Mensch als Stellvertreter Gottes auf Erden?

Kategorien: Theologie & Auslegung

Ich suche Zuflucht bei Gott vor dem verworfenen Satan
Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Gnädigen

2:30 Und als Dein Herr zu den Engeln sagte: „Ich werde auf der Erde einen Nachfolger hinterlassen“, sagten sie: „Lässt Du darauf solche, die Unheil stiften und Blut vergießen, wo wir Dir Lob preisen und Dich heiligen?“ Er sagte: „Ich weiß, was ihr nicht wisst!“


Der Mensch kann kein Stellvertreter Gottes auf Erden sein. Jemand, der den Platz eines anderen einnimmt, wird als Khalif bezeichnet (7:142). Gott erschuf die Menschheit so, dass jeder Mensch die Position eines anderen einnehmen könnte, im Sinne eines Nachfolgers oder Stellvertreters. Wir sehen das bereits im Alltag. Die Nachkommen nehmen den Platz der Vorfahren ein. Es ist auch so, dass das Rennen um die Nachfolgerschaft andere dazu verleiten kann, die Stellung, die Möglichkeiten und die Güter in unserer Hand an andere zu verlieren. Dies ist das Gefühl des Neides auf all diese Dinge und andererseits die Angst, die Güter und das Ansehen an andere zu verlieren. Jene, die sich den Propheten widersetzt haben, hatten Angst, ihre Tradition, ihr Status Quo, ihre Gewohnheiten und ihr täglichen Lohn zu verlieren. Die Propheten jedoch hatten folgenden Auftrag:

26:127 Ich verlange von euch dafür keinen Lohn. Mein Lohn obliegt nur dem Herrn der Welten.


Aus Vers 2:30 des Koran ist zu verstehen, dass die Engel – noch bevor Iblis zu einem abgefallenen Engel wurde (!) – ihre Bedenken Gott näher gebracht haben, dass der Mensch im Kampf um die Nachfolge viel Leid anrichten würde. Woher wissen diese Engel diese Tatsache, bevor Adam auf die Erde gestellt und Iblis zum Satan wurde? Gott widerspricht ihnen auch nicht, sondern sagt lediglich: Ich weiß, was ihr nicht wisst. Aus diesem Satz kann auch direkt gefolgert werden, dass mit der Erschaffung des Adam, des Menschen, kein vergleichbares Wesen existierte. (Dies ist aber weder ein Argument für noch gegen die Evolutionstheorie.)

Das System der Nachfolge

Der Mensch kann kein Stellvertreter Gottes auf Erden sein

Die Menschen wetteifern auch im Guten um die Nachfolge, indem sie versuchen mehr Wissen und mehr Können anzueignen. Dies ist das Wetteifern im Guten und begünstigt das Heilvolle. So entstehen Fortschritte und Weiterentwicklungen, Kultur, Wissenschaft und Zivilisation. Wäre das System der Nachfolge auf Erden nicht eingesetzt worden, würden sich die Menschen von den anderen Wesen kaum unterscheiden, hätten keine Zivilisation errichten können. In anderen Worten: der Mensch ist lernfähig und kann sich weiterentwickeln. Genau dies ist der Punkt, den die Engel nicht zu unterscheiden wussten und was in den nachfolgenden Versen im Koran weiter erläutert wird (2:31ff.).

Das System des Khalifats, der Nachfolge auf Erden eröffnet auch Wege fürs Blutvergießen; dies ist im Tierreich zu beobachten. Auch dort bestehen Hierarchien und ein Beispiel sei der Hahn. Zwei Hähne bleiben nicht am selben Ort. Entweder verlässt der eine diesen Ort oder wird vom anderen umgebracht. Der Mensch war auf Erden nicht das erste Wesen. Die Erde musste bereits existieren, dass der Mensch auf ihr leben konnte. So wussten also die Engel um all die Lebewesen auf der Erde vor Adam/dem Menschen (dies kann und soll als Argument für die Evolutionstheorie gelten). Und sehr wahrscheinlich aus diesem Grund, weil sie sahen, was die Lebewesen auf der Erde im Kampf um die Nachfolge anstellten, befürchteten sie Zerstörung, Chaos und Blutvergießen, wenn der Mensch als Mann und Frau im System des Khalifats erschaffen wird. Interessant auch, dass aus derselben Wurzel Wörter im Sinne wie „mukhtalafiin“ (مختلفين, sh. 11:118) oder „ikhtalafa“ (اختلف, sh. 2:213) gebildet werden und „uneins“ oder „uneinig“ bedeuten. Und das nachdem das Wissen kam.

Aus diesem Vers wird auch oft behauptet, dass der Mensch/Adam Gottes Nachfolge oder Stellvertreter sei. Da ein Khalif, ein Nachfolge oder Stellvertreter, die Position desjenigen einnimmt, der vor ihm war, muss diese vorherige Position von jemandem besetzt worden sein, der nicht mehr da ist, schwach oder unfähig geworden oder gestorben ist. Diese Dinge kann man über Gott nicht sagen. Deshalb kann der Mensch nicht der Khalif Gottes sein, sondern nur der Khalif eines anderen Menschen. Weitere Verse, welche dies ausreichend und vollkommen erklären: 38:26, 10:13-14, 10:73, 7:129, 6:133, 6:165.

Es wäre des Weiteren auch eine ungeheuerliche Aussage der Engel, falls der Mensch tatsächlich Stellvertreter Gottes auf Erden wäre, indem sie ihre Bedenken gegenüber Gott damit ausdrücken, dass der Stellvertreter, der angeblich die Position Gottes und somit seine Aufgaben wahrnehmen sollte, ein Wesen darstellt, das Blut vergießt und Unheil stiftet. Dies wäre indirekt eine Anschuldigung der Engel, dass Gott Blut vergießen würde und Unheil stiftete.

Gott gibt uns durch den Koran zu verstehen, dass es an uns liegt, ob wir mit anderen Nachfolgern ersetzt werden oder nicht. Dies ist eine klare Anspielung auf die Vernichtung von Städten und Staaten. Wir haben es selbst in der Hand, wie wir unseren Zustand gestalten wollen (13:11) und können zu denen gehören, die Gottes Anweisungen missachten (19:59) oder zu denen, die eine angesehene Stellung bei Gott erhalten durch ihr gutes Wirken und im Wetteifern nach den Guten Taten im zwischenmenschlichen, wissenschaftlichen und persönlichen Bereich (24:55).

Die Nachfolge auf Erden wurde uns als Zeichen der Barmherzigkeit Gottes zuteil. Seien wir dankbar dafür.

Gott sei gepriesen und jeglicher Dank gebührt Ihm…