hatte, und die Leute auf den Taslim warteten, sprach er den Takbir vor dem Taslim, vollzog dann zwei Niederwerfungen im Sitzen und sprach abschließend den Taslim.“ (Das Sitzen nach den ersten zwei Rak’a hatte der Prophet vergessen. Die beiden geleisteten Niederwerfungen wegen der Vergesslichkeit (Sadschdatyy as-Sahwi) vor dem Taslim beheben das Fehlverhalten und sind so gut wie eine Entschuldigung anzusehen.)

Kapitel 26, Nummer 2
Ibn ‚Abbas berichtete: „Der Gesandte Allahs sagte zu einer Frau von den Ansar, deren Namen Ibn ‚Abbas erwähnte und von mir vergessen worden: ‚Was hinderte dich daran, den Hadschdsch mit uns zu vollziehen?‘ Die Frau antwortete: ‚Wir besitzen ein Kamel, auf dem mein Mann und sein (mein) Sohn ritten, und ein anderes Kamel, auf dem das Wasser herbeigeschafft wird.‘ Der Prophet sagte zu ihr: ‚Wenn Ramadan kommt, vollziehe in ihm die ‚Umra, denn eine ‚Umra im Ramadan ist ein Hadschdsch!‘ … „

Riyad-us-sahilin: Yazid ibn Habban erzählte: Husain ibn Sabra, Amru ibn Muslim und ich gingen zu Zaid ibn Arqam (r). Als wir bei ihm saßen, fragte ihn Husain: „Oh Zaid! Du hast eine beträchtliche Menge guter Dinge erlebt: Du hast den Gesandten Allahs (s) gesehen, seine Worte gehört, mit ihm zusammen (gegen die Feinde) gekämpft, und du hast hinter ihm das Gebet verrichtet. Gewiss hast du viel Tugend erworben. Also lass uns bitte wissen, was du von dem Gesandten Allahs (s) gehört hast!“ Er sagte: „Lieber Neffe (im Islam), ich bin alt geworden, und ich habe Einiges, was ich von Allahs Gesandtem gelernt habe, vergessen. So nehmt bitte an, was ich zu erzählen weiß, und ich zwinge mich nicht, mich an das zu erinnern, was ich vergessen habe. …

Muslim, Kapitel 20, Nr. 772:
Â’ischa (r) sagte: Allâhs Gesandter (s) hat gesagt: „Zehnerlei gehört zur Natur des Menschen:

    1) Schneiden des Schnurrbartes,
    2) den Bart wachsen lassen,
    3) die Zähne reinigen,
    4) die Nase mit Wasser reinigen,
    5) die Nägel schneiden,
    6) die Fingergelenke reinwaschen,
    7) die Haare unter den Achselhöhlen entfernen,
    8) die Schamhaare scheren und
    9) Wasser für die Reinigung (nach Verrichten der Notdurft) verwenden …“

(Der Überlieferer) sagte: „Das zehnte habe ich vergessen, wenn es nicht das Ausspülen des Mundes war.“

Auch interessant, von wem die Aussage mit dem Bittgebet stammt, dass Abu Huraira keinen Hadith mehr vergisst…

Kapitel 3, Nummer 25
Abu Huraira berichtete: „Ich sagte: ‚O Gesandter Allahs, ich höre viele Hadithe von dir, doch vergesse ich sie.‘ Er sagte:’Breite dein Gewand aus.‘ Ich habe dies getan, und er machte mit seinen Händen eine Bewegung, als füllte er etwas in mein Gewand, dann sagte er: ‚Nun lege seine Enden übereinander.‘ Das tat ich, und seither habe ich nie mehr etwas vergessen.“*

(* Demnach gehört Abu Huraira tatsächlich zu denjenigen Gefährten des Propheten, die eine große Zahl von Hadithen überliefert haben)


Es gibt noch mehr, doch die meisten sind sehr lang. Und man muss sich das auch nicht unbedingt antun.

Um etwa 10:00 gebraucht Vogel eine Rhetorik, die wirklich nicht schlecht ist. Jedoch: selbst die Anwälte, die mathematische Formel gebrauchen müssen, vergessen mit der Zeit (es könnte auch sein, dass sie es überhaupt nicht wussten), WOFÜR die Formel steht. Das ist traurige Realität. Die Ignoranz gegenüber Mathematik, obwohl sie für sie selbst doch so wichtig ist, ist heute immer noch existent. Einige Sekunden später sagt Vogel: „Ich war eh eine Null in Mathematik, ich hab alles vergessen.“ Was fällt dem Vogel dann überhaupt ein, sich ein Urteil über den Code 19 erlauben zu wollen? Vogel sollte sich selbst an der Nase ziehen und sich schön an Koranvers 17:36 halten, wenn er Gott folgen will, und gegenüber Code 19 neutral bleiben, bei seinen von ihm selbst zugegebenen schwachen mathematischen Fähigkeiten. Heute gilt es mittlerweile durchaus als schick und kann ohne Beschädigung des eigenen Ansehens geschehen, mit seiner völligen Ignoranz auf mathematischem Gebiet zu kokettieren. Mehr noch, ‚oute‘ ich mich gar als mathematisch unbegabt, so habe ich im Handumdrehen eine Mehrheit auf meiner Seite. Der populistische Effekt macht die Sache deshalb interessant. Würde man etwa auf dem Gebiet der Musik, üblicherweise zu den ‚Herzensdingen‘ gerechnet, allenfalls zugeben, dass ein Instrument nicht oder nicht gut gespielt wird, so doch wohl kaum, dass man kein Ohr für die Musik hat, die andere machen …? Doch am Bild der Kompetenz von PV wird deutlich gekratzt.

Bis 10:30 geht es weiter mit der Fähigkeit der Menschen, auswendig zu lernen. Sie hätten diskutiert, praktiziert und die Ahadith auswendig gelernt. Wenn dem so ist, wieso wurde dann der Koran niedergeschrieben und die Ahadith nicht? Wieso wurde beim Koran nicht ebenso auf die Fähigkeit, auswendig zu lernen, vertraut? Waren die Menschen doch nicht aussergewöhnlich und zu dumm, einen Unterschied zu machen? Konnten sie sich nicht einen Satz ausdenken, den sie vor jedem Hadith hätten auswendig lernen können, wie etwa: Dies ist ein Hadith und kein Koranvers.

Um 10:49 spricht er von „zig Manuskripten von damals, die bereits Hadith geschrieben haben“. Diese Manuskripte soll er mal veröffentlichen (natürlich sollten sie nicht aus der Sunna selbst und überprüfbar sein). Um 11:33 meint er zum zeitlichen Abstand zwischen dem Propheten und Muwatta von „Imam“ Malik: „Guck mal, das ist gar nicht so weit“. Das sind, laut seiner Aussage, mindestens 120 Jahre!!! Wo 10 Jahre schon ausreichen, um massive Lügen zu verbreiten.

Um 12:30 spricht er von „Hunderten von persönlichen Manuskripten“ als Beweise aus dem Buch „Studies in Early Hadith Literature“. Es wäre schön, wenn diese Aussage zumindest im Vortrag nicht rhetorisch hängen bleiben würde, sondern er das Buch dabei hätte und mindestens einen Beweis oder zwei Beweise vorlesen könnte. In den nächsten Minuten (12:50-13:50) spricht er von einem im letzten Jahrhundert gefundenen Manuskript von einem Schüler von Abu Huraira (!), dem Lügner schlechthin. Wie können wir diesem Schüler glauben, wenn Abu Huraira selbst unglaubwürdig ist?

Bis um 17:30 wird eine kleine sunnitische Lektion über Sunnah geliefert. Es gibt erneut einen Fehler in der Logik von PV. Er behauptet, die Leute seien dazu in der Lage gewesen, auswendig zu lernen. Wenn dies der Fall ist, wieso werden dann überhaupt „schwache Ahadith“ überliefert? War die Fähigkeit etwa auch „schwach“? Wieso existieren überhaupt schwache Ahadith bei der „enormen Fähigkeit“ der Menschen, auswendig lernen, diskutieren und praktizieren zu können? Dies zeigt die Argumentationsschwäche der Grundlage, auf die Vogel aufbaut. Außerdem beweist dies die Widersprüchlichkeit seiner Aussage.

Bei etwa 18:32 verrät er die Schwäche von Bukhary und Muslim. Laut Pierre Vogel haben Bukhary und Muslim (die beide „sahih“ Bücher überliefert haben sollen) deswegen nicht alle „sahih“ Ahadith in ihre Bücher übernommen, da ansonsten das Buch „zu groß und zu schwer“ (sic!) wäre für die Menschen. Wird also die Wahrheit ausgelassen oder gekürzt, um Bequemlichkeit zu fördern? Ist das die Absicht von Bukhary und Muslim? Ist das die Wichtigkeit der Religion, die Wahrheit auszulassen, um Bequemlichkeit zu fördern? Das allein beweist die Unzuverlässigkeit von Bukhary und Muslim, wenn Vogel Recht haben sollte, was er da behauptet.

Die nächsten Minuten sind voller Behauptungen, entweder unbewiesen oder übertrieben (z.B. das so genannte „Erinnerungsvermögen“ von Shafi). selbst wenn Abu Huraira nur auf das Lernen der Ahadith und das Leben des Propheten fixiert sei, dann ist er immer noch unglaubwürdig, was die Qualität (weswegen er primär angegriffen wird) seiner unter seinem Namen überlieferten Ahadith angeht. Die Quantität ist eigentlich nur Nebensache, obwohl die Behauptungen von Vogel über Abu Huraira selbst recht unglaubwürdig sind. Selbst die angeblichen Ahadith zeigen ein anderes Bild von Abu Huraira, als das, was Vogel behauptet.

Um 28:00 wird indirekt die Rhetorik gebraucht, dass Bukhary und Muslim jederzeit mehr Wissen als die Muslime hätten. Das ist Idolisierung von Menschen. In den weiteren Minuten auch nur pure Rhetorik bzw. Dinge, die nichts zur Sache beitragen. (Den Beweis über den Hadith mit der Fliege soll er mal bringen, so dass er empirisch überprüft werden kann. So als einfache Aussage nützt es uns nichts. Auch ich kann von einem Arzt sprechen, der eben genau das Gegenteil bewiesen hat.)

36:30 Die Argumentation „Stille Post“ wird kritisiert. Vogel scheint die Argumentation nicht zu kennen. Diese geht nämlich direkt auf die Hadith-Überlieferung ein! Nämlich besagt folgendes Zitat:

Auch moralische Wahrheiten sind sterblich. Jahrhundert auf Jahrhundert sagen die Leute: „Dies ist falsch“ und wiederholen die tiefempfundenen, genau belegten Überzeugungen von Generationen vor ihnen, als wären sie alle genetisch konditioniert, das zu glauben. Dann sagt jemand: „Ist es falsch?“, und ein anderer: „Es ist nicht falsch.“ Vielleicht wird er gesteinigt oder verbrannt. Die Gläubigen meinen, eher würde ein Berg niederfallen als ein Ketzer recht haben. Aber eines Tages sagt jemand: „Es ist nicht falsch“, und ein paar stimmen zu, dann viele. Später sagt jemand: „Es ist richtig.“ Und fast alle anderen sagen: „Natürlich. Wer könnte das bezweifeln?“


Peter de Rosa – Jesus-Mythos: Über die Krise des christlichen Glaubens, Seite 57f.



Dabei ist zu beachten, dass in dieser Argumentation ein Schritt weiter gegangen wurde, wo die „genau belegten“ Überzeugungen vorausgesetzt werden. Sunna und Hadith, so wie sie uns von den Sunniten gelehrt werden, sind auf keinen Fall genau belegt, geschweige denn ansatzweise.

In den weiteren Minuten versucht er mit unwahren Behauptungen das Bild derjenigen zu diskreditieren, die Bukharys Sammlungsmethode kritisieren. Wieso ist der Isnad (die Überliefererkette) primär? Ist nicht der Inhalt (matn) wichtiger (und damit der Vergleich zum Koran)? Da ein Vergleich zum Koran die Ungültigkeit des Hadith-Korpus beweist (vgl. Koranverse 7:3, 6:38, 6:114 uvm.), wird die Wichtigkeit auf den Isnad gelegt, um davon abzulenken.

Um 43:50 frage ich mich, wieso erfundene oder schwache Ahadith von bekannten Sündern oder Lügnern überhaupt überliefert werden? Deren Zeugnis würde im Gericht nicht angenommen werden. Wieso wurden ihre Ahadith aber in den Büchern aufgenommen? Ab 45:30 wird erneut eine „Geschichte“ erzählt, deren Überprüfung heute unmöglich ist. Wie kann ich ein persönliches Ereignis eines Menschen überprüfen? Deshalb ist das Rhetorik, ohne wirkliche argumentative Aussagekraft.

Ich will mal an dieser Stelle auf die enorme Schwäche der Grundlage eingehen, auf die Vogel aufbaut. Aufgrund des Wissens, dass gewöhnliche Menschen die Ahadith nicht exakt überliefern können (Stille Post), sehen sich die Gelehrten gezwungen, die Fähigkeit dieser Menschen, die die Ahadith überliefern, als überdurchschnittlich zu beschreiben, ohne jegliche Beweise natürlich. Die übermäßige Betonung auf das „enorme Erinnerungsvermögen“ derjenigen, die Ahadith überliefern, zeigt, dass der Inhalt der überlieferten Ahadith alleine nicht ausreichen kann, um diese zu legitimieren.

Einen ganz wichtigen Punkt hatten wir bereits angesprochen. Die Schwäche aller Ahadith lässt sich an einem Hadith beweisen: Der Hadith von der Abschiedspilgerfahrt unseres geliebten Propheten. Wie können wir den Hadith-Büchern, in denen die meisten Ahadith von weniger als zehn Menschen bezeugt und überliefert wurden, Vertrauen schenken, wenn diese dazu unfähig sind, ein Ereignis akkurat aufzuzeichnen, dass laut Behauptung von Sage und Schreibe 10’000 Menschen bezeugt wird??!!! Dies macht in der Tat die Zuverlässigkeit des gesamten Korpus der Ahadith äußerst zweifelhaft, wenn nicht zunichte.

Schiitische „Gelehrte“ und sunnitische „Gelehrte“ besitzen in etwa das gleiche Wissen über den Korpus der Ahadith, aber dennoch widersprechen sie sich extrem. Dies liegt nicht daran, dass sie ein unterschiedliches Verständnis derselben Ahadith hätten, sondern, weil sie bestimmte (mehr oder weniger sahih) Ahadith aufgrund anderer (mehr oder weniger sahih) Ahadith ablehnen. Gegen Schluss des Films sagt Pierre Vogel: „Du kannst gar nicht alles praktizieren, was in Bukhary und Muslim“ vorkommt. Diese Aussage widerspricht deutlich diesen Koranversen, wenn es um die Praktikabilität der Religion geht:

2:185 Gott wünscht für euch Erleichterung und nicht Erschwernis.

4:28 Gott will eure Bürde erleichtern, denn der Mensch ist schwach erschaffen.

22:78 Er hat euch erwählt und legt euch nichts Beschwerliches in der Religion auf.

54:17,22,32,40 Und wir haben gewiss den Koran leicht zu verstehen gemacht: gibt es denn jemanden, der sich ermahnen lässt?

5:6 Gott will euch keine Bürde auferlegen, sondern Er will euch reinigen und seine Gnade an euch vollenden, auf dass ihr dankbar seid.

87:8 Wir werden dich auf den leichten Weg führen.


Gott sei aller unendlicher Dank, dass der Islam des Koran ein Islam der Bildung, der Meinungsfreiheit und des Wissens ist. Gott sei aller unendlicher Dank, dass der Islam des Koran einfach und vollkommen, komplett und ausführlich genug ist.

Gepriesen sei der Herrscher der Welten, die einzige Quelle der Wahrheit!

Schlüssel zum Verständnis des Koran: Beispiel 2 – Kāfir: Der Mensch als Ableugner

Wer ungläubig scheint,
kann in Wahrheit gläubig sein.

Dieser Satz fasst das Ergebnis dieses Beispiels zusammen. Der Begriff Kāfir (كافر) wird in den gängigen Übersetzungen oft mit „Ungläubiger“ übersetzt. Leider wird in anderen, durchaus bekannten, sich als muslimisch ausgebenden Plattformen dieser Begriff offen und in voll abwertender Bedeutung auf alles „nichtmuslimische“ angewandt. Dieser Zustand ist höchst bedauerlich. Daraus resultieren auch manchmal verständliche empörte Reaktionen derjenigen, die an keinen Gott glauben wollen, weil sie glauben, dass diese (rassistische) Haltung allgemein aus der Lesung abgeleitet wird. Die von bestimmten Gruppierungen übliche pauschale Betitelung eines Nichtmuslims als „Kāfir“ wirkt in der Tat mittlerweile wie ein rotes Tuch. Aber auch „muslimische Abweichler“ vom sog. „rechten Glauben“ (und das scheint die Mehrheit zu sein) werden in bestimmten Kreisen geradezu mit Wonne und inflationär den Kāfirūn oder Kuffār (كفّار , plural von Kāfir) zugerechnet. Deshalb ist bei der Beschreibung der Kāfirūn geboten, sich Folgendes zu merken: Ein Ablehner oder Ableugner zu sein, hat nicht zwingend allein mit einem Glaubensbekenntnis zu tun, sondern mit bestimmten Wesenszügen. Hierbei stehen immer die inneren Werte im Vordergrund und nicht, wie viele glauben, das Aussprechen eines Bekenntnisses. Denn laut der Lesung ist das bloße Aussprechen eines Bekenntnisses kein Zeichen wahren Glaubens (2:8–10).

Die nachfolgende Liste soll deutlich machen, dass ein Ableugner nicht lediglich jemand ist, der sich nicht zum gottergebenen (muslimischen) Glauben bekennt, sondern auch ein offizieller Gottergebener sein kann, der beispielsweise gewisse Regeln der Gottergebenheit zu seinem eigenen Vorteil auszulegen versucht. Einem Menschen steht es nicht wirklich zu, andere Menschen als Ableugner im von Gott verurteilten Sinne zu betiteln; dieser Urteilsspruch steht am Jüngsten Tag allein Gott dem Allweisen und Allwissenden zu. Deshalb sollte folgende Liste nicht dazu dienen, die Fehler bei anderen zu suchen, sondern wohl eher dazu, dass wir uns selbst an der eigenen Nase fassen und an uns arbeiten, damit unsere Seele im Positiven gedeihen kann! Kurz gesagt: Diese Liste dient für die Selbstüberprüfung und nicht für die Verurteilung anderer Menschen. Im Gegenteil, die Lesung Gottes mahnt uns, dass wir ihnen stattdessen mit Vergebung entgegentreten sollen:

 

45:14–15 Sprich zu denen, die glauben, sie mögen denen vergeben, die nicht mit den Tagen Gottes rechnen, auf dass Er die Leute für das belohne, was sie verdienen. Wer Gutes tut, tut es zu seinem eigenen Vorteil. Und wer Böses tut, tut es zu seinem eigenen Schaden. Zu eurem Herrn werdet ihr dann zurückgebracht.

45:18–19 Dann brachten Wir dich auf einen klaren Pfad in der Sache des Glaubens: So befolge ihn, und folge nicht den Launen derer, die nichts wissen. Sie können dir vor Gott nichts nützen. Diejenigen, die Unrecht tun, sind einander verbündet. Gott aber ist der Verbündete der Rechtschaffenen.

 

Ayman Teryaki, mein werter Freund, schrieb zu diesem Vers den folgenden Satz, dem ich nichts hinzuzufügen habe:

 

Dass Gott uns aus Seiner Barmherzigkeit Sein Wissen gab, heißt nicht, dass wir Anderen gegenüber überheblich sein dürfen. Andere zu verurteilen, gilt sicher nicht als Pluspunkt bei unserem Herrn. Nur wer rechtschaffen handelt und sich unter Gottes Willen verbündet, kann von Gott Beistand erhalten.

 

Außerdem tauchen dermaßen viele verschiedene Faktoren auf, dass Sie sie sicherlich nicht alle bei einem einzigen Menschen finden werden. Die meisten der genannten „Eigenschaften der Ableugner“ könnten sowohl auf Gottergebene als auch auf solche zutreffen, die nicht Gott ergeben sind.

Es darf natürlich nicht vergessen werden, und das ist bei solch einer Auflistung schlichtweg unmöglich darzustellen, dass die Eigenschaften auch in der Lesung nochmals verschieden bewertet werden. Beispielsweise ist die einzig unverzeihliche Eigenschaft des Menschen das Ableugnen der Einheit Gottes – damit verbunden auch die Ableugnung des Jüngsten Tages, wenn sie unveränderlich bis zum Tod beibehalten wird. Dies ist uns aus den vorigen Kapiteln als Beigesellung bekannt. Alles andere ist verzeihlich. Doch nur Gott kann verzeihen, weswegen wir stets um Vergebung bitten müssen. Niemand ist ohne Sünde, so dass er ohne Vergebung auskäme (35:45, 16:61). Die Mindestkriterien zum Erlangen des Seelenheils und um in die Barmherzigkeit Gottes auch am Jüngsten Tag aufgenommen zu werden sind, dass ein Mensch, ob er sich „Muslim“ nennt oder nicht, an Gott und an das Konzept der Verantwortlichkeit für die eigenen Taten (also an das Jüngste Gericht) glaubt und gute Werke vollbringt (2:62, 5:69).

 

2:64 … Ohne die Huld Gottes gegen euch und seine Barmherzigkeit wärt ihr gewiss unter den Verlierern.

 

Gelobt sei der Herr aller Welten und jeglicher Dank gebührt Gott für seine großzügige, allumfassende Barmherzigkeit.

Menschen können nicht in die Herzen ihrer Mitmenschen blicken. Wir sollten deshalb auch nicht urteilen. Wer ungläubig scheint, kann in Wahrheit gläubig sein. Viele hungern und dürsten im geistigen Sinn, aber sie finden keinen Ausweg und hängen sich deshalb an vergängliche, meist irdische Dinge, obwohl wir uns und unser Herz zuerst an Gott hängen sollten. Ein Fehler ist der, dass die „Gläubigen“ sich anmaßen fromm und besser als die „Ungläubigen“ zu sein. Das ist eine Sünde, denn:

 

Lukas 14:11 Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

 

Vor Gott zählt der Mensch mit seinen rechtschaffenen Taten und nicht der Status (49:13).

 

Verwendung des Wortes „Kufr“ in der Lesung

Wenn wir das Verbalnomen „Ableugnung“ (kufr) betrachten, so werden wir in der Lesung sehen, dass damit nicht nur der spirituelle Aspekt gemeint ist, also nicht nur „Unglauben an eine Gottheit“. Beispielsweise werden in 57:20 die Säleute als „kuffār“ bezeichnet: Arbeiter auf dem Feld, die den Boden bestellen. In dieser Verwendung der Wurzel kāf-fā-rā sehen wir bereits die Grundbedeutung: Das „Verbergen“ oder „Bedecken“ irgendeiner Sache oder Angelegenheit, in 57:20 also das Verbergen des Samens in der Erde.

In vielen Fällen wird das Wort „kufr“ im Sinne einer „Undankbarkeit“ verwendet.106 Meistens aber wird das Wort als Gegenteil von Glaube (Īmān) verwendet. Daher erhält dieses Wort auch die Nebenbedeutung von „jemand, der nicht an Gott glaubt“ oder auch jemand, der „ständig alles anzweifelt und die Wahrheit innerlich oder äußerlich ableugnet“ (ich erinnere an die vorigen Kapitel, in denen ich erklärte, dass Īmān mit einer gesicherten Überzeugung zu tun hat). Ich hatte in unserer Methodik die semantische Ebene betont. Das heißt, wenn ein Wort als klares Gegenwort zu einem anderen Wort steht, erhält es beträchtlichen semantischen Wert als das Gegenwort. Nichtsdestotrotz ist dies nur eine Nebenbedeutung, der in der Lesung am meisten Gewicht verliehen wurde. Im Versuch, ein all diese Kategorien von kufr umfassendes Wort zu finden, entschieden wir uns in unserer Ḥanif-Übersetzung für „Ableugnung“ und dementsprechend ist ein Kāfir also ein Ableugner.

Die Ableugung ist jedoch keine rein dogmatische Kategorie, die sich am Fehlen und am Ableugnen der Glaubensbezeugung (schahādah) erkennen ließe, sondern stellt eine Lebenshaltung dar, die aktiv und bewusst auftritt. Dies ist besonders daran zu erkennen, dass die Ableugnung immer wieder im Sinne einer Undankbarkeit verwendet wird, denn in Undankbarkeit verbirgt man die Gaben und die Gunst Gottes und allgemein betrachtet verbirgt man also wissentlich die Wahrheit. Dieses Ableugnen findet meist als aktive Zurückweisung statt. Nicht von ungefähr werden dann in der Lesung mit diesem Wort Haltungen verknüpft, die als aktiv arrogant und unterdrückerisch beschrieben werden.

Wer ungläubig scheint, kann in Wahrheit gläubig sein.Ableugnung darf infolgedessen nicht mit der rein religiösen oder weltanschaulichen Ablehnung des Monotheismus in Verbindung gebracht werden. Es ist äußerst interessant, wenn wir sehen, dass ein solcher Ableugner laut der Lesung früher gar das Vorhandensein einer solchen Gottheit anerkannte (2:61–63; 31:25; 33:9,78), aber keine Konsequenzen daraus zog, wie etwa sich selbst und seine eigene Lebensweise auf politischer, soziologischer und kultureller Ebene zu ändern (9:34,35; 13:18).

Die 525 Stellen in der Lesung, welche die Wurzel kāf-fā-rā (ك ف ر) betreffen, kommen in insgesamt 465 Versen vor. Dabei werden die nachfolgend aufgeführten Formen der Wurzel verwendet, wobei ich hierbei daran erinnern möchte, dass die klassisch-arabischen und nicht die modernen Bedeutungen des heutigen Standardarabisch untersucht werden.

  • 289 Mal als das Verb des ersten Verbstammes: ableugnen (kafara – كَفَرَ)
  • 53 Mal als das Verbalnomen des ersten Verbstammes: Ableugnung (kufr – كُفْر; kufrān – كُفْرَان; kufūr – كُفُور; kafūr – كَفُور, letzteres im Sinne von Undankbarkeit)
  • 157 Mal als das aktive Partizip als Singular oder Plural des ersten Verbstammes: Ableugnende/ableugnend (kāfirūn – كَٰفِرُون und kuffār – كُفَّارٌ ; synonym dazu fünfmal kaffār – كَفَّار als Adjektiv oder Nomen), ableugnend (kāfira – كَافِرَة) und Ableugnender/Ableugner (kāfir – كَافِر)
  • 14 Mal als das Verb des zweiten Verbstammes: verbergen/entfernen/zurückweisen (kaffara – كَفَّرَ), auch im Sinne von wiedergutmachen oder Sühne
  • Viermal als Nomen abgeleitet vom zweiten Verbstamm: „Sühne“ (kaffāra – كَفَّٰرَة)
  • Einmal als das Verb des vierten Verbstammes: Ableugnung veranlassen, undankbar sein (ʾakfara – أَكْفَرَ)
  • Einmal je nach Sichtweise als das Nomen Kampfer oder als das Adjektiv entlastend (kāfūr – كَافُور) und einmal als das Nomen „Ableugnende“ (kawāfir – كَوَافِر)

Wir sehen also deutlich, dass die Grundbedeutung eher im „Verbergen“ liegt und sowohl negativ (in Bezug auf die Ableugner und Undankbaren) als auch positiv (das Verbergen von Sünden: Die Sühne) verwendet werden kann. Die Lesung zeigt uns vor allem auf, dass das „Ableugnen“ immer auch ein Bezugssystem braucht, man also je nach Kontext ein „erwünschter Ableugner“ oder „unerwünschter Ableugner“ sein kann. So etwa, wenn Abraham zu seinem Volk sagt, dass er sie ableugnet im Sinne von Ablehnung der Falschheiten. Insofern war Abraham ein Ableugner, nur in einem anderen Kontext! (60:4)

Ein Beigeseller (muschrik) ist des Weiteren per Definition auch ein Ableugner (kāfir), da er mindestens dem Prinzip der absoluten Einheit Gottes (tawḥīd) widerspricht, indem er beispielsweise die absolute, alleinige Autorität Gottes in der Religion nicht in vollem Umfang akzeptiert, sondern in anderen Worten diese Wahrheit vor sich selbst oder anderen verbirgt. Er lehnt das Prinzip ab, leugnet es also in seinen Grundzügen. Ein Ableugner hingegen verbirgt die Wahrheit, um sein eigenes Ego, sein Selbst (nafs) zu schützen, weshalb er sich selbst Gott beigesellt, statt sich allein Gott zu ergeben.

Die Begriffe Ableugner und Beigeseller sind zwar unterschiedliche Worte, doch es gibt keinen Ableugner, der kein Beigeseller ist und umgekehrt genauso. Die beiden Begrifflichkeiten beschreiben verschiedene Aspekte desselben Zustands, in dem sich der Mensch befindet. Leugnet man die Wahrheit ab, so gesellt man eine Unwahrheit bei und folgt seinen eigenen Neigungen. Die eigene Neigung wird also beigesellt. Gesellt man Gott etwas bei, so wird die Wahrheit der Einheit Gottes abgeleugnet, man ist also ein Ableugner.

Weitere wesentliche Merkmale von Ableugnern:

  • Halten sich nicht an Friedensverträge, die sie unterschrieben haben, kooperieren mit den Feinden. (9:4)
  • Geben keine Acht auf die Rechte der Anderen, wie Freiheit, Sicherheit und Wohlstand der Gesellschaft. (9:7, 9:45–49)
  • Sie würden sogar Profites wegen die Beziehungen der Verwandten trennen. (9:8)
  • Sind äußerst aggressiv und tätlich. (9:12-13, 2:191)
  • Treiben Menschen aus dem Land fort und beginnen mit fadenscheinigen Gründen einen Krieg. (9:13, 60:7-9)
  • Die Bestimmungen der Gesellschaft bewerten sie nach ihrem eigenen Interesse, und führen sie nach eigenem Interesse aus. (9:37)
  • Wollen nicht, dass andere es besser haben als sie selbst, prahlen mit ihren Erfolgen. (9:50)
  • Leben ihre Religion, der sie angehören, nicht angemessen und nur oberflächlich aus und wollen lediglich gesehen werden. Sie geben die Spenden nicht von Herzen und sind in Wahrheit Heuchler. (9:52–54, 9:63–66, 107:4)
  • Befolgen ihre eigene Meinung, Ideologie oder Religion nicht, alles bleibt beim Wörtlichen. (62:5)
  • Provozieren Streit und Missverständnisse in der Gesellschaft durch Täuschung. (9:56-59)
  • Geben ihren Freunden ein falsches Vertrauen und lügen; wenn die Situation ernst wird, lassen sie sie im Stich, stehen nicht zu ihrem Wort. (59:11–20, 9:56–57, 96:16)
  • Sind gierig, äußerst geizig und gehen dem Geld nach; ordnen sich ihren eigenen Gelüsten unter. (9:58–59, 9:76–77)
  • Spornen einander nicht zu rechtschaffenen Eigenschaften an. (9:67–68)
  • Haben keine Interessensgebiete außer Besitz, Anwesen und Kindern. (9:69)
  • Ermorden oder versuchen Gottes Propheten und diejenigen zu ermorden, die für die Gerechtigkeit kämpfen. (4:155; 5:70; 8:30)
  • Sehen in den guten Taten der Menschen stets das Lückenhafte, sehen auf jene herab, die keine Hilfe anbieten können aufgrund der fehlenden nötigen Mittel. (9:79)
  • Teilen die Menschheit in einander feindlich gesinnte Gruppen und stiften Unfrieden. (9:107, 3:103-105, 85:10, 42:13)
  • Bei Hilfeleistungen stehen sie im Weg, statt zu helfen. (107:7)
  • Denken stets, dass jemand sie angreifen will, und haben das Bedürfnis sich zu verteidigen. (63:4)
  • Stellen sich über andere und versklaven die Menschen. (79:24; 12:39–42)
  • Solange Andersdenkende ihre Gedanken/Ideen nicht für den Vorteil der Ableugner ändern, gehen sie mit ihnen nicht geziemend um. (68:9)
  • Schwören, demütigen und rügen andauernd, halten sich nicht an ihre Worte, sind Tyrannen (Despoten) und respektlos, verhindern die Wohltat. (68:10–13)
  • Möchten die Gesetze zu ihrem Vorteil anwenden. (36:41)
  • Nähern sich keiner Idee gelassen oder sachlich, welche nicht mit ihren Gedanken übereinstimmt, sondern wollen regelrecht den Eigentümer dieser Idee mit großer Respektlosigkeit angreifen. Glauben nur dem, das ihrem Ego, ihren Begierden und ihrer Neigung passt, hinterfragen nicht, was die Wahrheit ist. (53:23, 68:51, 74:16–25)
  • Trotz der Gaben, schönen Kinder, Güter, Reichtümer und ihrer unzähligen Möglichkeiten sind sie unersättlich. (74:11–16)
  • Streiten sinnlos über die Verse Gottes und Gott selbst. Statt dass sie sich vom Buch ermahnen lassen, hängen sie an bildlichen Formulierungen fest, verzeichnen keinerlei ethischen/moralischen Fortschritt. (2:139, 3:7, 40:4, 74:31)
  • Obwohl sie keine Veranlagung dazu haben, die Wahrheit sehen zu können, warten sie darauf, dass sie sogar Offenbarungen erhalten, um glauben zu können. (74:52)
  • Sind (im Herzen) unselig und elend. Werden auf eine allegorische Weise mit den Toten verglichen. (35:22, 6:122; 27:80; 30:52, 87:11–13)
  • Schreiben weltlichen Gelüsten eine große Wichtigkeit zu. (87:16–17)
  • Spenden den Waisen nicht, behandeln sie schlecht und sättigen die Armen nicht. Sie kennen keine Testamentsgrenzen und verzehren (das Erbgut) auf verbotene Weise. Sie lieben materielle Güter sehr. Weigern sich allgemein, von ihrem Wohlstand etwas für die Armen abzugeben. (2:254, 3:179, 9:34–35, 41:7, 89:17–20, 107:2-3)
  • Möchten wenig geben, aber viel nehmen. Obwohl sie wenig Wissen besitzen, möchten sie in jedem Thema die Bestimmungen festlegen. (53:33–35)
  • Sind dazu geneigt, das kleinste bis zum größten Lebewesen zu ermorden, sind barbarisch/erbarmungslos. (91:11–14)
  • Sie dienen falschen Göttern. (21:98)
  • Verschwören sich und planen Ränke gegen die Gottergebenen und versuchen sie auf hinterlistigste Art zu bekämpfen. (8:30, 4:101–102)
  • Hängen dem Stammestum und Elitendenken an, sind generell rassistisch. (7:48; 9:79; 19:77, 42:42, 48:26)
  • Verachten die Anrufung Gottes. (40:14)
  • Machen sich über die Propheten lustig und schikanieren und verfolgen sie. (14:13, 21:36)
  • Betrachten die Lesung als eine Lüge, Hexerei und Zauberei und dementieren die göttliche Natur der Offenbarung. (6:25, 46:7, 34:43)
  • Spotten über die Vorstellung der Stunde (Tag des Gerichts) und lehnen die Existenz des Jenseits ab. (34:3,7; 64:7; 50:2,12; 27:67)
  • Lehnen alle Schriften Gottes ab. und beharren spöttisch darauf, die Wahrheit abzulehnen (34:31, 85:19, 4:140)
  • Disputieren mit sinnlosen Argumenten, um die Wahrheit abzuschwächen. (18:56)
  • Feiern ihre „Eigen-Herrlichkeit“ und ihren Separatismus. (38:2)
  • Sind fehlgeleitet, aber meinen, es nicht zu sein. (2:78, 3:154, 6:116, 6:148, 10:36, 10:66, 18:103-105, 28:85, 41:23, 48:12, 53:23)
  • Verlangen ein Entgelt für Almosen und verrichten gute Taten nicht aus Selbstlosigkeit. (92:19)
  • Meinen, dass Jesus Gott sei und sprechen ohne Wissen über Gott. (5:72, 22:8)
  • Verharren in ihrem Nichtglauben und selbst wenn sie glauben, verharren sie lieber in ihren traditionellen, götzendienerischen Denkmustern. (2:170, 12:103, 12:106)
  • Begehen Beigesellung (schirk), eine der Gefahren des Ableugnens, wie etwa die Macht und die Quelle der Lebensordnung bei anderen Wesenheiten als Gott zu suchen. Gesellen beispielsweise Gott auch ihre Kinder bei. (6:100, 7:189–190, 16:86, 30:13, 34:40)
  • Nehmen die Aussagen von Gelehrten, Theologen, Priestern, Predigern, Scheichs usw., als ob sie die Religion und das Wort Gottes darstellten. (9:31)
  • Töten ihre eigenen Kinder. (6:137)
  • Führen den Kampf auf dem Wege des Bösen. (4:76)
  • Sie glauben sporadisch an die Macht und Einheit Gottes, geben sich geistig aber mehreren Herrschern und Beigesellten hin. (30:28, 39:29, 29:65)
  • Sie vergöttern sich selbst und ihr Besitztum. (2:258, 18:32–42, 6:136)
  • Unterdrücken die Schwachen. (4:168, 14:13, 4:75-76, 8:26, 28:4)
  • Gründen ihre Meinungen lediglich auf Vermutungen, Schätzungen und Gedankenspielereien. (10:66, 24:15)
  • Zeigen Eigenschaften wie Hochnäsigkeit oder Hochmut ähnlich wie Iblis. (38:76, 28:76–82)
  • Schweigen angesichts von Unterdrückung. (5:63, 5:79)
  • Bemühen sich unter anderem auch finanziell darum, die Menschen von Gott und der Gerechtigkeit abzubringen. (6:26, 7:45, 8:36, 8:73, 96:9–10)
  • Verachten die Gottergebenheit und verspotten die Gottergeben regelmäßig. (10:79, 15:11, 18:106)

Und natürlich viele weitere Verse…

Möge Gott die Gläubigen vor den Gefahren der Ableugnung beschützen, so Gott will.