Hadith und Sunna

Und sie sagen der Koran reicht aus! (2/4)

Wie urteilte der Prophet Muhammad?

 

Im ersten Teil der Artikelreihe „Und sie sagen der Koran reicht aus!“ haben wir uns damit beschäftigt, wie die frühesten Menschen und Schriftbesitzer urteilen sollten laut Koran. In diesem Artikel befassen wir uns mit der Frage, wie der Prophet urteilte und warum man im Islam nur mit der Offenbarung urteilen darf.

Wir lesen:

 

5:48 Und Wir haben zu dir das Buch mit der Wahrheit hinabgesandt, das zu bestätigen, was von dem Buch vor ihm (offenbart) war, und als Wächter darüber. So urteile (uḥkum) zwischen ihnen nach dem, was Gott herabgesandt hat, und folge nicht ihren Neigungen entgegen dem, was dir von der Wahrheit zugekommen ist.

 

Hier ist es eindeutig, dass nur nach der Offenbarung zu urteilen erlaubt ist, dass es demnach nur eine Sunna geben kann, nämlich Gottes Sunna. Der Prophet urteilte also nach dem Koran (vgl. auch 7:203) und zwar nur nach diesem. Daraus können wir schließen, dass auch alle vorherigen abrahamitischen Religionen so zu urteilen hatten nach ihren jeweiligen Büchern – denn laut Koran ist „Islam“ (Gottergebenheit) keine neue Religion, sondern – wie auch der Koran oft sagt – die Bestätigung der vorangegangenen Bücher. Bereits Abraham nannte sich Gottergebener (arab.: Muslim) und er nannte auch seine Mitgläubigen Gottergebene (22:78).

Die Einheit Gottes wird noch an folgenden Versen deutlicher:

 

3:64: Sag: O Leute der Schrift, kommt her zu einem zwischen uns und euch gleichen Wort: dass wir niemandem dienen außer Gott und Ihm nichts beigesellen und sich nicht die einen von uns die anderen zu Herren außer Gott nehmen. Doch wenn sie sich abkehren, dann sagt: Bezeugt, dass wir Ergebene sind.

 

Der Vers ist in seiner Aussage unumstößlich und macht uns deutlich, Gott weder etwas beizugesellen noch – und das ist ein fundamentaler Bruch mit Quellen außerhalb der Offenbarungen – dass sich die einen von uns die anderen zu Herren außer Gott nehmen. Das „sich zu Herren nehmen“ bedeutet laut Koran konkret Gesetze außerhalb der Offenbarung einzuführen (42:21). Wie wir oben bereits gesehen haben, schränken die Verse 5:44 und 5:47 den Rahmen der Gesetzgebung auf die Offenbarung ein. So wird die Einheit Gottes in Vers 3:64 noch einmal bestätigt und bestärkt. Dies ist auch die Hauptbotschaft des Koran an sich, nämlich die Einheit Gottes. Die einzige Quelle in religiösen Belangen ist Gott allein – wie stark ermahnt uns Gott durch die Verse 3:79-80!

 

3:79 Es steht einem menschlichen Wesen nicht zu, dass ihm Gott die Schrift, das Urteil (al-ḥukm) und das Prophetentum gibt, und er hierauf zu den Menschen sagt: „Seid Diener von mir anstatt Gottes!“, sondern: „Seid Leute des Herrn, da ihr das Buch zu lehren und da ihr es zu erlernen pflegtet.“

3:80 Und (es steht ihm nicht zu,) euch zu befehlen, die Engel und die Propheten zu Herren zu nehmen. Sollte er euch die Ableugnung befehlen, nachdem ihr (Gott) Ergebene wurdet?

 

Eine eindeutige Ansage, sich die Propheten nicht zu Herren zu nehmen und sich ganz auf Gott und Sein Wort zu konzentrieren – geradeaus direkt zu Gott, ohne Nebenzweige einzuschlagen in religiösen Belangen! Wir werden angehalten das Buch zu erforschen. Die Haltung, sich bewusst außerhalb dieser Richtlinien aufzuhalten, wird mit dieser rhetorischen Frage verworfen:

 

3:80 … Sollte er euch die Ableugnung befehlen, nachdem ihr (Gott) Ergebene seid?

 

Der Eingottglaube wird also auf nur eine Quelle fixiert: Gottes Offenbarungen. Die einzige Autorität ist und bleibt dabei Gott. Schauen wir in weiteren Versen nach, die die obige Feststellung erhärten:

 

42:10 Und worüber ihr auch immer uneinig seid, das Urteil (al-ḥukm) darüber steht Gott zu. Dies ist doch Gott, mein Herr. Auf Ihn verlasse ich mich, und Ihm wende ich mich reuig zu.

 

Auch hier sehen wir wie eben dargelegt, dass das Urteil bei Uneinigkeiten in religiösen Dingen Gott allein obliegt, dass sich der Prophet nur auf Gott verlässt und sich Ihm in Reue zuwendet – sich also ganz auf Ihn einstellt. Ist nicht dies der Eingottglaube in seiner schönsten Weise, von unserem Propheten vorgelebt? So folgen wir seinem prophetischen Beispiel und verlassen uns allein auf Gott.

Die Haltung Gottes gegenüber anderen Quellen als der Offenbarung, wird in folgenden Versen unmissverständlich klar:

 

4:105 Gewiss, Wir haben dir das Buch mit der Wahrheit hinabgesandt, damit du zwischen den Menschen richtest (litaḥkuma) auf Grund dessen, was Gott dir gezeigt hat. Sei kein Verfechter für die Verräter!

 

Gott gibt also dem Propheten das Buch, damit er zwischen den Menschen richte. Der Satzteil „was Gott dir gezeigt hat“ bezieht sich auf die im Koran offenbarten moralischen, ethischen wie auch sozialen Prinzipien, die gemäß der Wahrheit offenbart wurden. Dies wird in der Betonung der Wahrheit im Vers sichtbar, die dem Buch innewohnt. Hier wird nochmals die Einheit Gottes ersichtlich, nämlich dass Gott in religiösen Angelegenheiten die einzige Autorität (6:114) und unser einziger Lehrer ist (55:1-2).

Selbst als der Koran zur Offenbarungszeit noch nicht komplett und nur ein Teil niedergeschrieben war, konnte der Prophet manche Urteile durch den Koran fällen, andere aber – und hier zeigt sich wieder die alleinige Autorität Gottes – wurden dem Propheten Schritt für Schritt zur rechten Zeit (25:33) offenbart.

Der Koran liegt uns heute jedoch vollständig vor und Gott hat uns dort alle Urteile, die religiöse Belange betreffen, zu seiner Vollkommenheit im Koran mitgeteilt. Gott will im vorangegangenen Vers 4:105 dem Propheten nahelegen, nicht seinen Neigungen gemäß zu handeln. Denn das Buch und ihre Urteile sind eine Sache, die Durchführung und die damit verbundene Konsequenz eine andere. Der Prophet war nämlich nur ein Mensch (18:110) mit allen damit verbundenen Stärken und Schwächen. Denn der Vers 4:105 betont diese Haltung im letzten Satz: “Sei kein Verfechter für die Verräter!“

Wie begegnen wir aber Traditionalisten, die in „was Gott dir gezeigt hat“ eine Sunna hineininterpretieren wollen? Wenn der Prophet eine Sunna erlaubt hätte, würde dies konsequent folgendes Pflichtkriterium mit sich bringen: Der Prophet müsste unfehlbar sein. Denn wie soll man einer Sunna Autoritiät geben, wenn die Quelle selbst verderbt ist? Selbst die Aḥādīṯ betonen die Fehlbarkeit des Propheten als Menschen. Sie verdeutlichen genauso, dass der Mensch Mohammed nur in seiner prophetischen Funktion als Gesandter in der Überlieferung und Verkündung der Offenbarung seine Pflicht zu erfüllen hatte. Dazu folgender Hadith:

 

„Der Prophet (Allahs Frieden und Segen seien auf ihm) kam nach Madīnah und sie bestäubten die Dattelpalmen. Er fragte: `Was macht ihr?` Sie sagten: `Wir pflegen sie immer zu bestäuben.` Er sagte: `Vielleicht, wenn ihr es nicht tut, wird es besser sein.` So unterließen sie es und die Ernte war mager. Sie erzählten es ihm und er sagte: `Ich bin nur ein Mensch wie ihr. Wenn ich euch etwas über die Religion sage, dann befolgt es, doch wenn ich euch etwas sage, das auf meiner eigenen Meinung basiert, so bin ich nur ein Mensch.`“ (Muslim #2361).

 

Und als nächstes muss man sich fragen, wie soll sich eine Sunna mit den oben behandelten Versen verstehen lassen, die nur der Offenbarung Platz einräumen? Im Koran finden wir gleich mehrere Beispiele, die die Sünden des Propheten behandeln (47:19, 48:2). Die Offenbarung selbst wird hingegen als rein bezeichnet:

 

98:2 ein Gesandter von Gott, der gereinigte Blätter verliest

 

Wir sehen, eine Offenbarung muss ohne Makel sein und die traditionell gelehrte Sunna ist es nicht. Die traditionelle Sunna ist menschlichen Ursprungs, da bisher niemand behauptet hat, Bukhary oder Konsorten seien ebenso Gesandte Gottes, die in Seinem Namen gehandelt hätten. Allein diese Umstände verunmöglichen es, der Sunna Autorität zu verleihen.

Wir fassen das Bisherige zusammen:

  • Gott lehrte den Propheten den Koran (55:2) und nur den Koran.
  • Der Prophet wie auch alle Gläubigen dürfen nur dem Herabgesandten, also dem Koran folgen (7:3).
  • Der Prophet selbst ist keine weitere Quelle, kein weiterer „Herr“, wie es 3:80 und 6:19 und auch weitere Verse klar machen.
  • Gott allein steht das Urteil zu (6:114, 5:44 usw.).

Es muss auch der Unterschied zwischen der Gesandten- und Prophetenfunktion aufgeführt werden. Die Gesandtenfunktion beinhaltet nur die Verkündigung der Schrift und keinen weiteren Punkt (13:40, 16:35, 16:82, 24:54, usw.). Deswegen ist der Gesandte, sofern er die Verkündigung wiedergibt, wie Gott es von ihm einfordert, vollkommen. Denn es ist hier nur von Offenbarung die Rede. Selbst in seiner prophetischen Funktion hatte er die Pflicht, sich mit seinen Nächsten zu beraten:

 

3:159 So verzeihe ihnen, bitte für sie um Vergebung und ziehe sie in den Angelegenheiten zu Rate. Und wenn du dich entschlossen hast, dann verlasse dich auf Gott! Gewiss, Gott liebt die, die sich (auf Ihn) verlassen.

42:38 Und diejenigen, die auf ihren Herrn hören und das Gebet verrichten, ihre Angelegenheiten durch Beratung untereinander (regeln) und von dem ausgeben, womit Wir sie versorgt haben…

 

Noch deutlicher macht Gott seine Autorität an folgendem Vers klar:

 

6:114 Soll ich denn einen anderen Schiedsrichter (ḥakam) als Gott begehren, wo Er es doch ist, der das Buch, ausführlich dargelegt, zu euch herabgesandt hat?

 

Auch hier wird ganz deutlich, dass der Prophet nur nach dem Koran urteilte und keine andere Quelle benutzen durfte und das nur Gott urteilen darf in Angelegenheiten der Religion. Der Vers wird intensiv mit dem Eingottglauben verknüpft, denn der Vers sieht nur einen Schiedsrichter – Gott allein. Und seine Gesetze sind im Buch, die ohne Sekundärquellen auskommen. Der Koran wurde hier als „ausführlich dargelegt“ beschrieben, somit erübrigt sich die Frage, ob der Koran Einzelheiten ausgelassen habe, die durch die traditionelle Sunna ergänzt werden müssten. Durch die rhetorische Frage des Verses wird jegliche Quelle ausser Gott für überflüssig und auch ungültig erklärt.

Außerdem sagt Gott vom Koran:

 

11:1 Alif-Lam-Ra. (Dies ist) ein Buch, dessen Zeichen eindeutig festgefügt und hierauf ausführlich dargelegt sind von Seiten eines Weisen und Kundigen.

41:3 ein Buch, dessen Zeichen ausführlich dargelegt sind, als ein arabischer Koran, für Leute, die Bescheid wissen

 

Vers 6:114 ist also nicht der einzige Vers, der dem Koran eine „ausführliche Darlegung“ attestiert. Diejenigen also, die behaupten, der Koran reiche in religiösen Belangen nicht aus, müssten sich zu diesen Versen äußern. Dazu auch folgender Artikel: Allein Gott lehrt und erklärt den Koran

Im dritten Artikel werden wir der Frage nachgehen ob Gott seine Befehlsgewalt/Autorität in religiösen Angelegenheiten teilt, wie der Begriff “Sunna” im Koran genutzt wird und wer den Koran erklärt.

Und sie sagen der Koran reicht aus! (1/4)

Standpunkte und Gegenargumente im Überblick

 

Frieden,

Ich habe eine vierteilige Artikelreihe über dieses Thema, der Koran reicht aus, geschrieben, welche nach und nach hier veröffentlicht wird. In dieser Reihe werden die Argumente aus dem Koran zu diesem Thema vorgestellt und analysiert. Ich hoffe euch mit dieser Artikelreihe an Wissen zu bereichern und – so Gott will – euren Glauben noch mehr zu festigen aber auch Menschen zu erreichen, die Gottergebenheit ohne traditionelle Sunna besser verstehen wollen …

Den meisten von uns wurde bereits im Kindesalter eingetrichtert, dass der Koran nicht alle Einzelheiten beinhalte, welche die Religion betreffen. Auf diese Weise wachsen viele mit der Vorstellung auf, dass der Koran nicht ausreiche. Somit erscheint es naturgemäß, dass wenn man das erste Mal mit der Tatsache konfrontiert wird, dass der Koran sich als vollständig, klar oder auch ausführlich detailliert bezeichnet, dies einem fremdartig erscheint. Mitunter wird sogar vorschnell geurteilt, diese Ansicht könne nicht nur falsch sein, sondern sei auch einfältig gedacht. Gemäß Manchen gehe man nach Gelüsten, gemäß Anderer träte man damit gar aus dem Glauben aus.

Die Frage nach der Vollständigkeit ist fundamental für jede und jeden Gottergebene/n (arabisch: Muslim). Denn je nach Antwort zu dieser Frage wird der jeweilige andere Weg ausgeschlossen. Er wird ad absurdum geführt. Wenn der Koran vollständig ist, sei es bezüglich der Einzelheiten des Gebetes, der Pilgerfahrt, der Rechtsprechung, der moralischen Prinzipien, der religiösen Ethik und dergleichen, so hat die traditionell gelehrte Sunna keinerlei Autorität und Aussagekraft mehr in der Religion. Wenn dies nicht gegeben ist, bekommt die Sunna eine Autorität und die Gottergebenheit ohne eine wie auch immer geartete Sunna wäre nicht mehr haltbar.

Ich werde hier die Argumente derjenigen Gottergebenen aufzeigen, die ohne die traditionell bekannte Sunna auskommen, aber auch die Gegenargumente, die dagegen angeführt werden. Anschließend werde ich diese Gegenargumente genauer unter die Lupe nehmen.

Betrachten wir nun folgende Argumente, welche die Gottergebenen mitunter anführen, um zu zeigen, dass der Koran alleine ausreicht.

 

16:89 … Und wir haben die Schrift (den Koran) auf dich hinab gesandt als eine Klarlegung aller Dinge (tibyānan likulli shay‘), und als Rechtleitung, Barmherzigkeit und Frohbotschaft für die Ergebenen.

12:111 … Und er (der Koran) ist kein erfundener Hadith, sondern eine Bestätigung dessen, was (an Offenbarung) vor ihm da war, und er ist eine Darlegung aller Dinge (tafāsīl likulli shay‘), eine Rechtleitung und Barmherzigkeit für Leute, die glauben.

 

Natürlich ist der Koran in der Anzahl an Worten beschränkt, und deshalb betrifft hier das „alles“ (kulli) natürlich nur die religiösen Belange (dazu 5:3). Jedoch sagen die Sunnaanhänger, dass die Sunna im Koran verankert sei. Dazu komme ich später. Wir werden uns jetzt anschauen, nach welchen Kriterien laut Koran die Menschen vor dem Propheten Mohammed ihre Religion praktizierten.

Denn die Ergebenheit (arabisch: al-Islām) gegenüber Gott ist keine neue Religion, sondern bestätigt die vorherigen Gesandten, die auch Gottergebenheit (al-Islām) predigten und praktizierten.

 

Wonach urteilten die frühesten Menschen?

 

2:213 Die Menschen waren eine einzige Gemeinschaft. Dann schickte Gott die Propheten als Verkünder froher Botschaft und als Überbringer von Warnungen und sandte mit ihnen die Bücher mit der Wahrheit herab, um zwischen den Menschen über das zu richten, worüber sie uneinig waren.

 

Hier kann man argumentieren, dass eine „Sunna“ im Sinne der Tradition damals in den Büchern legitimiert gewesen sein soll, wie es von der Mehrheit der heutigen Muslime behauptet oder geglaubt wird. Dies deshalb, um angeblich unklare Angelegenheiten in der Religion zu klären oder sie gar zu erweitern. Allerdings wird so eine „ergänzende Sunna“ im Vers nicht genannt und im Hinblick auf den Koran wird an keiner Stelle von einer sogenannten „Sunna des Propheten“ gesprochen. Das Wort „Sunna“ wird im Koran nur in Bezug auf Gott verwendet in Form von „sunnatullah“ (siehe Verse 33:38,62; 35:43; 40:85; 48:23). Traditionalisten, die für eine „Sunna des Propheten“ eintreten, haben also kein Fundament im Koran und widersprechen somit der einzigen Sunna, der Sunna Gottes. Deutlich wird bei Diskussionen über dieses Thema, dass die althergebrachten Überzeugungen bereits viel Raum eingenommen haben, dass die Wahrnehmung dieser Tatsache leider unbeachtet bleibt.

Zu dem Vers können wir auch sagen, dass damals die Bücher allein das Urteil Gottes sprachen. Stellen wir uns nun die folgende Frage:

 

Wie sollten die Juden und Christen urteilen?

 

5:44 Gewiss, Wir haben die Tora hinabgesandt, in der Rechtleitung und Licht sind, womit die Propheten, die sich (Gott) ergeben hatten, für diejenigen, die dem Judentum angehören, urteilen (yaḥkum), und so auch die Leute des Herrn und die Gelehrten, nach dem, was ihnen von der Schrift Gottes anvertraut worden war und worüber sie Zeugen waren. So fürchtet nicht die Menschen, sondern fürchtet Mich. Und verkauft Meine Zeichen nicht für einen geringen Preis! …

 

Hier wird also klargestellt, dass Juden nach der Tora zu urteilen haben. Sagt der Koran etwas über andere Quellen aus, die Juden benutzen dürfen? Befürwortet der Koran diese oder lehnt er sie gar ab? Der vorangegangene Vers 5:43 gibt darüber Aufschluss:

 

5:43 Wie aber können sie dich richten lassen (yuḥakkimūnaka), während sie doch die Tora haben, in der das Urteil Gottes (enthalten) ist, und sich hierauf, nach alledem, abkehren? Diese sind doch keine Gläubigen.

 

Wie also können die Juden den Propheten Mohammed zu etwas Religiösem befragen, ihn also zum Richter (ḥākim) machen, wo sie doch das Urteil (ḥukm) bereits in der Tora finden können? Oder anders gefragt: Wie aber wollen wir den Propheten zum absoluten Richter machen, während wir doch den Koran bei uns haben, worin Gottes Urteil ist?

 

Der Einwand aber, der Prophet Mohammed hätte doch eine Richterfunktion inne, scheint durch folgende Verse gestützt zu werden:

 

4:59 O die ihr glaubt, gehorcht Gott und gehorcht dem Gesandten und den Befehlshabern unter euch! Wenn ihr miteinander über etwas streitet, dann bringt es vor Gott und den Gesandten, wenn ihr wirklich an Gott und den Jüngsten Tag glaubt. Das ist am besten und am ehesten ein guter Ausgang.

4:65 Aber nein, bei deinem Herrn! Sie glauben nicht eher, bis sie dich über das richten lassen (yuḥakkimūnaka), was zwischen ihnen umstritten ist, und hierauf in sich selbst keine Bedrängnis finden durch das, was du entschieden hast, und sich in voller Ergebung fügen.

 

Die erste zu betonende Tatsache ist hier, dass beide Verse thematisch zusammenhängen. Das Thema des allgemeinen Gehorsams gegenüber Gott und Seinem Gesandten erstreckt sich in diesem Kontext vom 58. Vers bis zum 70. Vers der vierten Sura. Allgemein werden gleich zu Beginn der vierten Sura mehrere Gesetze, Regelungen und Pflichten erhoben in Bezug auf die Waisen und die Erbschaft (4:1-12). Was hierbei besonders erwähnt werden muss, ist die Tatsache, dass gleich nach Anschluss dieser Gesetze Gottes im 13. Vers deutlich wird, dass dem Gesandten zu gehorchen nichts anderes bedeutet als die Schranken Gottes (ḥudūd Allāh) einzuhalten. Denn der Gesandte hat die Aufgabe Gottes Worte zu verkünden, deshalb muss ihm gehorcht werden, damit wir überhaupt Gott gehorchen können, da Gott nicht direkt in den Dialog mit den Menschen tritt. Dies erklärt gleichzeitig auch, wieso gerade das Wort „Gesandter“ (rasūl) als Bezeichnung für den Menschen verwendet wird, der Gottes Wort verkündet: ein zeitlich eingeschränkter Mittelweg, mit dem Gott zu uns spricht.

Der erste Vers (4:59) handelt vom Gesandten, dessen einzige Funktion aber nur die Verkündigung ist. Dies wird an zahlreichen Koranstellen ersichtlich (13:40, 16:35, 16:82, 24:54, usw.). Auf die Gesandtenfunktion gehe ich aber später nochmal ausführlicher ein. Der wichtige Punkt hier ist, dass eine weitere Autorität eingeführt wird, die aber selbst nicht absolut wie Gott oder der Gesandte ist, der Gottes Wort übermittelt: die Menschen, die von Rechts wegen auf gesellschaftlicher Ebene zu urteilen haben. Dass diese weitere Autorität nicht absolut sein kann, wird dadurch ersichtlich, dass in einem Streitfalle die Angelegenheit vor Gott und den Gesandten gebracht werden muss, also im Endeffekt mittels des Korans entschieden wird. Wenn der Koran zur Entscheidungsgrundlage wird, so ist es das Wort Gottes, welches die endgültige Autorität besitzt, und somit eben Gott allein.

Die Bedeutung des Verses 4:65 wird nicht nur wie der vorige Vers aus dem umliegenden Kontext deutlich, wo klar wieder nur vom Gesandten die Rede ist und somit wieder nur Gott Autorität einbehält. Sondern auch durch die Wortwahl innerhalb des Verses mittels yuḥakkimūnaka („sie lassen dich urteilen“) genau wie in 5:43, wobei zusammen mit 5:48 klar wird, dass das Urteil des Gesandten allein mittels der Offenbarung zustande kommt. Somit bleibt der Koran, Gottes Wort, immer noch die einzige Autorität.
Zurück zu 5:43, der sich wie im vorigen Beispiel (5:44) nur auf eine Quelle beschränkt, nämlich die Tora – eine unumstößliche Antwort auf die Frage, ob andere Quellen wie der Talmud, die Mischna oder die Gemarra als Quelle der Religion erlaubt sind. Hier könnte man aber wieder argumentieren, dass eine zusätzliche Quelle eines Propheten (hier Moses) wieder in der Tora erlaubt sei, doch müssen sich die Sunnaanhänger mit der Frage auseinandersetzen, warum Gott an keiner Stelle von anderen Quellen als den Offenbarungen spricht. Weiter lesen wir in 5:44:

 

5:44 … Wer nicht nach dem urteilt (yaḥkumu), was Gott (als Offenbarung) herabgesandt hat, das sind die Ableugner.

 

Hier muss man spätestens einsehen, dass nur die Bücher (Offenbarungen) gemeint sind, weil hier direkt der Bezug zur Herabsendung gesetzt wird. Wenn eine andere Quelle eingesetzt wird, kann diese keine Offenbarung mehr sein und wird somit ausgeschlossen. Wir werden gleich sehen, dass der Prophet Mohammed nur nach dem Koran urteilte.

Doch wie sollen die Christen urteilen gemäß Koran?

 

5:47 Die Leute des Evangeliums sollen nach dem urteilen (layaḥkum), was Gott darin herabgesandt hat. …

 

Es wird nur das Evangelium angeführt, ohne dass beispielsweise Katechismen von Jesus (christliche „Sunna“) auch eine Erwähnung finden. Wir lesen weiter in 5:47:

 

5:47 … Diejenigen, die nicht nach dem urteilten (lam yaḥkum), was Gott herabsandte, sie sind die Frevler.

 

Noch einmal wird mit Nachdruck gefordert, nur nach den Offenbarungen zu urteilen. Somit können andere Quellen, außer Gottes Offenbarungen selbst, keine von Gott legitimierte Geltung finden. Hier wird von manchen eingewandt, dass diese Verse ja nur für die Juden und Christen gedacht seien und nicht für die Muslime gelten können, die sich an den Koran halten wollen. Dem kann insofern direkt widersprochen werden, als dass beispielsweise in Vers 12:111 erwähnt wird, dass „in ihren Geschichten wahrlich eine Lehre (ʾibra) für diejenigen ist, die Verstand besitzen.“ Insofern ist es klar, dass im Koran jede Geschichte, jeder Absatz, jeder einzelne Satz ja manchmal gar jedes einzelne Wort einen Einfluss auf das Verständnis ausübt. Oder anders betrachtet: sollten gewisse Passagen des Koran einfach sinnlos erwähnt werden? Darüber hinaus empfehlen wir denjenigen, die Arabisch beherrschen, den Wortvergleich der umliegenden Verse zu 5:44, um die frappierende Ähnlichkeit der Verse zu sehen. Diese Ähnlichkeit hat zur Folge, dass das gleiche Prinzip, also die gleiche Sunna Gottes für alle Gemeinschaften galt und weiterhin gilt.

Im zweiten Artikel werden wir uns anschauen, wie der Prophet Muhammad urteilte und wie seine genaue Funktion laut Koran dargelegt wird.

Zum zweiten Artikel

Gemälde, das eine Beschneidung bei einem Baby darstellt

Beschneidung: keine koranische Tradition

Wahrlich, Wir haben den Menschen in bester Form erschaffen.

Koran 95:4

Im folgenden Hadith von Abu Huraira können wir lesen, dass fünf Bräuche für den Glauben eine wichtige Sache darstellen sollen:

Dem Propheten zugeschriebener Hadith:
Abu Huraira berichtete, dass der Prophet gesagt haben soll: „Fünf Dinge stehen in Übereinstimmung mit Al Fitra (d. h. der Tradition der Propheten): beschnitten zu werden, den Beckenbereich zu rasieren, die Haare aus den Achselhöhlen herauszureißen, den Schnurrbart kurz zu schneiden und die Fingernägel zu schneiden.“

Bukhary Band 8, Buch 74, Nummer 312

Vier dieser fünf Traditionen sind relativ harmlos. Die genitale Verstümmelung bei Männern ist in sunnitischen oder auch schiitischen Ländern leider gang und gäbe. Die Beschneidung lässt sich nirgends im Koran finden. Gott ist nicht vergesslich und Seine Worte gehen niemals aus (18:109; 31:27). Die Frage lässt sich stellen: Ist Gottes Schöpfung etwa fehlerhaft, dass wir nachträglich einen Eingriff vornehmen müssen? Dann sind es also WIR Menschen, die diese Schöpfung korrigieren wollen? Nach den Aussagen des Korans wurde der Mensch im biologischen Sinne in bester Form geschaffen (95:4). Siehe auch folgende Koranverse hierzu 4:119; 13:8; 25:2; 32:7; 40:64; 64:3; 82:6-9. Interessant ist auch, dass im Hadith die „al-fitra“ falsch wiedergegeben wird und auf Unwissenheit begründet ist, denn es lässt sich einfach recherchieren, dass in den überlieferten Evangelien und Büchern der Propheten andere Stellen zu finden sind:

Seine Jünger fragten ihn: „Ist die Beschneidung nützlich oder nicht?“ Er sagte zu ihnen: „Würde sie nützen, dann würde ihr Vater sie in ihrer Mutter beschnitten entstehen lassen. Die wahre Beschneidung im Geiste aber, sei erwies sich als durchaus nützlich.“

Thomasevangelium, Vers 53

Willst du dich, Israel, bekehren, spricht der HERR, so kehre dich zu mir! Und wenn du deine greulichen Götzen von meinem Angesicht wegtust, so brauchst du nicht mehr umherzuschweifen, und wenn du ohne Heuchelei recht und heilig schwörst: «So wahr der HERR lebt», dann werden die Heiden in ihm gesegnet werden und sich seiner rühmen. Denn so spricht der HERR zu denen in Juda und zu Jerusalem: „Pflüget ein Neues und säet nicht unter die Dornen! Beschneidet euch für den HERRN und tut weg die Vorhaut eures Herzens, ihr Männer von Juda und ihr Leute von Jerusalem, auf dass nicht um eurer Bosheit willen mein Grimm ausfahre wie Feuer und brenne, so dass niemand löschen kann.

Jeremia 4:1-4

Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, dass ich heimsuchen werde alle, die an der Vorhaut beschnitten sind, nämlich Ägypten, Juda, Edom, die Ammoniter, Moab und alle, die das Haar rundherum abscheren, die in der Wüste wohnen. Denn alle Heiden sind nur unbeschnitten, aber ganz Israel hat ein unbeschnittenes Herz.

Jeremia 9:24-25

Der Penis ist das Symbol für die Sexualität des Mannes. Er steht für die Virilität schlechthin. Trotzdem wird ausgerechnet an diesem ebenso zentralen wie empfindlichen Organ eine der weltweit häufigsten Operationen durchgeführt. Eine Operation, für die es in fast allen Fällen keinen zwingenden medizinischen Grund gibt. Eine Operation, der der Patient zudem nur in den seltensten Fällen zugestimmt hat: die Beschneidung, in der die Genitalien des Patienten oder der Patientin verstümmelt wird.

Eines steht zumindest fest: Das Gewebe der Vorhaut ist etwas ganz Besonderes. Dr. David Gollahrer, Präsident des California Healthcare Institute, sagt dazu:

Im Gewebe der Vorhaut finden sich Fibroblasten. Das sind Zellen, die im menschlichen Körper sehr selten sind und die sogar in der Lage sind, neues Gewebe zu bilden. Inzwischen gibt es sogar schon Biotechnik-Unternehmen, die mit Hilfe der Fibroblasten neues Gewebe für Verbrennungsopfer oder Diabetiker mit Läsionen erzeugen wollen. Der Leiter einer dieser Firmen erklärte mir, dass man mit einer einzigen Vorhaut soviel neue Haut produzieren kann, dass sie mehrere Fußballfelder bedecken würde. Das ist wirklich ein außergewöhnliches Material und die Leute wissen gar nicht, was sie verlieren, wenn ausgerechnet dieses Gewebe entfernt wird.

Kurzum kann gesagt werden: Es gibt keine medizinischen, notwendigen Gründe für die ‚Beschneidung‘, ohne eine vorherige, klare Komplikation. Viele der wissenschaftlichen Untersuchungen zeigen sogar deutlich, dass die koranische Beschreibung des Menschen gerechtfertigt ist. Es hat schon Sunniten gegeben, die auf dieses Thema wie folgt reagiert haben:

Der Koran erwähnt die Beschneidung nicht, da diese unmissverständlich und mit aller Härte in der Thora Erwähnung findet und vom Propheten in der Sunna eindeutig festgelegt ist.

Es ist ganz klar. Für uns Gottergebene, die sich für den Koran entschieden haben, ist der Koran allein gültig und es besteht kein Bedarf, willkürlich irgendwelchen Gesetzen anderer Bücher zu folgen – wieso beachten wir dann, wenn wir andere Bücher für uns verbindlich erklären wollten, nur einen Teil der Thora und den anderen wiederum nicht? Es ist also offensichtlich, dass hier der Schmerz tief sitzt, die Tradition hinter uns zu lassen, mit der wir aufgezogen wurden und die einen tiefen Einschnitt in unser Leben vornahm.

Vielmehr sehe ich in der ‚Beschneidung‘ die Übernahme damals verbreiteter, gewisser jüdischer Vorstellungen. In Kapitel fünf des Korans werden die Juden getadelt, wie sie es wagen können Mohammed zum Richter zu erheben, wo sie selbst doch die Thora haben (5:43). Jetzt lässt sich also fragen: Wie können wir die Thora zum Richter erheben, wo wir doch den Koran haben? Eine weitere Problematik dieser Argumentation lässt sich wie folgt aufzeigen: Im Koran steht auch nichts von der Steinigung geschrieben – aber in der Thora. Ist dies nun auch so zu sehen, dass die Steinigung ein Teil der Lebensweise von gottergebenen Menschen sein sollte?

Gemälde, das eine Beschneidung bei einem Baby darstellt
Foto: Karl Steel, CC BY-NC-SA 2.0

Altertümliche Blut- und Verstümmelungsrituale werden als Gottes Wille dargestellt, statt ehrlicherweise auf überlieferte Sitte zu verweisen. Aber, vielleicht ist es ja der Satan in uns, der hier im Einsatz ist. Nur Blindheit und Rohheit führen dazu, dass anderen und eigenen Kindern sinnlos Leid angetan wird. Es kann kein Gott sein, der derartiges von uns verlangt, und deshalb hat sich jeder dafür einzusetzen, dass diese satanische, Gottes Schöpfung verletzende und Seinen Namen missbrauchende Praxis als solche gebrandmarkt wird, als dass sie ausschließlich in die Geschichtsbücher gehört – als Beleg dafür, welchen Einfluss Unwissenheit und blinder (Auserwähltheits-)Glaube auf viele Menschen einst ausübte, dass sie ihren eigenen Kindern solches Leid antaten. Schon die körperliche Unversehrtheit, Schmerzen und Leid zu vermeiden oder zu mindern und das Recht der Selbstbestimmung sind genügende Argumente in der gottergebenen (islamischen) Theologie, um durch eine genitale Operation keine Amputationen mehr durchzuführen. Des Weiteren sind Kinder keine Rechtsobjekte, über welche die Eltern einfach verfügen können, sondern sind islamisch-rechtlich als Rechtssubjekte zu bewerten.

Er erschuf die Himmel und die Erde mit der Wahrheit und er formte euch. So verbesserte er eure Formen. Und zu ihm geht das Schicksal

Koran 64:3

Da bei dieser Aufklärungsarbeit nicht die eigentliche Religion der Gottergebenheit betroffen ist, besteht auch kein Grund, zurückhaltend vorzugehen, gar Rücksichten zu nehmen auf jene, die Gewalt an Kindern praktizieren oder gutheißen. Deshalb ist es dermaßen wichtig, dass Gottergebene (Muslim:innen) beginnen, die mit dem Blutritual der Genitalverstümmelung aufgehört haben, darauf hinzuweisen, dass derlei im Koran nicht zu finden ist.

Der subjektive, also persönliche Umgang mit der Genitalverstümmelung mag einen tolerant gegenüber diesem Vorgang machen. Doch laut Koran ist das eine Änderung in der Schöpfung Gottes (4:119) und demnach sollten wir das auch richtig und angemessen bezeichnen, damit wir uns dessen Bedeutung auch bewusst sind.

(Satan sagt:) „Und ich werde sie irreführen, und ich werde sie Wünschen nachjagen lassen, und ich werde ihnen befehlen, und sie werden die Ohren der Herdentiere abschneiden, und ich werde ihnen befehlen, und sie werden die Schöpfung Gottes verändern.“ Und wer sich den Satan anstelle Gottes zum Freund nimmt, der wird einen offenkundigen Verlust erleiden.

Koran 4:119

Mögen wir alle soweit aufgeklärt sein, dass wir den eingeflüsterten (ideologisch begründeten) Befehlen Satans kein Gehör mehr verschaffen.

Weitere Informationen: 

Über die 72 Jungfrauen und Sexualität im Paradies

Ich möchte gerne ein Thema besprechen, über welches gerne sehr viel und häufig gesprochen wird und was von Islamkritikern und -gegnern häufig missbraucht und aus dem Kontext gezogen wird. Die Rede ist hier von den berühmten 72 Jungfrauen im Paradies, den Huri, im Speziellen und die Frage nach der Sexualität im Paradies im Allgemeinen. Aber zuvor will ich die allgemeine Vorgehensweise meiner Erörterung über dieses Thema erläutern. Die Basis meiner Besprechung über diesen Sachverhalt ist der Koran und nur der Koran. Ich selbst bin der Meinung, dass die Ahadith, also die Aussagen des Propheten Mohammed, über dieses Thema meistens falsch und fabriziert sind und deshalb nicht Grundlage meiner Erörterung sein können. Konkret beutet dies; nur was im Koran tatsächlich erwähnt wird ist als richtig und wahr anzusehen, was dahingegen dem Koran widerspricht ist als unwahr zu bewerten. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass alles, worüber der Koran nichts aussagt, im Bereich des Möglichen ist. Wie auch bei sehr vielen anderen Themen ist das Grundproblem, dass man zuerst die Gültigkeit dieser Vorgehensweise begreifen und akzeptieren muss.

Auf Grundlage dieser Vorgehensweise kann nun die eigentliche Grundfrage diskutiert werden: Gibt es im Koran eine klare Aussage über Sexualität im Paradies, falls ja, wie wird diese sein, und sind die berühmten 72 Jungfrauen im Paradies eine sexuelle Belohnung für Männer? Die Antwort auf diese Fragen kann eindeutig verneint werden. Genauso wie der Koran uns keine Details über jegliche Sexualität im Jenseits präsentiert, sagt er auch nichts über die Existenz jeglicher Sexualität im Jenseits. Daraus kann geschlossen werden, dass Sexualität im Paradies als solches im Bereich des Möglichen liegt. Ausgehend von solchen Versen im Koran, wonach die Bedürfnisse der Menschen im Jenseits befriedigt werden („31. Vers der 41. Sure Fuṣṣilat – ‚Detailliert‘ und 71. Vers der 43. Sure az Zuhruf – „Der Goldschmuck“) scheint es mir schlüssig, dass man auch über die Sexualität im Paradies reden kann. Dennoch, wenn man im Koran solche Verse berücksichtigt, sieht man, dass der Mensch im Jenseits in einer neuen Daseinsform erschaffen wird (siehe 61. Vers der 56. Sure al-Wāqiʿa – ‚Das unvermeidliche Ereignis‘).Aus diesem Grund müssen wir immer vor Augen halten, dass der Koran über das Jenseits und das Paradies in Allegorien spricht. Deshalb kann also auch gefragt werden, ob wir in dieser neuen Daseinsform überhaupt das Bedürfnis nach Sexualität haben werden, ganz unabhängig von der Tatsache, dass Sexualität im Paradies im Bereich des Möglichen liegt. Mein Gedanke kann wiederum durch den 17. Vers der 32. Sure as-Saǧda („Die Niederwerfung“) besser erklärt werden, wonach über die Eigenschaften sehr vieler Segnungen, die wir im Paradies erhalten werden, niemand etwas wissen kann.

Da der Koran uns sagt, dass niemand über die eigentlichen Eigenschaften der Gaben im Paradies was wissen kann, behilft er sich durch den Gebrauch von Vergleichen und Allegorien, um uns diese Gaben zu beschreiben. Der 7. Vers der 3. Sure Ali Imran verdeutlicht ganz genau die Bedeutung und Wichtigkeit der allegorischen Darstellung im Koran. Auf der anderen Seite lehrt uns der Koran, dass es im Jenseits sehr viel mehr Segnungen und Belohnungen geben wird (Vers 20 der 76. Sure al Insan – „Der Mensch“ spricht ja von einem „Königreich“ und Belohnungen). Aus diesem Grund kann der Koran uns nur einen Bruchteil der jenseitigen Belohnungen und nicht alle Details zeigen. Aus diesem Grund müssen wir immer vor Augen halten, dass der Koran über das Jenseits und das Paradies in Allegorien spricht und nur einige wenige „Einblicke“ gewährt. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass die Aussagen des Korans über die Belohnungen im Paradies nicht das Gesamtbild wiedergeben, weil Vergleiche nie eine vollständige Wiedergabe sein können. Das bedeutet wiederum, dass der Koran uns nur einen kurzen Einblick, eine Kostprobe über diese Segnungen geben kann. Des Weiteren gibt es sehr viele andere Belohnungen im Paradies, über welche der Koran nichts sagt. Deshalb kann das, was im Koran erwähnt wurde, auch nur ein Bruchteil dessen sein, was uns im Paradies erwartet.

Kommen wir nun zu unserer Untersuchung der Verse über die Sexualität im Paradies und den berühmten 72 Jungfrauen im Paradies. Dafür muss man einige besonderen Punkte hinsichtlich dieser Koranverse berücksichtigen:

 

1. Sind die 72 Jungfrauen eine Belohnung, die Männer im Paradies erhalten?

Wie in anderen Sprachen auch ist das Subjekt im Arabischen, welches sowohl für gemischtgeschlechtliche als auch nur für männliche Gemeinschaften gebraucht wird, ein und dasselbe. So wird im Arabischen auch dieses geschlechtsneutrale Wort sowohl für diejenigen, die ins Paradies einziehen, als auch für die, die in die Höllen gehen werden, verwendet. So findet sich im Koran keine Stelle, wonach diese „Jungfrauen“ nur eine Belohnung für Männer sind oder dass jenseitige Belohnungen oder Strafen nur für Männer sind. Der Theologe und Koranexeget Mehmet Okuyan sagt an dieser Stelle:

 

 

„Spricht der Koran über ein nur Frauen betreffende Angelegenheit, wendet er nur weibliche Pronomen an. Ist das Thema aber „geschlechtsneutral“ und wird zusätzlich in dem Satz zwischen Männern und Frauen unterschieden, dann wird meist nur ein Geschlecht benutzt und dies ist dann meist das männliche Geschlecht.“

 

Hier muss besonders beachtet werden, dass der arabische Begriff für die 72 Jungfrauen, Huri, auf kein weibliches oder männliches Geschlecht hinweist. Dieses Wort bedeutet ungefähr „so weiß wie das Weiße im Auge, sauber, schön“. Im Koran wird darauf hingewiesen, dass die Huris mit den Menschen „gepaart“ (zawwadschnahum) werden (siehe den 54. Vers der 44. Sure ad-Duḫān ‚Der Rauch‘, sowie den 20. Vers der 52. Sure aṭ-Ṭūr -‚Der Berg‘). Aber es findet sich kein Hinweis darauf, dass diese Paarung sexueller Natur sein wird. Schließlich wird im Koran für die Paarung der Wünsche (siehe den 7. Vers der 81. Sure at-Takwīr – ‚Das Zusammenklappende), sowie für die gruppenweise Vereinigung der Menschen im Paradies (siehe den 7. Vers der 56. Sure al-Wāqiʿa – ‚Das unvermeidliche Ereignis‘) das gleiche Wort zawdsch benutzt. Doch es kann aus diesem Wort, was so viel wie Paarung oder eine Gruppe werden bedeutet, kaum etwas Sexuelles abgeleitet werden. Doch wieso versuchen wir dann aus dem Kontakt eines nicht näher beschriebenen Wesens mit einem Menschen etwas unbedingt Sexuelles für Männer herauszulesen, insbesondere dann, wenn das Geschlecht des Wortes selbst nicht weiblich ist? Ist dann die Annahme falsch, dass solch eine Koraninterpretation das Resultat einer phallogozentrischen und arabisch-ethnozentrischen Interpretation ist? Dies wird erst dann deutlich wenn man berücksichtigt, dass die Gaben und Segnungen im Paradies von Gott sowohl den Männern als auch den Frauen als Belohnung für ihre Taten im Diesseits dienen. Wenn man bedenkt, dass die im Koran erwähnten Huri im Paradies Aufgaben haben könnten wie Freunde, Diener oder Führer zu sein für die ins Paradies eingetretenen Menschen, fragt man sich, wieso viele noch darauf beharren, dass sie sexuelle Gespielinnen seien? Es wäre doch besser die Frage, worin der Sinn der Huris liegt, dahingehend zu beantworten, dass man es nicht weiß, insbesondere wenn in dem einen Ausschnitt des Koran über die Huri nichts Konkretes über deren Sinn berichtet wird.

Wenn Gott eindeutig darauf hinweisen wollte, dass die berühmten 72 „Jungfrauen“ ein Geschlecht hätten, hätte Er im Koran den Begriff „lamase“ für Sexualität benutzt. Da aber solch ein klarer Hinweis fehlt, müssen wir die Betrachtung ablehnen, dass das Paradies nur ein Ort sei, der die Bedürfnisse der Männer befriedigt. Besonders dann, wenn solch ein Gedanke auch dem Wesen des Korans und seiner Verse widerspricht, wonach das Paradies die Belohnungen für die Taten der Menschen – nicht nur für die Männer oder nur für die Frauen – im Diesseits ist. Wir müssen bereit sein uns einzugestehen, dass wir über Angelegenheiten, über die der Koran keine Details preisgibt, auch nichts sagen können. Auch wenn die Huri eventuell die Funktion der sexuellen Befriedigung erfüllen, kann dies nicht klar aus den Versen des Korans abgeleitet werden.

 

2. Wird im Koran über Jungfrauen im Paradies berichtet?

Meist verweisen einige Interpreten des Korans darauf, dass im Koran auf Jungfräulichkeit hingewiesen wird und dass dies somit auch ein Hinweis für die Existenz von Sexualität im Paradies ist. Drei Koranverse werden meist angeführt, um dieses Argument zu untermauern: der 56. und 74. Vers der 55. Sure al-Rahman (‚Der Gnädige‘) und der 36. Vers der 56 Sure al-Wāqiʿa (‚Das unvermeidliche Ereignis‘).

Nun wollen wir uns mal mit diesen drei Versen etwas näher auseinandersetzen:

Im 56. und 74. Vers der 55. Sure al-Rahman (‚Der Gnädigste‘) können wir lesen, dass weder Menschen noch Djinn sie (also die Huris) berührt haben oder dass irgendjemand anderes Kontakt mit ihnen hatte [lam yatmishunne insun qablehum ve la caan]. Doch an keiner Stelle wird im Koran der Begriff „berühren, kontakt haben“ („yatmishunne“) für den sexuellen Akt oder eine sexuelle Beziehung benutzt. Für sexuelle Beziehungen werden meist die Verben

– lamese (6. Vers, 5. Sure al-Māʾida – ‚Der Tisch‘),
– eta (222. Vers der 2. Sure al-Baqara – ‚Die Kuh‘),
– messe (236. und 237. Vers der 2. Sure al-Baqara – ‚Die Kuh‘) und
– bashera (187. Vers der 2. Sure al-Baqara – ‚Die Kuh‘) benutzt.

Ist es demzufolge nicht angemessener, dass Wort yatmishunne im 56. und 74. Vers der 55. Sure im Koran al-Rahman (‚Der Gnädige‘) wirklich nur als „noch nie zuvor von jemanden besessen, noch nie zuvor von jemanden berührt“ zu übersetzen? Es ist ganz offensichtlich, dass es hier keinen Bezug auf eine Sexualität gibt. Wenn man diese Verse nun dahingehend deuten würde, dass „weder Menschen noch Djinn die Jungfräulichkeit der Huris zuvor genommen haben“, entstünde ein merkwürdiges Gedankengebilde, wonach Menschen und Djinn mit demselben Wesen Geschlechtsverkehr haben könnten.

Auf der anderen Seiten übersetzen viele den arabischen Wortlaut des 36. Verses der 56. Sure al-Wāqiʿa (‚Das unvermeidliche Ereignis‘) „ve dscha’alna hunne ebkaran“ als „und sie zu Jungfrauen gemacht“, obwohl im besagten Vers das Wort Huri gar nicht vorkommt. Dahingegen wird in derselben Sure ab Versnr. 27 über die vielen Segnungen des Paradieses berichtet, welche die Rechtschaffenen sehen und erfahren werden. Insbesondere wird im 34. Vers über „hohe, feine Liegen“ gesprochen. Im 35. Vers wird davon berichtet, dass „…sie in herrlicher Schöpfung gestaltet“ wurden. Aus diesem Grund ist es sinnvoll „ve dscha’alna hunne ebkaran“ im nachfolgenden Vers mit „die, welche von noch niemand anderem benutzt wurden“ zu übersetzen. Doch man kann nicht nach dem Wort „die“ mit Jungfrauen oder Huri übersetzen, weil dieser Begriff in den beiden nachfolgenden Versen auftaucht. Deshalb ist es etymologisch sinnvoller „die“, als „hohe, feine Liegen“ zu übersetzen, weil dieser am nächsten zu Vers 36 steht und somit auch den Kontext von Vers 36 bestimmt. Genauso wird meist der nachfolgende 37. Vers „uruben etraba“ mit „heiß liebend und gleichaltrig“ in Bezug auf die angeblichen Jungfrauen übersetzt. Auch dies ist etymologisch fragwürdig, da auch bei diesen Übersetzungen der Kontext aus den vorherigen Versen vernachlässigt wird. Hier wäre es besser uruben mit „makellos“ und etraba als „passend“ zu übersetzen, bezogen auf die „hohen feinen Liegen“ oder Betten in Vers 36. Siehe auch: Huris mit schwellenden Brüsten?

 

3. Kann man aus der Tatsache, dass die Huri im Koran als Perlen bezeichnet werden, eine sexuelle Bedeutung herleiten?

Die Huri werden im Koran wie zum Beispiel im 23. Vers der 56. Sure al-Wāqiʿa (‚Das unvermeidliche Ereignis‘) als Perlen bezeichnet. Dies hat wiederum einige Korankommentatoren dazu verleitet daraus eine sexuelle Bedeutung herauszulesen. Dahingegen werden im Koran Kinder welche im Paradies leben (wildan) auch als Perlen bezeichnet (19. Vers der 76 Sure al-Insan – ‚der Mensch‘). So kann aus dem 75., 98. und 127. Vers der 4. Sure an-Nisāʾ (Die Frauen), sowie dem 17. Vers der 73. Sure al-Muzammil (Der in Gewänder gekleidete) ganz klar gesehen werden, dass der Koran das Wort wildan für Kinder gebraucht. Aber nur weil Kinder im Koran ebenfalls als Perlen bezeichnet werden, ist es abwegig abzuleiten, dass der Koran von einer sexuellen Beziehung mit Kindern ausginge oder guthieße. Ebenso werden im Koran im 24. Vers der 52. Sure al Tur (Der Berg) junge Männer (gilman) ebenfalls mit Perlen verglichen. Auch hier ist es in diesem Kontext nicht möglich einen sexuellen Sachverhalt abzuleiten.

Also ist die Frage gerechtfertigt, auf welcher Grundlage einige Korankommentatoren irgendeine Form der Sexualität bei den Huri ableiten, nur weil diese mit Perlen verglichen werden? Auf ähnliche Weise kann man die Vergleiche der Huris als „Smaragde“ und „Korallen“ im 58. Vers der 55. Sure al-Rahman (Der Gnädigste) bewerten. Sprich, in keinster Weise bedeuten die Vergleiche von den Huri mit irgendwelchen Edelsteinen im Koran, dass man daraus auf gewisse sexuelle Attribute der Huri ableiten könnte.

 

4. Berichtet der Koran über „Mädchen mit schwellenden Brüsten“ die auf uns im Paradies warten?

Der Ausdruck „kevaibe etrabe“ im 33. Vers der 78. Sure an-Nabaʾ (Das Ankündigung) wurde in vielen Koranübersetzungen als „Mädchen mit schwellenden Brüsten“ übersetzt, wobei manche sogar diesen Begriff zusätzlich noch als „Schönheiten“ übersetzt haben. Wie schon oben angesprochen bedeutet das Wort etraben unter anderem auch „passend“. Auf der anderen Seite wird von vielen das Wort kevaibe als „Schönheiten/Mädchen mit schwellenden Brüsten“ übersetzt. Nur kann man aus etymologischer Sicht in diesem Vers weder was über „Schönheiten/Mädchen“ noch über „schwellende Brüste“ lesen. Zunächst einmal ist sowohl das Wort kevaibe als auch etrab geschlechtsneutral, d.h. aus diesen Wörtern kann keine weibliche Form abgeleitet werden. Nach Mehmet Okuyan ist für kevaibe „wertvoll“ eine bessere Übersetzung als ‚Schönheit‘. Denn im vorherigen 32. Vers derselben Sure wird über die Gärten und Weinstöcke im Speziellen und über die Segnungen des Paradieses im Allgemeinen gesprochen. In diesem Kontext bedeutet das Wort kevaibe, dass diese Gärten und Weinstöcke „wertvoll“ und „passend für den Gebrauch“ durch die Menschen sind. Auf der anderen Seite ist es nicht möglich, das Wort kevaibe in diesem Vers mit Jugend, d.h. mit jungen Mädchen, gleichzusetzen. Zunächst einmal ist „das Sprießen eines Bartflaums“ bei Männern ähnlich wie die „schwellenden Brüste von Mädchen“ ein Merkmal der Jugend. Dennoch verursacht eine Übersetzung des Wortes mit „Männer mit einem Bartflaum“ keine sexuelle Assoziation, wobei umgekehrt die Übersetzung „Mädchen mit schwellenden Brüsten“ eine ganz klare sexuelle Andeutung ist. (Solche Übersetzungen verweisen auf eine eindeutig geschlechtsstereotypische Übersetzung hin, was von vielen Atheisten und Islamgegnern aus dem Kontext gerissen und missbraucht wird.)

Deshalb finde ich es mehr als angebracht das geschlechtsneutrale Wort kevaibe in diesem Vers nicht als „junges Mädchen“, sondern als „wertvoll“ zu übersetzen. Auf jeden Fall kann das Wort nicht mit „gleichaltrigen Mädchen“ übersetzt werden und keine sexuelle Bedeutung erlangen, weil es dann auf rationaler Ebene nicht denselben vorherigen oder nachfolgenden semantischen Kontext dieses Verses teilt.

 

Fazit zu den „72 Jungfrauen“

Schlussfolgernd kann gesagt werden, das es im Koran keinen eindeutigen Hinweis über die Existenz von irgendeiner Sexualität im Paradies gibt. Ebenso weist im Koran nichts darauf hin, dass die Huri sexuelle Gespielinnen von Männern im Paradies sein werden. In diesem Artikel wurde nicht auf fabrizierte Ahadith eingegangen, wonach der, „der am meisten Gott preist, ihm im Paradies die meisten Huri geschenkt werden.“ Wer sich darüber informieren möchte, wie sich der Mythos über die angeblichen 72 Jungfrauen im Paradies entwickelt hat, sollte diese von uns als falsch betrachtete Ahadith mal näher unter die Lupe nehmen.

Es scheint mir sehr menschlich, dass der Mensch auch ein Verlangen nach sexueller Befriedung begehrt, wenn der Koran über Segnungen im Paradies berichtet (siehe den 31. Vers der 41. Sure Fuṣṣilat – ‚Detailliert‘, den 71. Vers der 43. Sure as Zuhruf – ‚Der Goldschmuck‘ und den 20. Vers der 76. Sure al-Insan ‚Der Mensch). Nichtsdestotrotz sollten wir generell die Bereitschaft zeigen, über Themen, von denen wir nichts wissen, keine eindeutigen Behauptungen aufzustellen. Insbesondere bei Themen über das Jenseits, wie sie z.B. im 17. Vers der 32. Sure as-Saǧda (Die Niederwerfung) berichtet werden, sollten wir immer vor Augen halten, dass uns berichtet wird, dass niemand die vollen Segnungen kennen kann, die uns im Paradies erwarten werden. Auch dürfen wir niemals den 72. Vers der 9. Sure at-Tauba (Die Reue) vergessen, der uns darauf hinweist, dass das „Wohlgefallen Allahs‘ wichtiger ist als alle Segnungen im Paradies.

PS: Ich danke Mehmet Okuyan, auf den ich mich beim Schreiben dieses Artikels stützte.

Der geschichtlich verfälschte historische Kontext des Koran

Salam!

Nachdem Baycan Yanar die erste Diskussion zwischen ihm und mir in der Facebook-Gruppe „Islam gehört zu Deutschland“ über den historischen Kontext ohne Vorankündigung gelöscht hatte, wobei wir die Grundlage des behaupteten historischen Kontextes erörterten, die auf Ahadith aufbauen, möchte ich die Diskussion hier festhalten, damit sie nicht wieder verloren geht. In der zweiten Diskussionsrunde wurde der zuvor angekündigte Artikel von Baycan Yanar Grund zur weiteren Diskussion. Den Artikel finden Sie hier: http://tavhid.de/?p=1712

Artikel: Weshalb ist es notwendig, den Koran im historischen Kontext zu verstehen?

Die Annahme, der Koran könne ohne Berücksichtigung des Kontextes und die grundlegenden Überlieferungen hierfür verstanden werden, muss in aller Deutlichkeit abgelehnt werden. Die Offenbarungsperiode innerhalb von 23 Jahren spiegelt nämlich das wieder, was damals im 7. Jahrhundert geschah. Muslimischerseits ist das bedeutendste Beispiel für eine historische Sichtweise die Ansicht des 1988 verstorbenen Fazlur Rahman aus Pakistan. So wird er in zahlreichen Werken wie auch von Rachid Benzinewie folgt zitiert: Fazlur Rahman war der Meinung, dass es für das Verstehen des Korans zweckmäßig sei, ihn zuerst bezogen auf seinen chronologischen Kontext zu betrachten. >Die sinnvollste Methode<, wiederholte er oft, >besteht darin, die Entstehung und Entwicklung der koranischen Themen in ihrem historischen Verlauf zu verfolgen.< Diese Sichtweise stützte er auf die Tatsache, dass die frühen Kommentare die Umstände der Offenbarung bewahrt haben, die zeigen, dass der Koran kontinuierlich in Antwort auf bestimmte historische Situationen Sichtweise offenbart wurde” (Islam und Moderne, die Neuen Denker S. 119; Verlag der Weltreligionen). Um den Koran zu verstehen, müsse man ihn im Kontext der Zeit seiner Verkündung verstehen. Somit ist es von Wichtigkeit, zum Koran und den Offenbarungsanlässen zurückzukehren um die allgemein gültigen ethischen Prinzipien zu destillieren, mit anderen Worten, um den Koran und die Essenz in die heutige Zeit zu übertragen, müsse man die historischen Fakten analysieren. Die theologische Strömung in Ankara – Türkei (Ankara Schule) verwendet besonders diese Methodik der historischen Analyse des Korans. Einige möchten wir hier niemanden vorenthalten;

Prof. Ömer Özsoy studierte in Ankara islamische Theologie und ist in Frankfurter Universität eine aktive Lehrkraft. Zu dem Thema positioniert er sich eindeutig. Durch das Ignorieren des Kontextes entgegnet er äußerst kritisch im Buch von Felix Körner, aus der wir einige Zitate besonders hervorheben möchten: Eine solche Auslegungsentwicklung widerspricht den historischen Fakten. Mit einem derartigen Ansatz kann man den Koran alles Mögliche sagen lassen. Fängt man einmal an, den Koran als übergeschichtlichen Text zu lesen, führt das zwangsläufig dazu, ihn über jeden möglichen Gegenstand sprechen zu lassen; und das ist nichts anderes als Entstellung[Erneuerungsprobleme zeitgenössischer Muslime und der Koran] übersetzt von Felix Körner >Alter Text – neuer Kontext; Koranhermeneutik in der Türkei heute< S. 21-23; Herder Verlag.

Der Theologe Prof. Mustafa Öztürk aus Ankara und seine Kritik an die Gegenposition ist in seinen Büchern ebenfalls nicht zu übersehen. So greift er einen Exegeten (Hakki Yilmaz – Tebyinu’l-Kur’an 1/112, 163, 171-172; 9/669-672) der behauptet, dass ein Koranvers sich auf die heutigen Computer bezieht (Meal ve Tefsir Serencamı S. 123). Auch der Moderne und rationalorienterter Theologe Prof. Yasar Nuri Öztürknähert sich methodologisch auf dieselbe Art, in dem er den Vers 26 der Sure 74 aus dem Kontext reißt und behauptet, dass sich dies auf die Computer bezieht (Der Islam im Koran; S. 20; Auflage 42).

Der Leiter des Zentrums für islamische Theologie in Münster Prof. Mouhanad Khorchide formuliert diese Sichtweise in seinen Büchern folgendermaßen: Weil sich jede Koranstelle auf Geschichte bezieht, muss man, um die ursprüngliche Bedeutung von Koranstellen festzustellen, jede Stelle in ihrer eigenen geschichtlichen Situation lesen”(Islam ist Barmherzigkeit S. 162 – Herder Verlag). Für seine Sichtweise führt er im Buch “Scharia” interessante Beispiele herbei, was die Richtung des Gebetes definiert. Hierzu bedient Prof. Khorchid sich an dem Vers 2:115: >Gottes ist der Osten und der Westen. Wo immer ihr euch hinwendet, ist Gott gegenwärtig. Gott ist allumfassend und allwissend<. Laut dem Vers könnte man dahingehend der Ansicht gelangen, dass es irrelevant wäre in welche Richtung man betet. Nimmt man sich jedoch den Offenbarungsanlass des Verses zu Hand, erkennt man unzweideutig, dass es sich um eine Gruppe handelte, die in der Nacht beten wollten, jedoch nicht wussten in welche Richtung.Hier kann man die oben angeführte Regel ohne Weiteres anwenden und verallgemeinern, sodass jeder, der irrtümlicherweise in die falsche Richtung betet, entschuldigt” (Scharia – Der missverstandene Gott S. 97).

Einige Beispiele aus dem Koran wollen wir jedoch als Beweis noch anführen, welches ohne eine Kontextualisierung enorme Probleme bereiten würde. So heißt es in 9:31 & 3:64: “Sie nahmen ihre Schriftgelehrten und ihre Mönche zu Göttern anstelle von Gott, sowie den Messias, den Sohn Marias. Ihnen war doch nur geboten worden, einem Gott zu dienen..”

Da die Leute diesen Vers nicht ganz verstanden haben, erläuterte der Prophet Muhammad ihnen diese Botschaft wie folgt: Die Juden und Christen haben ihre Gelehrten und Mönche nicht direkt angebetet, vielmehr haben sie sich das erlaubt, was ihre Gelehrten ihnen erlaubt haben und sich das verboten, was ihre Gelehrten ihnen verboten haben”(Tirmidhi Hadith Nr. 3039; Taberi Tefsir 4/283, Hisar Verlag; Kurtubi Tefsir 8/198, Buruc Verlag; Ibn Kathir Tafsir 4/438, Kahraman Verlag).

Diese koranische Kritik richtet sich an einige Juden und Christen, die ihre Gelehrten unhinterfragt gehorcht haben. Differenziert man die Essenz aus dem Kontext, so sind heute damit nicht nur die Schriftbesitzer gemeint, sondern auch die Muslime.

Ein weiterer Punkt betrifft die Schutzmonate, welches in Kriegszuständen verbietet zu kämpfen. Für die Koraniten, die die Hadithe und den Kontext für uninteressant deklarieren (weil der Offenbarungsanlass ebenfalls an Überlieferungen gebunden ist), könnte es schwierig werden herauszufinden, um welche Schutzmonate es sich handeln könnte. Diese stehen nämlich nicht im Koran. Laut Ebu Cafer Muhammed b. Cerir et-Taberi (gest. 923) waren diese in der vorislamischen Zeit der Cahilya bereits bekannt gewesen, da die Araber generell in solchen Zeiten keine Kriege führten (Taberi Tefsir 4/ 292).

Wenn der Koran die Angabe macht, dass die Juden Esra (Uzayr) als Sohn Gottes bezeichnen, könnte man meinen, dass die Juden heute noch daran glauben. Die meisten Juden die man heute befragen würde, so hätte die überwiegende Mehrheit dieses bestritten, da ein derartiger Glaube in der jüdischen Theologie gar keine Rolle spielt. Dies gibt uns nur zu erkennen, dass es innerhalb dieser Religion zu bestimmten Epochen und an gewissen Orten unterschiedliche theologische Ansichten gab. Im Tafsir von Taberi (gest. 923) wird ebenfalls erwähnt, dass es sich nur um eine kleine Gruppe der Juden handelte(Taberi Tefsir 4/282 & Mehmet Paçacı; Der Koran und ich – wie geschichtlich sind wir? übersetzt von Felix Körner >Alter Text – neuer Kontext; Koranhermeneutik in der Türkei heute< S. 41-43; Herder Verlag).

Dennoch wird es immer nötig sein, den Koran und die authentische Prophetentradition vor dem Hintergrund des Kontextes, in dem sie entstanden sind, zu analysieren und zu interpretieren. Die Botschaft des Islams hätte also keinerlei Wirkung gehabt, wenn sie die Menschen, die sie zuerst empfingen, nicht hätten verstehen können. Und auch sie müssen diese Botschaft in ihrem sozialen und politischen Kontext verstanden haben, und durch ihr Verständnis und dessen Umsetzung veränderte sich ihre Gesellschaft. Während der Text also historisch, obgleich in seinem Ursprung göttlich ist, ist seine Interpretation absolut menschlich” (Nasr Hamid Abu Zaid; Gottes Menschenwort S. 89-90).

Quelle: tavhid.de

 

Dem Artikel wurde nachträglich ein Absatz hinzugefügt, welcher aber in der Diskussion erwähnt wird.

Weitere Artikel, die Sie hierzu kennen sollten:

Zuverlässigkeit der Ahadith
Koranischer oder sunnitischer Mohammed?
Allein Gott lehrt und erklärt den Koran
Ein Dutzend Gründe, dem Koran alleine zu folgen
– Hadith: Die Frage nach der Authentizität
Al Shafi’is Koranexegese
Nasikh-Mansoukh: Die Katastrophe der Abrogation
Die Wahrheit des Koran


KEREM ADIGÜZEL:

Salam Bruder Baycan, ich habe einige Kritikpunkte für den Text:

1. ZITAT:

„Diese Sichtweise stützte er auf die Tatsache, dass die frühen Kommentare die Umstände der Offenbarung bewahrt haben“

Das ist eine Behauptung, die keinerlei objektive Überprüfung zulässt. Entweder glauben wir, dass die Kommentatoren XY diese bewahrt haben oder nicht, indem wir sie als Autoritäten annehmen oder nicht. Wenn wir diese hinterfragen, so stellen sich gewisse Fragen:

a) Wie konnten die Kommentatoren in der Lage sein, 50-100 Jahre vorher vergangene Umstände einwandfrei zu dokumentieren, wo nachweislich bereits unglaublich viele Lügen im Umlauf waren? Die einzige Art und Weise der Überlieferung dieser Art sind die Ahâdîth, welche wiederum auf zweifelhafter Methodik aufbauen.

Wie gesagt, ich diskutiere hier NICHT den Inhalt dieser Offenbarungsanlässe, sondern ihre Authentizität wird insgesamt angezweifelt und sollte vorerst zweifelsfrei begründet werden.

b) Weshalb sollte Gott im Koran sagen, dass der Koran für alle Welten gesandt wurde, also die koranische Botschaft doch überzeitlich beabsichtigt ist laut Eigenaussage, wenn der Koran nur in seinem historischen Kontext zu berücksichtigen sei? (vgl. Vers 21:107, 25:1)

c) Gibt es einen Koranvers, der uns befiehlt, den historischen Kontext zu berücksichtigen? Oder ist es nicht eher so, dass Gott uns all diese Geschichten zukommen lässt, damit wir (in allen Zeiten der Menschheitsgeschichte) eine Lehre und eine Moral daraus ziehen können (12:3, 12:111). Bitte beachte die arabische Ausdrucksweise aus 12:111, wo es heißt „mâ kâna Hadîthan yuftara“ = er (der Koran) war kein erdichteter/erfundener (iftiralar dolu) Hadith.

d) In 15:9 verspricht Gott, das Buch (dhikr) zu schützen, aber nicht die „Offenbarungsanlässe“ – oder willst du etwa behaupten, die asbâb an-nuzul seien auch wahy?

Alles in allem verwirft der Koran selbst, dass man ihn in eine bestimmte zeitliche Epoche reinzwingen will.

2. ZITAT:

„Mit einem derartigen Ansatz kann man den Koran alles Mögliche sagen lassen.“

Also bei solchen Sätzen frage ich mich schon, inwieweit man sich des Inhaltes solcher Aussagen bewusst ist, wenn man doch gleichzeitig eine Hadith-Tradition verteidigt, in der alles Mögliche bereits interpretiert wurde, sogar die Geschichte, dass eine Ziege den Koranvers aufgefressen habe, in der die Steinigung enthalten sei. Und durch Idschma haben die Ulema es geschafft, Steinigung als eine sunnitische Rechtspraxis anzunehmen. Solches Verhalten kritisiert der Koran selbst scharf und deutlich:

68:36-38 Was ist mit euch, wie urteilt ihr? Oder habt ihr eine Schrift, in der ihr studiert, worin ihr findet, was ihr euch wünscht?

Aus dem Koran allein kann man keine Steinigung, keine Todesstrafe (haddu-r-ridda) für Apostate etc. ableiten. Aber mit den Büchern, aus denen man diese besagten „Offenbarungsanlässe“ bezieht, geht das eben schon.

 

3. ZITAT:

„Auch der Moderne und rationalorienterter Theologe Prof. Yasar Nuri Öztürk nähert sich methodologisch auf dieselbe Art, in dem er den Vers 26 der Sure 74 aus dem Kontext reißt und behauptet, […]“

Hier wird lediglich das Ergebnis kritisiert, weil es einem zu Beginn unscheinbar erscheinen mag, darin Computer zu sehen. Jedoch wird nicht begründet, weshalb diese Vorgehensweise falsch sein sollte. Das entsprechende Wort „saqar“ kommt viermal im Koran vor und in den Wörterbüchern wird es auch als Fremdwort behandelt, insofern ist es eine Frage der Interpretation.

Wieso sollten wir eher den erfundenen Geschichten (hadith yuftara) glauben, nur aus Angst, dass der Koran uns auch Botschaften für die heutige, unsrige Zeit gesendet hat?

Ich ziehe es vor, den Koran eher als lebendigen Organismus zu verstehen als knöchrigen verstaubten Text, aus dem wir mühsam irgendwelche ethische Prinzipien „destillieren“ müssen, wobei hier auch wieder nach eigenem Gutdünken alles mögliche herausgezogen wird. Wieso haben wir sonst eine ganze Palette an Interpretatoren von Qaradawi bis Tariq Ramadan, von Qutb bis Khalifa etc.?

Das Argument zieht also nicht.

4. Das Beispiel mit Vers 2:115 ist nicht ausreichend, da im Gesamtkontext des Koran die Sachlage wieder deutlich wird, dass man sich der masjidul-haram zuzuwenden hat. Bitte recherchiere selbst Baycan, ob dies im Koran steht oder nicht.

5. Ebenso ist das Beispiel mit 9:31 schwach, weil eine kontextuelle Analyse Aufschluss über den koranischen Gebrauch dieser Wörter gibt. Zudem gibt es auch noch Vers 3:113. Dies ist auch der gleiche Sachverhalt in Bezug auf „Uzayr als der Sohn Gottes“.

6. Zitat: „Für die Koraniten, die die Hadithe und den Kontext für uninteressant deklarieren (weil der Offenbarungsanlass ebenfalls an Überlieferungen gebunden ist), könnte es schwierig werden herauszufinden, um welche Schutzmonate es sich handeln könnte. “

Recherchiere bitte zuerst, bevor du eine Aussage machst. Dann hättest Du dir diese Peinlichkeit ersparen können.

 


TIMUR TEZKAN: Super Kerem, bis auf deinen vierten Punkt, hast du meine volle Zustimmung. Unsere Differenz bei diesem Punkt tut innerhalb des Themas hier jedoch nichts zur Sache (dennoch der kurze Hinweis: Ich sehe nicht, dass das Hinwenden zur masjidul-haram im Kontext von as-salat steht). Frieden!


BAYCAN YANAR:

Salam bruder Kerem.. bin jetzt auf der Arbeit bis 23 uhr.. heut abend werde ich noch einiges hinzufügen weil mir da noch paar wichtige Sachen eingefallen sind..

Das Problem besteht auch darin, dass die Koraniten dieselbe Methodik wie die Salafisten im Bezug auf den Koran verwenden. Beide zerreißen die Verse aus dem Kontext. Die salafisten nehmen die Verse heraus, die den Heiligen Krieg behandeln (laut ihrer Sicht) und legitimieren ihr fehlverhalten. Sie Manipulieren den Koran mit dieser Vorgehensweise. Ich denke somit wäre auch deine Frage bzgl. des Computers auch beantwortet. Zu dem ist es auch wichtig, die Verse in ihrer Chronologischen Reihenfolge ordnen zu können. Wenn wir die mekkanischen Verse nicht von den Medinensischen unterscheiden können, entstehen dadurch auch Probleme. Auch wenn es bei einigen unterschiedliche ansichten existieren, ist man sich doch bei den meisten darüber einig.

Der 2 Kalif Ummar ibn al-khattap erwähnte von einem Steinigungsvers, er sagte “Es gab einen Steinigungsvers, doch als Aischa diesen Vers beiseite lag und wegging, kam eine Ziege und fraß sie auf” (Abdullah ibn Mes’ud & ibn Kuteybe). Bei diesem Hadith kann es sich nur um eine Fälschung handeln, dass von den Omayyaden verbreitet wurde. Würde man so etwas äußern, würde man gleichzeitig behaupten, dass Gott unfähig war, die einzelnen Verse aufzubewahren. Aber Gott offenbarte “Wir haben die Ermahnung herabgesandt, und Wir werden ihr Hüter sein”. (15:9)

Was die Exegeten betrifft, so schau mal bitte auf die konsens der alten Kommentatoren. Von ibn Ishak, oder Muqatil (gest. 765) bis bis Taberi (gest. 923)


KEREM ADIGÜZEL:
Also komm bitte Baycan, wenn du den Vergleich mit Salafisten heranziehst, dann hast du dich nicht mal im Ansatz mit dieser Denkweise, dass der Koran ausreicht, auseinandergesetzt.

Wenn ich auf dieses Spiel eingehe, dann kann ich dir dasselbe vorwerfen, dass du im Koran nicht genannte und von Gott nicht autorisierte Namen als Autoritäten anführst, die ihrerseits wiederum die im Koran verwendeten Worte aus ihrem koranischen Kontext herausreißen.

Beispiele aus dem klassischen Fiqh:
– `urf (örf)
– `ada (adet)
– sulh

Bitte schau mal den Unterschied an zwischen dem koranischen Gebrauch und dem Fiqh-Verständnis dieser Wörter. Die Menschen haben daraus neue Bedeutungsebenen geschaffen, die so im Koran nicht vorkommen. Wer reißt hier also Wörter aus ihrem bereits gegebenen Kontext heraus? Was das Ergebnis des Fiqh ist, ist offensichtlich: alles mögliche wird im Namen Gottes verboten und erlaubt. Gott verurteilt dies schärfstens in 42:21.

Ich spiele dann das Spiel mal weiter mit: Jetzt kommt also nach 1400 Jahren ein Baycan, der meint, es besser gewusst zu haben als die ältesten Gelehrten vor ihm, welche die beste Ausbildung in Fiqh und Koranwissenschaften genossen haben, und meint, dieser und jener Hadith sei erfunden, nur weil es nicht mehr in seinen „modernen“ Lebensstil passt. Vergiss nicht, dass alle vier Rechtsschulen dies als Idschma akzeptiert haben. Diese kannten den Vers 15:9 auch und haben auch erfundene Offenbarungsanlässe hierzu zitiert. Weitere Beispiele lassen sich zuhauf finden, von Todesstrafe bis hin zu Sklaverei. All dies wird aber mit dem Koran allein nicht begründet, sondern erst durch irgendwelche dubiosen Quellen, die als unfehlbare und zeitlose Quellen neben dem Koran unangetastet geblieben sind. Sie werden dem Koran beigesellt.

Bitte komm mir nicht mit Wörtern wie „Konsens“, weil es diesen Konsens de facto nicht gibt. Sonst schieben wir nur Gelehrtennamen hin und her, die sich gegenseitig widersprochen haben.

Und wenn du schon Umar ibn al Khattab zitierst, so suche doch nach dem Hadith, der als sahih gilt, wo er sagt: `andina kitabu Allah, hasbuna = wir haben Gottes Buch, das reicht uns!

Wir können dieses „Hin und Her“-Spielchen gerne spielen und Hadith auf Hadith zitieren. Gemäß dem Muhaddith (Hadith-Gelehrter) XY ist dieser Hadith sahih aber gemäß dem Muhaddith XY2 ist der sogar mawdu‘ (erfunden). Eine endlose Debatte über die angeblichen Primärquellen, aus denen eine „zweifelsfreie“ Historie abgeleitet werden sollte, aber nicht abgeleitet werden kann. Und genau darum geht es! Darauf hast du keine Antwort geliefert.

Den Kontext der Koranverse zu überspringen und sich auf Ahadith zu verlassen, die selber erst viel später zur Anwendung kamen und erfunden sind, wird dem Koran nicht gerecht, der kein erfundener Hadith (Hadith yuftara) ist.

Wer ist es also, der bestimmt, dass ein Hadith XY dazu gehört oder nicht? Ist es Baycan, ist es Kerem, ist es Bayhaqi, ist es Bukhary, ist es Shafi’i?

Oder ich stelle die Frage mal so: Welche Autorität wollen wir neben Gott akzeptieren?

La ilaha illa Allah.


BAYCAN YANAR:
Ich glaube du hast den Text nicht verstanden.. Die Frage zu der Autorität beantwortet sich an Beispiel von 9:31 im Artikel, auf die ich eingehe.. Wäre mir lieber wenn du „Exeget“ statt „Autorität“ sagst.. Ich habe das spiel „Nur Koran“ sehr gut verstanden. Dann nenn mir den methodologischen Unterschied zwischen Salafisten und Koraniten.

Ummars „der Koran reicht uns“ hat einen ganz anderen Kontext.. “ und siehe da, du akzeptierst eine Überlieferung Ummars?

 


KEREM ADIGÜZEL:
Erstens: Du behauptest in deinem Text, dass man den historischen Kontext berücksichtigen MUSS (und nicht sollte/darf/kann), da man ansonsten jedwede Art von Interpretation betreiben könne. Bitte korrigiere mich, wenn dem so nicht ist.
Jedoch ist es so, dass man selbst mit dem „historischen Kontext“ jedwede Art von Interpretation betrieben hat und betreiben kann, was ich bereits mit Beispielen anführte. Insofern ist dein Argument haltlos.

Zweitens werden die Exegeten/Autoritäten hinterfragt, auf die du dich beziehst und die du selbst nicht hinterfragst oder nicht hinterfragen willst (weshalb ich von Autoritäten spreche). Wieso sollten wir diesen Exegeten/Autoritäten Glauben schenken? Wer sagt nicht, dass diese für ihre Interpretationszwecke die Offenbarungsanlässe so hingebogen haben, dass es passt? Es muss ja nicht einmal böswillige Absicht vorhanden sein, es kann auch aus kulturellem, politischem oder soziologischem Drang passiert sein – weil sie einfach Subjekte ihrer Umgebung waren.

Drittens argumentiere ich, dass wir diese Offenbarungsanlässe nicht benötigen, um zu vernünftigen Ergebnissen zu kommen.

Viertens: Umar’s Hadith akzeptiere ich nicht, ich verwende ihn nur, um aufzuzeigen, wie widersprüchlich eure Quellen sind. Wenn du den gesamten Hadith kennen würdest, würdest du große Augen machen, was dort geschehen sein soll. Ich hab noch eine Menge, mit denen du dich dann herumschlagen darfst.

Ich wiederhole die Frage noch einmal, die du stets umgehst:

Wieso sollten wir den außerkoranischen Quellen Glauben schenken, wenn Gott der Erhabene nicht von ihnen spricht und nicht verspricht, diese zu schützen wie Sein Buch (15:9) – insbesondere dann, wenn wir sehen können, wie zahlreich die erfundenen Lügen sind, die dem Propheten untergejubelt wurden?

Der Koran hat 6346 Verse (inkl. Bismillah). Wie viele Mutawatir Ahadith gibt es? Kannst du mir eine Zahl nennen? Wer hat diese abgesegnet? Wo finden wir sie? Wieso gibt es keinen Konsens hierüber?

Ich greife nicht deine Idee an, sondern die Authentizität deiner Quellen/Autoritäten. Gott teilt uns im Koran mit, dass Er alles, was er als für uns notwendig erachtete, in den Koran gelegt hat.

Wenn ein „historischer Kontext“ notwendig gewesen wäre, wäre dieser im Koran mitzitiert worden.

 


BAYCAN YANAR:

Ich kenne den Kontext der Überlieferung von Ummar diesbzgl. erstens, und zweitens, wie und weshalb du etwas verwendest das spielt für mich keine Rolle. Du verwendest ihn. Wenn du auch wüsstest, welchen Kontext ich bzgl. dieser Überlieferung vertrete, so ist das kein Widerspruch, was du da behauptest. Was Gott geschützt hat oder nicht, ändert nichts der Tatsache dass der koran einen historischen Kontext besitzt.

Frühe Quellen zu analysieren bedeutet nicht, etwas unhinterfragt zu befürworten..


KEREM ADIGÜZEL:
Es steht jedem frei selbst zu irgendwelchen Schlüssen zu gelangen. Dann können wir auch darüber streiten und auch über andere, wo der Prophet oder seine Gefährten selbst die Niederschrift der Ahadith verbieten. Und natürlich haben deine Autoritäten/Exegeten auch hierzu weitere Geschichten und widersprüchliche Aussagen erfunden (Hadith yuftara = iftira edilmiş hadis) und diese dann als „historischen Kontext“ verkauft. Du begründest Ahadith also mit Ahadith. Philosophisch und logisch gesehen sehr wertvoll natürlich!

Im Endeffekt bleibt also eines übrig: die Deutung des „historischen Kontexts“ ist selbst nicht eindeutig, somit deutet jeder nach eigenem Gutdünken, statt auf den Koran zu hören:

 

7:3 Folgt dem, was zu euch von eurem Herrn herabgesandt worden ist, und folgt nicht an seiner Stelle Verbündeten. Wie wenig gedenkt ihr dies!

 

Das Wort ‚awliyaa‘ (Verbündete) bedeutet im Koran jedwede Autorität, die eine Souveränität über andere Menschen besitzt. Und wenn man jetzt denkt, wir würden diesen Vers als erste so interpretieren, so sei an folgendes erinnert: Ibn Hazm und Ibn Taymiyyah dachten auch, dass mit diesem Wort awliya‘ religiöse Autoritäten gemeint seien, wir also niemandem außer Gott und seinem Gesandten eine legale oder religiöse Autorität geben dürfen in religiösen Angelegenheiten. Bukhary, Bayhaqi, Shafi’i etc. können also nicht als religiös-zuverlässige Quellen gelten.

Im Endeffekt ist das Wort des Gesandten (69:40), nämlich der Koran, was auch das Wort Gottes ist (69:43), die einzige Quelle. Es ist kein erdichteter Hadith (12:111) und kein leeres Gerede (lahw al-hadith, 31:6).

25:33 Und sie bringen dir kein Beispiel, ohne dass Wir dir die Wahrheit und den besten Tafsir brächten.

Bemerke, dass ich das arabische Wort „tafsir“ (in der Transliteration) bewusst so drin gelassen habe. Dies sollte dich zum Nachdenken anregen, bevor du wieder zu deinen Mufassirûn flüchtest, die dir vorschreiben, wie du über die Geschichte zu denken hast.

Denke auch einmal darüber nach, dass du mir mit ausserkoranischen Quellen antwortest, während ich mit Koranversen argumentiere.

 


ECEVIT POLAT:
Selam alaikum zusammen. Der Koran enthält zum historischen Erbe nicht alle Details parat, was auch nicht seine Intention ist. Man denke an die Prototypen der Bibel, die unter anderem nur an diversen Stellen des Koran angeschnitten werden. So gibt es auch Koranverse, die nur dann annähernd erschlossen werden können, wenn der biblische Hintergrund dabei erhellt wird. Denn die erst Adressaten kannten zum grössten Teil, zumindest die geschichtlichen Hintergründe der jeweiligen Geschichten im Koran. Der heutige Leser, der nur eine Koranausgabe zur Hand hat, wird nicht (verständlicherweise) wissen können, warum ausgerechnet diese besondere Geschichten im Koran erwähnt werden. In Sure 2 Vers 259 wird von einer unbekannten Person berichtet, den Gott sterben ließ und nach hundert Jahren wieder lebendig machte, um so Seine Macht ihm zu demonstrieren. So heißt es im Vers: ”Oder (hast du auch nicht über) den (nachgedacht), der an einer Stadt vorüberkam, die wüst in Trümmern lag? Da sagte er: “”Oh, wie soll Gott dieser nach ihrer Zerstörung wieder Leben geben?”“ Und Gott ließ ihn für hundert Jahre tot sein. Dann erweckte Er ihn wieder. Er sprach: “”Wie lange hast du verharrt?”“ Er sagte: “”Ich verharrte einen Tag oder den Teil eines Tages.”“ Da sprach Er: “”Nein du verharrtest einhundert Jahre. Nun betrachte deine Speise und deinen Trank. Sie sind nicht verdorben. Und betrachte deinen Esel. Wir machen dich damit zu einem Zeichen für die Menschen. Und betrachte die Knochen, wie Wir sie zusammensetzen und dann mit Fleisch bekleiden.”“ Und als ihm dies klar gemacht worden war, sagte er: “Ich weiß, dass Gott Macht hat über alle Dinge“ (Koran 2:259).

Um diesen Vers in seinen geschichtlichen Kontext richtig einordnen zu können, ist es unabdingbar, die Bibel als Erläuterung hinzuzuziehen, um sich ein klares Gesamtbild machen zu können. Denn im Koran wird nicht erläutert, um wen es in dem Vers hauptsächlich geht. Vor allem aber auch, weshalb Gott diese angesprochene Person hundert Jahre Tod ließ und dann wieder erweckte?

Prof. Mustafa Öztürk erläutert den obigen Vers in seiner Koranübersetzung dahingehend, dass es sich bei der Person nicht wie von vielen muslimischen Koranexegeten angenommen um Uzair handelt, sondern mit größter Wahrscheinlichkeit um den biblischen Propheten Hesekiel. Tatsächlich ergibt sich erst nach der Lektüre in der Bibel im Kapitel „Hesekiel“ erst ein Gesamtbild zum Hintergrund zum Koranvers 2:259. Hernach wird die Auferstehung von Hesekiel nach hundert Jahren als Symbol für die Befreiung und die erneute Wiedergeburt der Kinder Israels aus Babylon von Mustafa Öztürk gedeutet, weshalb er auch in seiner Fußnote die biblische Quelle angibt: „Hesekiel 37/1-14“ (siehe: Kur´an-i Kerim Meali, S. 62).

So wird in Hesekiel 37/1-14 unter der Überschrift „Israel, das Totenfeld, wird durch Gottes Odem lebendig“ die folgende Geschichte erzählt: „Und des HERRN Wort kam über mich, und er führte mich hinaus im Geist des HERRN und stellte mich auf ein weites Feld, das voller Totengebeine lag. Und er führte mich allenthalben dadurch. Und siehe, des Gebeins lag sehr viel auf dem Feld; und siehe, sie waren sehr verdorrt. Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, meinst du auch, dass diese Gebeine wieder lebendig werden? Und ich sprach: Herr, HERR, das weißt du wohl. Und er sprach zu mir: Weissage von diesen Gebeinen und sprich zu ihnen: Ihr verdorrten Gebeine, höret des HERRN Wort! So spricht der Herr, HERR von diesen Gebeinen: Siehe, ich will einen Odem in euch bringen, dass ihr sollt lebendig werden. Ich will euch Adern geben und Fleisch lassen über euch wachsen und euch mit Haut überziehen und will euch Odem geben, dass ihr wieder lebendig werdet, und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin. Und ich weissagte, wie mir befohlen war; und siehe, da rauschte es, als ich weissagte, und siehe, es regte sich, und die Gebeine kamen wieder zusammen, ein jegliches zu seinem Gebein. Und ich sah, und siehe, es wuchsen Adern und Fleisch darauf, und sie wurden mit Haut überzogen; es war aber noch kein Odem in ihnen. Und er sprach zu mir: Weissage zum Winde; weissage, du Menschenkind, und sprich zum Wind: So spricht der Herr, HERR: Wind komm herzu aus den vier Winden und blase diese Getöteten an, dass sie wieder lebendig werden! Und ich weissagte, wie er mir befohlen hatte. Da kam Odem in sie, und sie wurden wieder lebendig und richteten sich auf ihre Füße. Und ihrer war ein großes Heer.

Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Siehe, jetzt sprechen sie: Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnung ist verloren, und es ist aus mit uns .Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht der Herr, HERR: Siehe, ich will eure Gräber auftun und will euch, mein Volk, aus denselben herausholen und euch ins Land Israel bringen; und ihr sollt erfahren, dass ich der HERR bin, wenn ich eure Gräber geöffnet und euch, mein Volk, aus denselben gebracht habe. Und ich will meinen Geist in euch geben, dass ihr wieder leben sollt, und will euch in euer Land setzen, und sollt erfahren, dass ich der HERR bin. Ich rede es und tue es auch, spricht der HERR.

Als ein weiteres Beispiel für die Notwendigkeit des biblischen Kommentars zum Verständnis des Korans, kann der Vers 72-73 der Sure 2 aufgeführt werden. In dem Koranvers werden die Juden an einem konkreten historischen Fall erinnert, dessen Geschichte tief im Bewusstsein des jüdischen Volkes in Medina vorhanden war. Gott verlangte von Ihnen, eine Kuh zu schlachten, um so den Mörder zu verifizieren (siehe Koran 2: 67-73). Jedoch wird im Koran nicht explizit erwähnt, weshalb eine Kuh geschlachtet werden soll. Im Koran heißt es folgendermaßen dazu: „Und als ihr jemanden getötet und darüber untereinander gestritten hattet, da sollte Gott ans Licht bringen, was ihr verborgen hieltet. „“Da sagten Wir: “”Berührt ihn mit einem Stück von ihr (der Kuh)!”“ So bringt Gott die Toten wieder zum Leben und zeigt euch Seine Zeichen; vielleicht werdet ihr es begreifen.” (Koran 2:72-73).

Im fünften Buch Mose (Deuteronomium) unter der Überschrift „Sühnung eines Mordes von unbekannter Hand“ wird der Hintergrund des koranischen Verses “Und als ihr jemanden getötet und darüber untereinander gestritten hattet“ ausführlicher erläutert. So schreibt die Bibel dazu:

„Wenn man einen Erschlagenen findet in dem Lande, das dir der HERR, dein Gott, geben wird, es einzunehmen, und er liegt auf freiem Felde und man weiß nicht, wer ihn erschlagen hat, so sollen deine Ältesten und Richter hinausgehen und den Weg abmessen von dem Erschlagenen bis zu den umliegenden Städten. Welche Stadt am nächsten liegt, deren Älteste sollen eine junge Kuh nehmen, mit der man noch nicht gearbeitet und die noch nicht am Joch gezogen hat, und sollen sie hinabführen in einen Talgrund, der weder bearbeitet noch besät ist, und dort im Talgrund ihr das Genick brechen. Und die Priester, die Leviten, sollen herzutreten, denn der HERR, dein Gott, hat sie erwählt, dass sie ihm dienen und in seinem Namen segnen, und nach ihrem Urteil sollen alle Sachen und alle Schäden gerichtet werden. Und alle Ältesten der Stadt, die dem Erschlagenen am nächsten liegen, sollen ihre Hände waschen über der jungen Kuh, der im Talgrund das Genick gebrochen ist. Und sie sollen anheben und sagen: Unsere Hände haben dies Blut nicht vergossen, und unsere Augen haben’s nicht gesehen. Entsühne dein Volk Israel, das du, der HERR, erlöst hast; lege nicht das unschuldig vergossene Blut auf dein Volk Israel! So wird für sie die Blutschuld gesühnt sein. So sollst du das unschuldig vergossene Blut aus deiner Mitte wegtun, damit du handelst, wie es recht ist vor den Augen des HERRN“ (Deuteronomium Kap. 21, 1-9).

 


KEREM ADIGÜZEL:
Salam Bruder Ecevit,

1. ZITAT:

„So gibt es auch Koranverse, die nur dann annähernd erschlossen werden können, wenn der biblische Hintergrund dabei erhellt wird.“

Hierbei wird im Koran aber deutlich gemacht, wann wir nachlesen sollten. Ein Beispiel hierzu:

 

48:29 … Das ist ihre Beschreibung in der Tora. Beschrieben werden sie im Evangelium wie ein Saatfeld, das …

 

Der Koran zitiert die Schriften, sodass wir nachlesen können, wenn wir wollen. Es gibt auch insbesondere Koranverse, die solches von uns verlangen, dass wir die früheren Schriften konsultieren oder die fragen, die diese Schriften lesen:

 

10:94 Wenn du über das, was Wir zu dir hinabgesandt haben, im Zweifel bist, dann frag diejenigen, die (bereits) vor dir das Buch lesen. Wahrlich, zu dir ist die Wahrheit von deinem Herrn gekommen, so sei nicht einer von den Zweiflern.

16:43 Und wir haben vor dir nur Männer auftreten lassen, denen wir (Offenbarungen) eingaben. Fragt doch die Leute der Ermahnung (Dhikr), wenn ihr es nicht wisst! (Ähnlicher Vers: 21:7)

 

Der Unterschied hierbei ist jedoch, dass es sich um Schriften von Gott handelt. Thora wie auch das Evangelium sind von Gott. Sind die Ahadith von Gott?

 

2. ZITAT:

“ In Sure 2 Vers 259 wird von einer unbekannten Person berichtet, den Gott sterben ließ und nach hundert Jahren wieder lebendig machte, um so Seine Macht ihm zu demonstrieren.“

Ist es nicht interessant, dass du den Sinn der Geschichte bereits angegeben hast. Was brauchen wir dann noch den „Namen“ dieser Person, was fügt es dem Sinn und Inhalt des Verses noch weitere Informationen hinzu, ohne die wir eben den Sinn des Verses nicht erschließen könnten? Zumal sich die Exegeten eben auch nicht einig waren, wie du es geschrieben hattest. Man kann die biblische Geschichte als Grundlage nehmen – oder eben auch nicht. Es gibt keinen Zwang hierzu.

 

3. ZITAT:

“ In dem Koranvers werden die Juden an einem konkreten historischen Fall erinnert, dessen Geschichte tief im Bewusstsein des jüdischen Volkes in Medina vorhanden war. Gott verlangte von Ihnen, eine Kuh zu schlachten, um so den Mörder zu verifizieren (siehe Koran 2: 67-73). „

Diese Geschichte kann auch völlig losgelöst von jeglichem Kontext betrachtet werden. Die Geschichte ergibt auch für sich selbst Sinn, wenn berücksichtigt wird, dass die Sura mit „al baqara“ (die Kuh) betitelt wird und diese Sura selbst etliche Gesetze beinhaltet, die wir einzuhalten haben. Statt dass wir, wie die Juden, nach weiteren zahllosen Einzelheiten fragen, die wir erst in den Ahadith suchen müssen, sollten wir einfach Gottes Befehl ausführen und Gottes Worte achten und einhalten. Kein Bedarf an irgendeinem dubiosen historischen Kontext, der weitere Inhalte einführt, die im Koran nicht erwähnt wurden.

Zumal hier auch noch 2:67-71 mit den Versen 2:72-73 in Verbindung gebracht werden, was so auch nicht sein muss. Es gibt keine Notwendigkeit hierfür. Der Vers 2:73 kann sprachlich gesehen auch figurativ verstanden werden und wird dann so zu einer universellen Lehre ohne einen benötigten historischen Kontext. Falls sich jemand hierfür interessiert, kann ich das auch näher erläutern – vom sprachlichen Aspekt her.


ERDİNÇ YAVUZ:

Slm Ecevit Polat

Nur hierzu:

„So gibt es auch Koranverse, die nur dann annähernd erschlossen werden können, wenn der biblische Hintergrund dabei erhellt wird.“

Der Koran hat alle nötigen Details zu jeder Geschichte, um ihren Sinn zu erschließen, gegeben: Die Details, die du nennst als Beispiele, sind nicht für die Erschließung des Sinns von Nöten, die uns der Koran geben will und nur darauf kommt es primär an. Außerdem sind Details aus Thora oder Evangelium nicht immer beliebt, zB wenn es um die genaue Sünde Davids geht, die im Koran nicht näher beschrieben wird aber in der Thora Eingang findet. Viele Muslime akzeptieren dieses Detail nicht weil es da um Mord geht damit David dessen Frau heiraten konnte.

Natürlich kann man sich Details anschauen aber man darf nicht sagen, dass der Koran alleine für den Sinn nicht ausreiche. Im Umkehrschluss könnte ich nach viel mehr Details fragen das Ende wäre offen und weit. Auf die Verse, die dem Koran Deutlichkeit, Vollständigkeit und ausführliche Darlegung attestieren wurde auch nicht eingegangen, die dann so auch im Widerspruch stehen würden.


BAYCAN YANAR:

Hab den artikel etwas ergänzt:

„Dieselbe methodologische Herangehensweise, Koranverse aus dem jeweiligen Kontext zu reißen sieht man auch bei den radikal islamischen Salafisten. Diese entnehmen Passagen, die die Kriegszustände erläutern um den Heiligen Krieg zu rechtfertigen. Dr. Murad Wilfried Hofmanns Position für dieses Fehlverhalten ist in seinem Buch „Islam als Alternative“ nicht zu übersehen: „Diese Methode, einzelne Koranverse ohne Rücksicht auf ihren Zusammenhang und ihre Offenbarungsgeschichte herauszulösen, um so eine islamische Pflicht zum Angriffskrieg zu beweisen, mutet so an, als würde man aus dem Jesus – Zitat >>Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert<< (Math. 10,34) die Kriegslüsternheit des Christentums herleiten“ (Islam als Alternative S. 192).“


KEREM ADIGÜZEL:

Baycan, du hast dich damit endgültig ins Aus geschossen bei mir, weil du nicht mal im Stande bist recherchierbare Unterschiede festzustellen, also nicht einmal Äpfel von Birnen unterscheiden kannst, weil gerade zu diesem Thema ausführliche Artikel geschrieben wurden. Mir bleibt nichts mehr übrig als dir Frieden zu wünschen.


BAYCAN YANAR:

Die Diskussion ist für mich beendet, weil dein Gegenargument zu 95% aus Koranzitaten besteht. Dies ist für mich jedoch kein Gegenargument, weil du einen Vers sagen lässt, was er nicht sagt in dem du ihn aus dem historischen Kontext reißt. Mein Artikel hat jedoch deinen anderen Argument, was 5% der nichtkoranischen Zitaten entspricht beantwortet wie auch meine Kommentare oben.. Danke für deine Aufmerksamkeit

Salamu aleikum


TIMUR TEZKAN:

Zitat Baycan: „Die Diskussion ist für mich beendet, weil dein Gegenargument zu 95% aus Koranzitaten besteht.“

Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, was du Kerem hier vorwirfst.

„[…] Sag: Habt ihr (irgendein) Wissen, das ihr uns vorbringen könnt? Ihr folgt ja nur Mutmaßungen, und ihr stellt nur Schätzungen an. Sag: Gott hat das schlüssige Argument. Wenn Er gewollt hätte, hätte Er euch fürwahr allesamt rechtgeleitet.“ (aus 6:148-149)

Lass dir das mal durch den Kopf gehen, Baycan. Salamun ‚alayka!

Zu Sura 33, Vers 33: Frauen zuhause einsperren?

Frieden sei mit Ihnen, liebe LeserInnen,

eine Schwester fragte nach Vers 33:33 nach, ob man daraus tatsächlich ableiten könne, dass gottergebene Frauen zuhause bleiben müssen – oder anders formuliert: dürfen Männer ihre Frauen zuhause einsperren, weil sie laut Koran zuhause bleiben müssen? Eine gängige Übersetzung dieses Verses lautet wie folgt:

 

33:33 Und bleibt in euren Häusern und prunkt nicht wie in den Zeiten der Unwissenheit und verrichtet das Gebet und entrichtet die Zakah und gehorcht Gott und Seinem Gesandten. Gott will nur jegliches Übel von euch verschwinden lassen, ihr Leute des Hauses, und euch stets in vollkommener Weise rein halten.

 

Zu diesem Vers gibt es zwei wichtige Umstände anzumerken. Erstens, dass hier lediglich die Frauen des Propheten gemeint sind (siehe Vers 33:32). Die Aussagen können deswegen nicht verallgemeinert werden. Das Problem besteht jedoch darin, dass diese Frauen, von denen die Rede ist, als Vorbilder für eine Gottergebene (arabisch: muslīma) gelten und diese Verse deshalb je nach Absicht und kulturell-traditioneller Prägung zu bestimmten Zwecken missbraucht werden.

Zweitens, und dies ist der wichtige Punkt, kann das erste Verb im Vers auf zwei Arten gelesen werden (an den arabischen Buchstaben wird hierbei nichts geändert), abhängig davon, ob man den Buchstaben „waw“ als Teil des Verbes sieht (Wurzel waw-qaf-ra) oder nicht (Wurzel qaf-ra-ra). Die arabische Sprache ist im Wesentlichen eine sogenannte Konsonantensprache, welche auf Wurzeln aufgebaut ist. Diese Wurzeln stützen sich in den meisten der Fälle auf drei, in wenigen Fällen auf vier Konsonantenbuchstaben, aus denen die Verben, die Nomen und Adjektive abgeleitet werden.

Die traditionelle Lesung „wa qarna“ (und bleibt ihr; Imperativ des femininen Plurals), die aus diesem Wort die Wurzel q-r-r herausliest und was ansiedeln, auf dem Boden sitzen, absitzen bedeuten kann, ist in den gängigen Übersetzungen zu finden (wie eingangs zitiert). Wir wissen bereits aus der Übersetzung des Verses 34 aus Sura 4, dass die Übersetzer nicht sehr vorsichtig sind in ihren Übersetzungen und noch mit patriarchalischen Denkmustern an den Koran herangehen, also mit ideologischen Vorurteilen.

Die gängige Übersetzung des zu Beginn zitierten Verses wird dahingehend missbraucht, um die Frauen zuhause einzusperren oder um zumindest eine patriarchalische, nicht islamische Sichtweise in der eigenen Kultur zu rechtfertigen. Andere missbrauchte Verse wie 4:34 tragen dazu bei. Etliche unsinnige Gesetze aus den Aḥādīṯ (sekundäre, im Koran nicht vorkommende Literatur; fälschlicherweise dem Propheten Mohammed zugeschrieben und untergejubelt) stärken diese Sicht, beispielsweise indem eine Frau alleine nicht mehr als 80 Kilometer reisen dürfe ohne einen „zulässigen männlichen Begleiter“, sei es auch nur der fünfjährige kleine Cousin. Auch hierzu gibt es dann noch etliche Variationen.

Nun was ist denn die zweite Lesart?

Meine bevorzugte Lesevariante wäre, weil sie dem Missbrauch keinerlei Raum bietet: wa qirna, abgeleitet von (waqara-yaqiru; وَقَرَ-يَقِرُ), was von der Wurzel Waw-Qaf-Ra abstammt und in etwa soviel bedeutet wie: handelt/seid ehrwürdig, respektabel, ernst, achtsam. Siehe auch hier für den Gebrauch im heutigen Arabisch. Diese Lesung wäre erst dann nicht korrekt, stünde „qararna“ (Wurzel Qaf-Ra-Ra) im Vers statt „qarna“. Die Verse dieser Wurzel q-r-r:

2:36 2:84 3:81 3:81 6:67 6:98 7:24 7:143 11:6 14:26 14:29 19:26 20:40 22:5 23:13 23:50 25:24 25:66 25:74 25:76 27:40 27:44 27:61 28:9 28:13 32:17 33:51 36:38 38:60 40:39 40:64 54:3 54:38 75:12 76:15 76:16 77:21

Diese Wurzel wird im Allgemeinen dazu gebraucht, um etwas oder jemandem „Gewicht zu verleihen“. Einige Araber oder Personen, die der arabischen Sprache mächtig sind, mögen hier einwenden, dass diese Wurzel auch im Sinne von „bleiben“ gebraucht werden kann und wird. Und tatsächlich, im symbolischen Sinne „dem Ort Schwere zu verleihen“ bedeutet nichts anderes als „sitzen, bleiben“. Für die Bedeutung des „bleiben“ werden im Koran aber bereits andere Wurzeln verwendet, weshalb diese Wurzel primär nicht als „bleiben“ verstanden werden sollte. Hier die entsprechenden Wurzeln:

– Wurzel qaf-ra-ra (قرر), auch im Sinne von „entscheiden“, Beispielvers:

40:39 O mein Volk, dieses irdische Leben ist nur Nutznießung. Das Jenseits aber ist die Wohnstätte zum Bleiben. (دَارُ ٱلْقَرَارِ – dāru-l-qarār)

 

– Wurzel qaf-ʾAyn-dal (قعد), Beispielvers:

9:46 Wenn sie hätten hinausziehen wollen, hätten sie fürwahr Vorbereitungen dazu getroffen. Aber Allah war ihr Ausziehen zuwider, und so hielt Er sie zurück. Und es wurde gesagt: „So bleibt (daheim) mit denjenigen, die (daheim) sitzen bleiben!“ (اقْعُدُوا مَعَ الْقَاعِدِينَ – aqʾudū maʾa al-qāʾidīn)

 

– Wurzel ba-qaf-ya (بقى), auch im Sinne von „übrig bleiben“, Beispielvers:

43:28 Und er machte es zu einem bleibenden (bâqiyyatan – بَاقِيَةًۭ) Wort unter seinen Nachkommen, damit sie umkehren.

 

Aus diesem Grund ist die Wurzel w-q-r in einem anderen Sinne zu verstehen. Etwas Gewicht zu verleihen bedeutet auch eine Wichtigkeit beizumessen, jemandem Ehre erweisen oder eine Angelegenheit nicht einfach verfliegen zu lassen. Gewicht zu verleihen bedeutet auch Ruhe und Gelassenheit. Und genau in diesem Sinne wird diese Wurzel in den berühmtesten Wörterbüchern der arabischen Sprache beschrieben. Für jene unter den Leserinnen und Lesern, die kein Arabisch, aber dafür Englisch beherrschen, sei das Lexikon von E.W. Lane empfohlen, Seiten 2960-2961. Beispielverse, in denen diese Wurzel w-q-r vorkommt:

 

48:9 Damit ihr an Gott und seinen Gesandten glaubt, ihm beisteht und ihn ehrt (تُوَقِّرُوهُ – tuwaqqirūhu), und (damit ihr) Ihn preist morgens und abends.

71:13 Was ist mit euch, dass ihr Gott kein Gewicht beimesst? (وَقَارًا – waqāran)

 

Der Vollständigkeit halber liste ich hier noch die komplette Liste an Versreferenzen zu dieser Wurzel auf: 6:25 17:46 18:57 31:7 41:5 41:44 48:9 51:2 71:13. Also würde die korrekte, sinngemäße Übersetzung dann lauten:

33:33 Und seid ehrwürdig in euren Häusern und prunkt nicht wie in den Zeiten der Unwissenheit und verrichtet den Kontakt und steuert zur Verbesserung bei und gehorcht Gott und Seinem Gesandten. Gott will nur jegliches Übel von euch entfernen, ihr Leute des Hauses, und euch in Reinheit reinigen.

 

Mittels dieser Übersetzung wird der Kontext auch um einiges klarer und die Aufforderung ergibt mehr Sinn, da es sich hierbei um Haltungen und Lebensweisen handelt.

Leqaa Hussein, Teacher, Jordan - World Bank Photo Collection

Was ist gleich? Foto: Dana Smillie, CC BY-NC-ND 2.0

Es ist auch bekannt, dass die Frauen des Propheten ein eigenes Einkommen und Vermögen hatten (man denke dabei zum Beispiel an Khadija). Es ist offensichtlich, dass diese Lesevariante eher dem Wesen der Gottergebenheit (arabisch: Islām) entspricht, wonach Frauen allgemein positiv bewertet und ihnen Rechte und Verantwortungen gleich wie dem Manne erteilt werden, dass ihnen gar Königspositionen (Königin von Saba; siehe 27:23,44) zugesprochen werden können und die Königin von Saba gerecht, mächtig und am Ende rechtgeleitet war. Und dies, obwohl der Koran das Königstum als etwas grundsätzlich Negatives (18:79, 27:34) beschreibt. Wie würde Gott also wollen können, dass Frauen zuhause eingesperrt bleiben und demzufolge keine gesellschaftlichen Aufgaben (z.B. in der Politik) übernehmen können sollen, wenn Er als der Allwissende gerade eine Frau als positives Beispiel anführt, wo die Männer dafür gesorgt haben, das Bild des Königs zu vermasseln?

Im Gegensatz dazu haben wir die Ahadith, welche meinen, dass keine Nation Erfolg hätte, wäre ihr Anführer eine Frau. (Sahih Bukhary Band 9, Buch 88, Nr. 219)

Noch einmal wird ersichtlich, welch erhebliche Kluft zwischen den Ahadith, die leider fälschlicherweise als Teil der Gottergebenheit (Islam) wahrgenommen werden, und dem Koran besteht, der eine ethische Hochreligion beschreibt, die friedensstiftend zwischen den Völkern wirkt bei angemessener Ausübung und Auslebung der im Koran vollständig erhaltenen und beschriebenen Religion.

 

49:13 Oh ihr Menschen, Wir haben euch aus Mann und Frau erschaffen und zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass ihr einander kennenlernen möget. Wahrlich, vor Gott ist von euch der Angesehenste, welcher der Rechtschaffenste ist. Wahrlich, Gott ist allwissend, allkundig.

Den Friedensgruß „Salam“ einem Ungläubigen verweigern?

As-salâmu ‚alaikum – Der Frieden sei mit Ihnen!

Foto: Jean-Michel Baud, CC BY-NC-SA 3.0

Diese arabische Grußformel, auch bekannt als der Friedensgruß, ist ein einfacher Gruß, der besonders unter Muslimen verbreitet ist. Dieser Gruß wird im heutigen Sprachgebrauch unter den Arabern auch oft von nichtreligiösen Menschen verwendet, weil dieser so alltäglich geworden ist.

Doch traditionell orientierte Muslime hüten sich davor, diesen Gruß bei Andersgläubigen zu verwenden, geschweige denn bei sogenannten „Ungläubigen“! Manchmal geht es sogar so weit, dass man nicht einmal gewisse Gruppierungen von Muslimen grüßt, weil die der eigenen Meinung nach Ketzer seien.

In unserer Koranlesung vom 6. Dezember 2013 wurde ich unter anderem gefragt, ob man zum Beispiel einem Christ gegenüber diesen Gruß sagen dürfe oder nicht. Denn viele, die sich so langsam von der Tradition des Mainstream-Islam befreien wollen, kämpfen noch mit diesen falschen Gewohnheiten, die dem Koran widersprechen, wie wir gleich sehen werden.

Woher kommen denn all diese Traditionen? Die aufmerksamen LeserInnen werden es ahnen: aus den Hadith-Sammlungen. Bereits der hanafitische Gelehrte al-Râzi hielt es für „verwerflich“ (makruh), den Ungläubigen (kafir) als erster mit dem Friedensgruß zu begrüßen. Dies sei seiner Ansicht nach der Gruß der Paradiesbewohner, also der Muslime, zu denen ein „Ungläubiger“ natürlich nicht gehört. Es hört auch nicht bei den sogenannten Ungläubigen auf, auch die Juden kommen nicht in den Genuss des Friedens(grußes) traditioneller Muslime, welche diese Ahadith ernst nehmen. Laut diesen soll der Prophet angeblich seine Gefährten ermahnt haben, die Juden nicht zuerst zu grüßen (siehe im Sunan von Ibn Madscha, Band 2, S. 1219, veröffentlicht in Kairo 1972). Nichtsdestotrotz gibt es Ahadith wie den folgenden, wo man zuerst doch denkt, selbst in der Tradition gibt es doch den Friedensgruß an alle:

 

Usama ibn Zaid berichtete, dass der Prophet an einer Versammlung von Muslimen, Ungläubigen, Götzendienern und Juden vorbeigekommen sein soll. Der Prophet soll sie alle gegrüßt haben: Der Friede sei mit euch – as-salamu aleikum (In Bukhary wie auch in Muslim)

 

Doch dieser Hadith wird von den Gelehrten dahingehend interpretiert, dass der Gesandte Gottes in dieser Situation den Friedensgruß aussprach, weil dort sehr viele Muslime waren und man den Muslimen immer den Friedensgruß bieten sollte, auch wenn die „Ungläubigen“ in der Nähe sind.

 

Koranverse über den Friedensgruß

Zum Glück fügen diese Gelehrten zu ihren Meinungen am Ende stets ein „Allahu a’lam“ hinzu, was soviel bedeutet wie „Gott weiß es besser“. In der Tat! Gott weiß es besser als sie und unterrichtet uns, wie wir mit diesem Friedensgruß umzugehen haben in den unterschiedlichsten Beispielsituationen! Kein Bedarf an weiterer Erklärung nötig durch widersprüchliche und teils sehr rassistische Ahadith, die dem Wesen des Koran zutiefst widersprechen.

Gott legt uns nahe, dass wir jeden Gruß zu erwidern haben mindestens auf die Art und Weise, wie wir gegrüßt wurden:

 

4:86 Und wenn euch ein Gruß entboten wird, dann grüßt mit einem schöneren (zurück) oder erwidert ihn (in derselben Weise)! Gott rechnet über alles ab.

 

Es ist also so, dass man stets den Gruß, der einem selbst entboten wird, in derselben oder in einer besseren Art und Weise erwidern soll. Der Vers sagt hierbei nicht „wenn euch ein Gruß von einem Gläubigen entboten wird“, sondern lediglich „wenn euch ein Gruß entboten wird“. Dabei ist es egal, wer einem gegenüber steht. Im letzten Satz des Verses teilt uns Gott mit, dass Er auch darüber abrechnen wird, wie wir in unserem Leben mit Grüßen umgegangen sind. Selbst wenn wir unbotmäßig angesprochen werden, haben wir mit „Frieden“ zu antworten:

 

25:63 Die Diener des Barmherzigen sind diejenigen, die maßvoll auf der Erde umhergehen und die, wenn die Toren sie ansprechen, sagen: „Frieden!“.

 

Gott verlangt von uns in jedem Fall eine Person, die an die Verse bzw. Zeichen Gottes glaubt, mit dem Friedensgruß zu begrüßen:

 

6:54 Und wenn diejenigen, die an unsere Zeichen glauben, zu dir kommen, dann sag: Friede sei über euch! Euer Herr hat sich zur Barmherzigkeit verpflichtet. Wenn einer von euch in Unwissenheit Böses tut und dann später umkehrt und sich bessert, so ist Gott barmherzig und bereit zu vergeben.

 

Dies bedeutet auch, dass wir jede Person, selbst wenn sie nicht immer derselben Meinung ist wie wir selbst in religiösen Fragen, mit dem Friedensgruß grüßen müssen. Konkret heißt das, dass niemand ausgeklammert werden darf aufgrund religiöser Differenzen, wie etwa Schiiten oder Sunniten oder „andere Rechtsschulen“. Es gibt nämlich einige Sunniten, die der Ansicht sind, sie könnten Schiiten vom Friedensgruß ausklammern, indem sie zu ihnen sagen: „Friede sei mit denen, die der Rechtleitung folgen“. Dies ist ein Ausdruck aus Vers 20:47, der hierzu missbraucht wird.

 

20:47 Geht nun zu ihm (Pharao) und sagt: Wir sind Gesandte deines Herrn. Schick die Kinder Israel mit uns weg und bestrafe sie nicht! Wir sind mit einem Zeichen von deinem Herrn zu dir gekommen. Friede sei über einem, der der Rechtleitung folgt!

 

Hierbei wird aber außer Acht gelassen, dass es sich um eine spezielle Situation handelt, in der es um die Geschichte von Moses, Aaron und Pharao geht. Dieser Vers kann also keineswegs verallgemeinert werden. Denn dies würde dann der Regel aus 4:86 widersprechen. Im Gegenteil, in Vers 20:44 wird uns deutlich gemacht, dass wir selbst bei einem Tyrann wie Pharao es war milde und sanfte Worte zu wählen haben! Zudem ist aus dem nachfolgenden Vers ersichtlich, dass die Erörterung eines Prinzips im Vordergrund steht und nicht das Grüßen an sich:

 

20:48 Uns ist offenbart worden, dass die Strafe denjenigen trifft, der (die göttliche Botschaft) für Lüge erklärt und sich abwendet.

 

Es ist dermaßen wichtig, dass der Gruß erwidert wird, dass wir auch in Kriegssituationen nicht einfach blind Menschen ausklammern können:

 

4:94 O ihr, die ihr glaubt, wenn ihr auf dem Weg Gottes im Land umherwandert, so seid euch im Klaren darüber (tabayyanuu) und sagt nicht zu dem, der euch den Frieden anbietet: „Du bist kein Gläubiger“, im Trachten nach den Gütern des diesseitigen Lebens. Gott schafft doch viele Möglichkeiten, Gewinne zu erzielen. So seid ihr früher (auch) gewesen, da hat Gott euch eine Wohltat erwiesen. So seid euch im Klaren darüber. Gott hat Kenntnis von dem, was ihr tut.

 

Wenn wir die Verse davor und danach betrachten, sehen wir, dass der Kontext dieses Verses eine Kriegssituation darstellt. Also auch selbst dann, wenn Krieg vorherrscht, dürfen wir nicht achtlos werden in Bezug auf diese Grundregel des Grüßens. Es gibt zwei wichtige Punkte, die in diesem Vers bemerkt werden sollten.

Erstens, dass Gott uns mitteilt, dass wir früher auch so gewesen sind. Diesen Vers in seinen historischen Kontext einzuschränken und von unserer Zeit zu distanzieren bedeutete, dass dieser Vers als eine bloße Berichterstattung gilt ohne irgendeine innere Lehre, was aber dem Koran widerspricht (12:111). Wir waren also gleich wie sie, die wir als „keine Gläubige“ beschreiben würden. So ist es einfach einzusehen, dass der Weg zur Wahrheit ein langer und steiniger Weg sein kann und deshalb Verständnis und Geduld erfordert. Wenn nicht wir, als Gläubige, den Menschen Verständnis und Geduld lehren, wer dann? Wir sollten Vorbilder sein.

Zweitens, solch eine Ausklammerung mittels „du bist kein Gläubiger“ wird mit dem Trachten nach diesseitigen Gütern in Verbindung gebracht. Anders betrachtet: sich als Gruppe abzuschotten und finanzielle, gemeinschaftliche und politische Hilfe nur den eigenen Reihen zukommen zu lassen wird hier mit „Trachten nach den Gütern des irdischen Lebens“ assoziiert. Dies dient dazu, dass wir keinerlei Abspaltungen zulassen dürfen, nicht einmal im Kriegsfalle. Weitere Betrachtungen hierzu im Artikel Abspaltungen, Madhabs und Sekten. „Du bist kein Gläubiger“ zu sagen bedeutete in diesem Kontext weitergedacht „und du bist somit einer von den Feinden“. Die friedlichen Mitmenschen, die sich nicht am Krieg beteiligen, als Feinde anzusehen wird in diesem Vers verboten. Damit wird ihr Vermögen wie auch ihr Leben und das ihrer Familie unter den Schutz Gottes gestellt. Denn Gottes System und Ordnung sehen es vor, dass Religions- und Meinungsfreiheit gelten sollen (2:256; 18:29; 10:99; 88:21-22). Insbesondere das im obigen Vers vorkommende „seid euch im Klaren“ (tabayyanuu) verbietet nicht nur die Verleumdung, sondern verlangt von den Gläubigen, Nachforschungen anzustellen über die Aufrichtigkeit der Person. Der Angeklagte ist also unschuldig bis seine Schuld bewiesen wurde.

Zusammenfassend ist also zu sagen, dass man stets in derselben Art und Weise, wie man gegrüßt wurde, zurück grüßen muss, ja man soll diesen Gruß sogar noch verbessern (4:86). Dies selbst dann, wenn man unschön angesprochen wurde (25:63). Der Gruß zwischen den Gläubigen, welche an die Zeichen und die Verse Gottes glauben, ist hierbei der Friedensgruß (6:54). Selbst wenn man anfänglich der Meinung ist ohne Beweise, jemand sei kein Gläubiger und somit ein Feind im Kriegszustand, haben wir den Gruß zu erwidern (4:94).

Wenn wir im Koran weiter suchen, sehen wir, dass der Friedensgruß bereits sehr alt ist. Laut den Versen des Koran benutzte schon der Prophet Abraham diese Worte gegenüber Menschen, die er gar nicht kannte, also auch ungeachtet ihrer Glaubenszugehörigkeit:

 

51:24-25 Ist dir nicht die Geschichte von den ehrenvoll aufgenommenen Gästen Abrahams zu Ohren gekommen? Als sie bei ihm eintraten, sagten sie „Frieden!“ Er sagte (ebenfalls) „Frieden, ihr ablehnende Leute.“

 

Wir bemerken, dass Abraham lediglich kurz „Salam“ (Frieden) sagt, nachdem er mit diesem Gruß zuerst gegrüßt wurde. Dies obwohl er diese Leute als „ablehnende Leute“ beschreibt (qawmun munkiruun). Er setzte also stets konsequent die Regel des Koran um. In einer weiteren Lesart könnte man von „abgelehnten Leuten“ sprechen (qawmun munkaruun). Die Wurzel von munkir/munkar ist dieselbe, nämlich nakara (n-k-r) und hat stets mit einer gewissen Ablehnung (nukr), Abneigung (istinkār) und Leugnung (inkār) zu tun. In gewissen Übersetzungen kommt die Bedeutung „unbestimmte/unbekannte Leute“ zum Vorschein, aber selbst dann befolgt Abraham die koranische Regel ohne Ausnahme, obwohl er die Leute nicht kennt.

Schlüssel zum Verständnis des Koran: Beispiel 5 – Sklaverei im Islam? Ein Widerspruch der Beigesellung

Ich bemerke immer wieder, dass viele Gottergebene (Muslime) verwirrt sind, was Sklaverei in der Gottergebenheit (Islām) und Sklavenhaltung betrifft. Obwohl ihr gesunder Menschenverstand sie überzeugt, Sklaverei abzulehnen, denken sie aufgrund äußerer Einflüsse, dass die Sklaverei in der Lesung nicht nur nicht abgeschafft, sondern geduldet werde. Solch eine Schlussfolgerung kann nicht weiter entfernt von der Wahrheit sein.

 

90:8-18 Machten Wir ihm nicht zwei Augen und eine Zunge und Lippen und wiesen ihn auf beide Möglichkeiten hin? Doch das Hindernis konnte er nicht überwinden. Und was wusstest du über das Hindernis? Es ist einen Sklaven zu erlösen oder eine Speisung an einem Tag der Hungersnot einer nahen Waise oder eines am Boden liegenden Bedürftigen. Dann ist er von denen, die geglaubt haben und sich gegenseitig zur Geduld und auch zur Barmherzigkeit anspornen. Das sind die Angehörigen der Rechten!

 

Der Einfluss der Tradition

Wenn klassische Gelehrte zitiert werden, muss hierbei betont werden, dass die Mehrheit unter ihnen Sklaverei als etwas „Normales“ und „Erlaubtes“ ansahen. Dies liegt darin begründet, dass ihre Definitionen von Freiheit und Menschlichkeit anders waren als unsere heutigen Vorstellungen. Das Wichtigste hierbei ist aber, dass es der Anti-Sklaverei Haltung der Lesung widerspricht. Es war eine Angelegenheit, die den Absichten und Zielen der Offenbarung (maqāsid as-samāʾ / maqāsid al-qurʾān) gegenüber ignorant und rückschrittlich war.

Darüber hinaus lässt sich durch die traditionelle Darstellung der Geschichte ein unglaublich beleidigendes Bild des Propheten zeichnen, denn zusammengefasst wäre Mohammeds Rolle in der Sklaverei, durch traditionelle, der Lesung widersprechende Quellen wie den Ḥadīṯ-Büchern zum Beispiel von Buchārī belegt, wie folgt: Er hatte Sklaven in seiner Familie, ebenso besaß seine erste Frau, Chadīdscha, Sklaven. Der sunnitische Mohammed hatte tiefgreifend mit der Sklaverei zu tun, da sie eine der Hauptwege war, sich zu finanzieren. Er tötete nicht nur Dichter, die anderer Meinung waren als er, sondern ließ ungläubige Männer töten, um ihre Frauen und Kinder als Sklaven halten und für Finanzierungszwecke verkaufen zu können. Er gab Sklaven als Geschenke her oder auch um die sexuellen Gelüste seiner engen Gefährten zu befriedigen. Er erhielt und nahm Sklaven von anderen Herrschern an. Einige seiner Köche waren Sklaven und er hatte einen Sklaven als Schneider. Er sagte auch, dass ein Sklave, der von seinem Meister flieht, nicht erwarten könne, dass seine Gebete beantwortet werden.122

Gott bewahre uns davor, dass wir den Scharlatanen glauben, die sich Imame oder Scheichs nennen, die solches verbreiten und als „normal“ verkaufen. Gott bewahre uns davor, ihnen zu glauben, die unseren Propheten solcherart darstellen und die Religion für einen geringen Preis verkaufen!

Diese klassischen Gelehrten und ihre Anhänger urteilten falsch, als es um fundamentale Prinzipien der Menschlichkeit ging und deshalb ist es klar, dass wir die gesamte Tradition nach anderen Fehlurteilen und Angelegenheiten durchforsten müssen, in denen wir uns entwickelt haben. Die 1400 Jahre alte Tradition kann eine Quelle des Wissens sein, mitunter gar einzelne Edelsteine hervorbringen. So zum Beispiel kannten die gottergebenen Gelehrten bereits vor der Zusammenstellung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte solche Begrifflichkeiten, wie etwa in Uṣūlu-l-fiqh (wörtlich: Wurzeln/Quellen des Verständnisses; Oberbegriff für die gottergebene Rechtsfindung) bekannt als ḥaqqu-l-mukallaf (Rechte des Individuums). Doch da sich die früheren Gottergebenen nicht intensiver mit der Ausarbeitung dieser Theorie beschäftigt haben oder diese uns nicht überliefert wurden, konnten die Gottergebenen nicht die ersten in der Ausformulierung einer solchen Rechtsnorm sein. Vielmehr ist diese Tradition der Rechtsfindung ausgeartet und so wurden Rechtsnormen formuliert, die der Lesung widersprechen, wie etwa bezüglich der Steinigung, der Apostasie oder der Sklaverei. Die Tradition kann also keine fixe, absolute Quelle über Wahrheit und Gerechtigkeit sein. Ansonsten laufen wir Gefahr, giftige Ideen zu verinnerlichen und unsere Seelen zu verderben.

 

4:92 Es steht einem Gläubigen nicht zu, einen Gläubigen zu töten, es sei denn aus Versehen. Wer einen Gläubigen aus Versehen tötet, hat einen gläubigen Sklaven zu befreien und ein Sühnegeld an seine Angehörigen zu übergeben, es sei denn, sie erlassen es als Spende. Wenn er zu einem Volk gehörte, das euer Feind ist, während er ein Gläubiger ist, so ist ein gläubiger Sklave zu befreien. Und wenn er zu Leuten gehört, zwischen denen und euch ein Vertrag besteht, dann ist ein Sühnegeld an seine Angehörigen auszuhändigen und ein gläubiger Sklave zu befreien. Wer es nicht vermag, der hat zwei Monate hintereinander zu fasten. Das ist eine Zuwendung von Seiten Gottes. Und Gott ist wissend und weise

 

Einer der wenigen Skeptiker und gottergebenen Kritiker der Sklaverei war An-Nasafī (gest. 701 nach Hidschra, berühmt für seine ʿaqīdatu-n-nasafī, das Credo des Nasafī), der scharfsinnig bemerkte, dass wenn ein Totschlag durch das Befreien eines Sklaven kompensiert werden kann (4:92), dann jemanden zu versklaven einem spirituellen Todesurteil (mawt ḥukman) gleichkomme, weshalb er Sklaverei (ar-riqq) als ein Überbleibsel der Zeiten der Ableugnung (aṯār al-kufr) und des Unglaubens beschrieb:

 

فتحرير رقبة… التحرير: الإعتاق، والحر والعتيق الكريم فيالأحرار كما أن اللؤم في العبيد، ومنه عتاق الطير وعتاق الخيل لكرامها
والرقبة: النسمة ويعبر عنها بالرأس في قولهم: فلان يملك كذا رأساً من الرقيق {مؤمنة} قيل: لما أخرج نفساً مؤمنة من جملة الأحياء لزمه أن يدخل نفساً مثلها في جملة الأحرار، لأن إطلاقها من قيد الرق كإحيائها من قبل أن الرقيق ملحق بالأموات، إذ الرق أثر من آثار الكفر والكفر موت حكما

 

Eine grobe Übersetzung:

Und das Befreien eines Sklaven/Halses… die Befreiung (altahrīr): Die Erlösung, und die Freien und die noblen Erlösten, das heißt die Befreiten, und ebenso, dass [damit] die Ungleichheit unter den Sklaven [gezeigt ist], und daraus [ist gleichermaßen] der Edelmut der Erlösung des Vogels und des Pferdes [sichtbar].
Und der Hals: [Dieses Wort meint] die Personen [die am Hals festgehalten sind] und es äußert sich darüber durch die Eigentümerschaft (ar-ra’s) in ihrer Aussage: Um solch Eigentum (ra’san) zu besitzen (yumlik) von den Hälsern, {Gläubige} wurde gesagt: hinsichtlich der Vertreibung einer gläubigen Seele von allem Lebendigen (al-ā’hyā’) [d.h. jemanden zu töten] muss eine Seele ihresgleichen [in den Kreis] aller Freien eintreten, weil ihre Loslösung von den Verbindlichkeiten der Sklaverei wie ihre Belebung ist (itlāqhā min qīd ar-riqq ka-iḥyā’hā), wovon folgt, dass die Sklaven den Toten anhängen (ar-raqīq muhlaq bi-l-a’mwāt) [d.h. Sklave zu sein ist dasselbe wie gestorben zu sein], weil die Sklaverei ein Überbleibsel von den Spuren der Ableugnung (‘āṯār al-kufr) ist und Ableugnung ist ein Todesurteil.123

 

Die Sklaverei in der Bibel und ihr Einfluss auf die Gottergebenen

Foto: Jim Reid, CC BY-NC-SA 2.0

Die Praxis der Sklaverei wurde bis zu einem gewissen Maß durch den Einfluss der Juden und Christen gerechtfertigt. Ein hoher Anteil hierbei ist den erfundenen Aussprüchen (Aḥādīṯ) und Gesetzen in der Scharīʿa zuzuschreiben, die Jahrzehnte nach dem Tode des Propheten eingeführt wurden. Es ist eine Ironie, dass die Juden, die am meisten durch die Sklaverei zu leiden hatten und von Gott durch Moses’ Wirken errettet wurden (2. Buch Mose Exodus 1:13–14), später die Versklavung anderer Menschen rechtfertigten, einschließlich dem Verkauf der eigenen Tochter, was Eingang in ihre heiligen Bücher fand (Exodus 21:7–8; 21:21–22,26– 27; 3. Buch Mose Levitikus 25:44–46; Josua 9:6–27).

Obwohl Jesus niemals die Sklaverei billigte, verhielt sich Paulus, der wahre Gründer des modernen Christentums, anders: Er verlangte von den Meistern, ihre Sklaven gut zu behandeln (Kolosser 3:22), von den Sklaven jedoch „in aller Ehrfurcht gegenüber den Meistern ergeben zu sein“ (1. Petrus 2:18; Epheser 6:5; 1. Timotheus 6:2; Kolosser 3:22; Titus 2:9). Sehr viele Christen und Juden konvertierten zur Gottergebenheit aus der Lesung und verbreiteten im Namen des Propheten die althergebrachten Weltanschauungen mittels den Aussprüchen, verbreiteten also im Namen der Religion und somit im Namen Gottes wissentlich oder unwissentlich Lügen. Sehr wahrscheinlich ist es deshalb auf diese zurückzuführen, dass die Sklaverei auch nach der Vollendung der Offenbarung und nach dem Ableben des Propheten aufrechterhalten wurde. Politische Motive sind hierbei natürlich nicht ausgeschlossen. Der Missbrauch der Religion durch die privilegierte Klasse, Menschen zu versklaven und auszubeuten, wurde lebhaft von Desmond Tutu aufgezeigt:

 

Als die ersten Missionare nach Afrika kamen, besaßen sie die Bibel und wir das Land. Sie forderten uns auf zu beten. Und wir schlossen die Augen. Als wir sie wieder öffneten, war die Lage genau umgekehrt: Wir hatten die Bibel und sie das Land.

– Desmond Mpilo Tutu

 

Sklaverei im Lichte der Gottergebenheit

Zur Offenbarungszeit der Lesung war die Sklaverei eine vorhandene Realität (4: 25). In ihr wird aber die gängige, praktizierte Sklaverei abgeschafft (3:79; 4:3,25,92; 5:89; 8:67; 24:32–33; 58:3–4; 90:13; 2:286; 12:39–42; 79:24-25). Die Lesung lehnt die Sklaverei nicht nur als eine grobe Sünde ab, sondern als die gröbste Sünde, als ob man Gott irgendwelche Partner beigeselle, da man sich selbst neben Gott als weiteren Herrn über einen Menschen anpreist durch das Halten irgendeines Sklaven. Dies wird nicht vergeben, wenn diese Beigesellung (schirk) bis zum Tod oder bis kurz davor aufrechterhalten wird (4:116). Einen anderen Meister/Herrn (rabb) als oder neben Gott zu akzeptieren oder sich selbst als solchen (bewusst oder unbewusst) darzustellen wird in der Lebensweise der Gottergebung unmissverständlich abgelehnt (12:39–40; 3:64; 9:31). Jahrzehnte nach Mohammeds Ableben wollten Könige und ihre Verbündete die Sklaverei wiederauferstehen lassen und rechtfertigten diese durch Verzerrungen der Verse, in denen Josef vom Herrn seines Freundes spricht (12:41–42). Sie ignorierten jedoch die Tatsache, dass Josef nie irgendjemand anderen als Gott als seinen Herrn oder Meister bezeichnete. Er schlug seinen Gefährten im Gefängnis vielmehr vor, ihre Freiheit dadurch zu ersuchen, indem sie die unbegründeten Behauptungen ablehnen, sich von falschen Herrn und Meistern bevormunden zu lassen (12:39–40). Es ist auch kein Wunder, dass Gott Pharao verdammt für seine Behauptung, ein Herr über die Menschen zu sein (79:15–26). Gott errettete die Juden aus der Sklaverei und erinnerte sie daran, dass ihre Freiheit wichtiger ist als die Vielfalt an Nahrungsmitteln, die sie vermissten (2:57–61).

 

16:75-76 Gott führt als Gleichnis einen leibeigenen Diener an, der über nichts verfügt, und einen, dem wir von uns eine schöne Versorgung gewährt haben. So gibt er davon heimlich oder offen ab. Sind sie gleich? Lob gehört Gott! Nein! Vielmehr wissen die meisten von ihnen nicht. Und Gott führt als Gleichnis zwei Männer an. Der eine von ihnen beiden ist stumm und verfügt über nichts. Er ist seinem Meister eine Last, wo er ihn auch hinschickt, bringt er nichts Heilvolles. Gleicht er dem, der die Gerechtigkeit befiehlt, wobei er auf einem geraden Weg ist?

 

Die Verse 16:75–76 vergleichen einen Diener (‘abd) mit einem freien Menschen und betonen die Wichtigkeit, ein freier Mensch zu sein. Dies zielt auch darauf ab, sich nicht geistig von anderen Menschen bevormunden zu lassen, was durchaus im imperativischen Sinne Kants verstanden werden kann. Freie Menschen sollten sich also sowohl geistig als auch körperlich nur von Gott abhängig machen. Freie Menschen sind besser dazu in der Lage, Kreativität zu entfalten und Gutes zu bewirken.

Gott untersagt Mohammed des Weiteren, seine Feinde in Friedenszeiten einzufangen, einzukerkern und zu versklaven. Doch Er gibt ihm die Erlaubnis dafür nur als eine Maßnahme gegenüber denjenigen, die Krieg anstiften und in kriegerischen Handlungen tätig sind (8:67). Die Kriegsgefangenen werden nach Vers 47:4 nach Kriegsende freigelassen. In der Lesung wird die Tatsache betont, dass diejenigen, die Gott Partner beigesellen, selbst Sklaven besaßen. Die Sklaven mittels verschiedener Wege zu befreien ist als eine verpflichtende, gottergebene Handlung und Eigenschaft anzusehen (24:32–33; 16:75, 90:13). Gott berücksichtigt die tragische Vergangenheit von Sklaven als mildernden Umstand, indem Er ihnen die Hälfte der Strafe für die Unzucht verschreibt wie für Freie (4:25). Diese Regel lehnt gleichzeitig auch die Todesstrafe durch Steinigung der Sunniten und Schiiten ab, da es logischerweise keine Hälfte der Todesstrafe geben kann!

 

24:32 Und verheiratet die Ledigen unter euch und die Rechtschaffenen von den Dienern und Dienerinnen unter euch. Wenn sie arm sind, wird Gott sie durch seine Huld reich machen. Und Gott umfasst und weiß alles.

 

Der Ausdruck ʿibādukum (eure Diener) in diesem Vers wird generell missverstanden und trotz der klaren Botschaft der Lesung wird der Vers missbraucht, um die Sklaverei zu rechtfertigen. Statt den besagten Ausdruck als „eure Sklaven, die ihr besitzt“ zu verstehen, sollte er besser als „Diener aus eurer Gruppe“ verstanden werden. Beispielsweise gibt es in der Lesung auch den Ausdruck „die Speisung von zehn Bedürftigen so wie ihr eure Angehörigen im Durchschnitt speist“ (5:89), was eben nicht die „Angehörigen, die ihr besitzt“ bedeutet. Ähnlich meint „eure Undankbaren“ (eigentlich: eure Ableugner) auch diejenigen Undankbaren, die unter uns verweilen, und nicht die, die wir besitzen würden (54:43).124

Es lassen sich auch weitere Beispiele gegen die Sklaverei finden, wie etwa in der Geschichte Salomons (27:31 ff.), in der er Könige als Persönlichkeiten beschreibt, die die Menschen unterjochen. Sein Standpunkt gegenüber Unterdrückung und Sklaverei ist beispielhaft. Lebte Salomon heute, versuchte er erst sich selbst als gottergeben bezeichnende Gemeinschaften zu reformieren, wie er damals bei der Königin von Saba verfuhr.

In 58:3–4 wird ein spezieller Umstand beschrieben, in denen die Männer sich von ihren Frauen zu Unrecht scheiden lassen wollten. Als Sühne sollen diese einen Sklaven befreien. Der Anfang des Verses 58:4 (faman lam yadschid, was „wer es nicht vermag“ bedeutet, wörtlich: So wer es nicht fand) weist deutlich darauf hin, dass die zu befreienden Sklaven nicht zu den Gottergebenen gehörten. Ansonsten hätte ein Ausdruck wie „wer keinen Sklaven besitzt“ stehen müssen.

 

Mā malakat aymānukum und mawlá

In der Lesung kommt des Öfteren ein Ausdruck vor, der meist falsch übersetzt als „eure Sklaven“ wiedergegeben wird. Es handelt sich hierbei um die Äußerung „mā malakat aymānukum“125 (ما ملكت أيمنكم), was ungefähr als „was eure Rechte (Hand) besitzt“ übersetzt werden kann. Sektiererische Interpretationen versuchen diesem Ausdruck einen Beigeschmack von Sklaven, insbesondere auch Sexsklaven zu geben, was aber der Offenbarung diametral entgegensteht. Bei diesem Ausdruck handelt es sich um Ausnahmefälle, wie zum Beispiel in 60:10 beschrieben, wobei eine Ehefrau eines Soldaten auf feindlicher Seite die Botschaft der Gottergebenheit hört und annimmt und deshalb von den Feinden verfolgt wurde. Daraufhin kann diese Frau Asyl beantragen bei der gottergebenen Gemeinschaft. Da sie nun nicht durch einen juristisch-formalen Prozess die Scheidung erlangen konnte, wird es ihr in diesem Ausnahmefall durch einen speziellen Vertrag erlaubt, Gottergebene zu heiraten. Dies hat keinerlei Bezug zu Dienern (ʿibād) im herkömmlichen Sinne.

Das Wort yamīn, Singular von aymān, bedeutet „rechts“, „rechte Hand“ oder im übertragenen Sinne auch „Recht“, „Macht“, „Kontrolle“.126 Das Wort „Mawlá“ (Herrscher, Beschützer, Meister) kommt in der Lesung 18 Mal vor, von welchen 13 für Gott verwendet werden (2:286, 3:150, 6:62, 8:40, 9:51, 10:30, 22:78, 47:11, 66:2, 66:4). Die übrigen fünf Stellen gebrauchen das Wort mit einem negativen Beigeschmack (16:76, 22:13, 44:41, 57:15). Die in der Lesung allein für Gott gebrauchte Formulierung „Mawlánā“ (unser Schutzherr, Meister, Beschützer) wurde von gewissen Volksgruppen auch Religionsgelehrten zugeschrieben. In Pakistan und Indien wurde es zum Brauch, die Religionsgelehrten mit dem Titel „Mawlánā“ ( مولىنا ) anzusprechen.127 Das Wort „Waliyy“ (ولي – Verbündeter; plural awliyāʾ أولياء) hingegen wird sowohl für Gott als auch für Menschen gebraucht. Gott ist der Freund und Verbündete der Gläubigen und die Gläubigen sind die Freunde und Verbündete untereinander.128

Deshalb sollte es auch fortan unterlassen werden, andere Menschen als „mawlana“ (Türkisch: mevlana) zu betiteln, da dieser Begriff nur Gott gebührt (2:286).

 

Fazit

Die Gottergebenheit (Islām) lehnte die Sklaverei bereits mit der Bezeugung „Keine Gottheit außer dem Gott“ (lā ilāha illa-llāh) ab. Der Begriff Herr (rabb) wird in mehr als 900 Stellen einzig und allein für Gott gebraucht. Ein Gottergebener kann kein Sklave (raqabah) oder Diener (ʿabd) eines anderen als Gottes sein. Deshalb ist es Götzentum und Beigesellung, irgendeinen Sklaven in irgendeiner Form zu besitzen, denn damit würde man sich als Meister und Herr behaupten und sich neben Gott stellen. Nicht zuletzt aus diesem Grund wurde Pharao verurteilt, weil er sich als Herr der Menschen behaupten wollte.

Ich wiederhole: Gemäß der Lesung kann ein Gottergebener niemals einen Sklaven haben, da dies der Behauptung gleichkommt, der Herr über den Sklaven zu sein. Sich selbst Gott beizugesellen ist die größte Sünde, da man sich als absolute Souveränität, also Gottheit eines Menschen positioniert. Und Gott befiehlt uns:

 

90:13 Befreie den Sklaven!

 

Deshalb:

Wir schulden es uns selbst, der Reinheit der Gottergebenheit wegen, aufzuzeigen, dass Sklaverei eine Abweichung vom gottergebenen Standpunkt bedeutet. Oder um es in den Worten von an-Nasafī zu sagen: Entweder Freiheit (Befreiung der Sklaven) oder Tod (Sklaverei)!

Sura Yasin für die Toten und das Koranlesen als Sport

Ich suche Zuflucht bei meinem Herrn vor dem verworfenen Teufel,
Im Namen Gottes, des Gnädigen, des Barmherzigen,

Die Sura Yasin ist die 36. im Koran. Bei unseren Koranlesungen wurde ich einmal von einer türkischen Schwester gefragt, woher dass es komme, dass ihrer Erfahrung nach besonders Sura Yasin dermaßen oft rezitiert wird und auch wieso sie ebenso für die Toten rezitiert wird bei Begräbnissen und dergleichen. Die Antwort ist einfach: aus den zweifelhaften Quellen der Ahadith entspringt die abergläubische Vorstellung, dass das bloße Rezitieren gewisser Suren Heil, Glück, gar Gesundheit oder Reichtum bringe. Ahadith über den Thronvers (ayatul kursi) bis hin zu den Ahadith über die sogenannten Schutzsuren verstärken den Aberglauben der blinden Folger dieser Ahadith. In dieser Arbeit sollen einige recht abenteuerliche Ahadith aufgezeigt werden, deren Authentizität von den Hadith-Anhängern angenommen wird, deren Inhalte jedoch bar jeglicher koranischer wie auch vernünftiger Grundlage sind.

Es ist mittlerweile dermaßen zur Gewohnheit geworden, blind und ohne Verständnis Koranpassagen auf Arabisch nachzuplappern, dass Bücher, die Duas (Bittgebete) enthalten einen erstaunlichen Absatz finden. Ein Beispiel sei hier erwähnt: Dalaa’il al-Khayraat, welches dermaßen schluderig ist, weil es viele schwache (da’if) und erfundene Ahadith beinhaltet, dass bereits sunnitische Gelehrte gegen dieses Buch vorgehen. Bücher wie diese sagen dem frommen Muslim, welche Suren und Duas er zu sagen habe nach diesem oder jenem Gebet. Das Aufsagen von Duas wurde regelrecht zum Sport. Und es gibt auch bereits Apps auf dem App-Markt, die einen Zähler anbieten, um auch ja nicht zu vergessen, wie oft man bereits diese oder jene Dua rezitiert hat – ohne sie zu verstehen, weil sie ja auf Arabisch rezitiert werden muss! Der Teufel hat wahrlich eine gute Arbeit geleistet, Millionen von Muslimen von den Inhalten des Koran zu entfernen und sie angeleitet zu blinden, naiven Schafen zu werden, die diesen Büchern alles glauben und wie eine Zählmaschine Inhalte sinnlos von sich geben. Das Koranlesen ist zum Sport mutiert. So überrascht es auch nicht, dass es Koranmeisterschafen gibt, bei der auf die schönste Art und Weise der Koranrezitation Acht gegeben wird! Sehr selten verstehen die Rezitatoren, was sie da von sich geben.

Jedoch bleibt es nicht nur beim Sport, sondern haben berühmte Suren auch schon unterschiedliche Namen erhalten. Die wohl bekanntesten fünf möchte ich hier nennen:

Bekannte Dua-Suren:

  1. Sura ALHAMDU
  2. Sura INNAFATAHNA
  3. Sura ALLAHUS SAMAD
  4. Sura AMMA YATAS’ALUN
  5. Ayat Karimah („Lailaha illa anta Subhanaka inna Kunto minazzalimeen“)

Originalname:

  1. Al-Fâtihah (die Eröffnende), erste Sura des Koran
  2. Al-Fath (der Sieg), Sura 48 im Koran
  3. Al-Ikhlaas (die Reinheit), Sura 112 im Koran
  4. Al-Naba’ (die Ankündigung), Sura 78 im Koran
  5. Sura 21 (die Propheten), Vers 87

Es gibt noch zahlreiche weitere Umbenennungen, welche meist einfach den ersten Vers der jeweiligen Sura als Namen übernehmen.

 

Beispiele zum Aberglauben aus den Ahadith

Oder: So viel Gutes für so wenig tun

Es wird geglaubt, dass der Vers „Qul huwa Allahu ahad“ (Sage: Gott ist Einer.) aus Sura 112 bereits für sich einem Drittel des Koran gleiche (Al-Bukhary, 4627; Al-Musnad, 10965; Hasan, Al-Tirmidhi 2896; Hasan Sahih, Al-Tirmidhi 2899). Aber nicht nur dieser eine Vers ist ein Drittel des Koran, sondern auch „Allahu ahad, as-samad“ zu sagen würde einem koranischen Drittel gleichkommen (Al-Bukhary, 4628). Hierbei gibt es auch Differenzen des Verständnisses, denn die Gelehrten können sich nicht einigen, ob dieser Hadith die gesamte Sura 112 meine, die ein Drittel des Koran sei, oder ob wirklich nur dieser Ausspruch einem koranischen Drittel entspräche. Welche Tragödie! Es gibt auch andere Verse, die laut Ahadith an sich bereits besser als 1000 Verse seien. Es ist ein Wahnsinn zu erkennen in diesen Büchern, wobei einzelne Verse aus dem Buche Gottes herausgenommen und in einen Wettbewerb gesteckt werden, welcher nun eine größere Anzahl an Versen übertrumpfe! Dies ist alles ein Zeichen davon, dass man dem Irrglauben folgt, dass das bloße Rezitieren des Koran bereits eine gute Tat darstelle. Durch die Ahadith will man es sich natürlich leichter machen, den ganzen Koran zu rezitieren wäre ja doch zu anstrengend! Vom Verstehen reden wir noch gar nicht einmal.

In Al-Bukhary 4630 steht, dass der Prophet gepflegt haben soll beim Zubettgehen in seine Hände zu blasen und die letzten drei Suren des Koran zu rezitieren, um danach mit seinen Händen seinen ganzen Körper abzuwischen. Dies würde er insgesamt dreimal verrichten. Insbesondere das in die Hände blasen ist in weiten Teilen der Türkei bei älteren Generationen verbreitet. Sie glauben innigst daran, dass damit schlechte Einflüsse „weggeblasen“ werden!

Abu Huraira, der bekannt ist für die zahlreichen irrsinnigen und abergläubischen Ahadith und der von Umar geschlagen wurde, weil er Lügen verbreitete, genießt trotz alledem Ansehen bei den meisten sunnitischen Gelehrten, die blind die Gelehrten aus dem achten und neunten Jahrhundert nachmachen. Denn dieser überlieferte, dass der Prophet einem Mann das Paradies zusprach (als ob er stellvertretend für Gott entscheiden könne!), allein weil er die Sura 112 rezitierte!

Abu Huraira berichtete, dass der Prophet einen Mann Qul huwa Allahu ahad rezitieren hörte und sagte: „Es ist sein Recht.“ Sie fragten: „O Gesandter Gottes, was ist sein Recht?“ Er sagte: „Paradies ist sein Recht.“ – Berichtet durch Ahmad, 7669

Wer diese Sura 112 insgesamt zehn Mal rezitiere, so würde Gott dieser Person ein Haus im Paradies bauen (siehe Sahih al-Jaami’ al-Sagheer, 6472)!

Zur „Ayat Karimah“ gibt es natürlich auch eigene Überlieferungen, die besagen, dass Gott dem Betenden, der diesen Vers rezitiert, auf jeden Fall antwortete (Al-Tirmidhi, 3427 und Sahih al-Jaami’, 3383). In einer anderen Überlieferung wird der Inhalt des Verses aus seinem Kontext gelöst und ihm wird gar garantierte, Stress reduzierende Wirkung nachgesagt. (Al-Haakim; Sahih al-Jaami’, 2605).

Allahs Gesandter habe gesagt: „Steigert Freitags tagsüber und in der Nacht die Anzahl von Salawât auf mich. Wer das tut, für den werde ich Zeuge und Fürsprecher am Tage der Auferstehung sein.“ – Anas und Bayhaqi; aus Mukhtaar al-Ahadith an-Nabawiyya, S. 27 von Ahmad Al-Hâschimî

In diesem jeglicher Vernunft beraubten Hadith gibt es gleich zwei grobe und einen kleineren Fehler. Erstens wird die Mythologie der Fürsprache als ein Teil der Religion vermittelt. Zweitens gründen diese sogenannten „Salawat“ auf keinerlei koranischer Basis. Siehe hierzu: Koran, Hadith und Islam. Drittens widerspricht es der Vernunft. Wie sollte Mohammed, der verstorben ist und uns nun weder hören noch sehen kann, keinerlei Möglichkeit hat uns zu schaden oder uns zu nützen, am Jüngsten Tag wissen, wer diesen Hadith überhaupt befolgt hat? Der einzige Allwissende ist Gott der Schöpfer. Vielmehr ist doch im Koran zu sehen, dass der Prophet erst am Jüngsten Tag bemerken wird aufgrund der Urteile Gottes, dass sein Volk den Koran verlassen hat:

25:30 Und der Gesandte wird sprechen: „O mein Herr, mein Volk hat wirklich diesen Koran verlassen!“

Wir sollten uns nicht auf die Hilfe vergänglicher Menschen verlassen, auch nicht auf die der Propheten. Denn im Koran steht geschrieben:

9:80 Bitte um Vergebung für sie, oder bitte nicht um Vergebung für sie. Wenn du auch siebzigmal um Vergebung für sie bittest, Gott wird ihnen niemals vergeben.

28:56 Du kannst nicht rechtleiten, wen du gern möchtest. Gott ist es, der rechtleitet, wen Er will. Er weiß besser, wer der Rechtleitung folgt.

Hiermit wird wieder einmal klar und deutlich, wie sehr die Ahadith dem Koran widersprechen können. Dies auch dann, wenn sie in erster Linie dem Koran nicht zu widersprechen scheinen. Aus diesem Grund ist es ratsam, sich von den Ahadith fern zu halten. Denn selbst wenn sie von den Gelehrten als „sahih“, also authentisch eingestuft werden, widersprechen sie oft dem Koran. Und der Prophet würde nie etwas gegen Gottes Buch predigen, weshalb er von diesen Aussprüchen losgesagt werden muss. Den Namen des Propheten nicht mehr mit diesen Ahadith in Verbindung zu bringen, ist ein Akt der wertschätzenden und achtsamen Liebe ihm gegenüber. Denn die Ahadith sind eine Quelle der Zweifel und eine Religion kann nicht auf Zweifel gestützt werden.

Es gibt noch zahlreiche weitere Ahadith, die diesen und ähnlichen Irrsinn und Aberglauben verbreiten. So ist das Lesen der letzten zehn Verse Sura Al-Kahf (18. Sura), wohlgemerkt nicht die gesamte Sura, plötzlich wie ein Schutzamulett gegen den Antichristen (berichtet durch Al-Tabarânî in „Al-Mu´dscham Al-Ausat“, von Al-Albânî in „Al-Dschâmi´“ als authentisch befunden; siehe auch Muslim 1766). Je nach Hadith sind es aber plötzlich nur die ersten drei Verse dieser Sura, deren Rezitation vor der Versuchung des Antichristen bewahre (durch Abu Darda überliefert, Hasan Sahih, Al-Tirmidhi 2886).

Es sei nur am Rande erwähnt, dass die Idee des Antichristen im Koran nirgends vorkommt und eine Erfindung der Hadith-Literatur darstellt. Bei genauerem Hinsehen wird es auch klar, dass ehemalige christliche Konvertite die Idee des rückkehrenden Jesus in den Islam eingeführt haben, weil sie von ihren alten Vorstellungen schwer loslassen konnten.

Bezüglich derselben Sura meinen Al-Baihaqy (3/249) und Al-Hâkim (2/399), die natürlich durch Al-Albânî (Sahih al-Dschami‘, 6470) ebenfalls als authentisch eingestuft wurden, dass bloßes Lesen der Sura Al-Kahf an einem Freitag einen Menschen bis zum nächsten Freitag erleuchtete! So ist bei jungen und älteren Muslimen zu sehen, die ihren Verstand ausgeschaltet haben, dass sie möglichst schnell diese Sura lesen wollen.

Mit all diesem Aberglauben wird das Koranlesen zum Sport, im Wettrennen danach, wer welche Sura am meisten gelesen hat, weil er damit irgendwelche Punkte sammeln könnte (sogenannte Hasanât), die ihm am Jüngsten Tag gutgeschrieben würden. In gewissen Kreisen erhofft man sich gar Reichtum durch alleiniges Lesen der Sura Al-Wâqi’a in einer Nacht, um niemals von Armut getroffen zu werden – der Aberglauben ist dermaßen gefestigt, dass sie auch als Sura des Reichtums bekannt ist! (Siehe Ibn Asakir und Ibn Sunni 620)

Mögen wir Zuflucht bei Gott suchen vor solch unsinnigem Aberglauben, der vom Teufel kommt!

Englische Übersetzung der Ahadith

From Qutaadah ibn al-Nu’maan (may Allaah be pleased with him) who said that a man stayed up to worship Allaah at the time of the Prophet (peace and blessings of Allaah be upon him) just before dawn and recited “Qul huwa Allaahu ahad,” but did not recite anything else. In the morning, the man came to the Prophet (peace and blessings of Allaah be upon him) and told him about this, thinking that perhaps he was not doing enough. The Messenger of Allaah (peace and blessings of Allaah be upon him) said: “By the One in Whose hand is my soul, it is equivalent to one-third of the Qur’aan.” (al-Bukhaari, 4627).

Ahmad reported from Abu Sa’eed al-Khudri that a man said, “O Messenger of Allaah, I have a neighbour who prays at night and he only ever recites ‘Qul huwa Allaahu ahad’” – as if he did not think much of this. The Prophet (peace and blessings of Allaah be upon him) said: “By the One in Whose hand is my soul, it is equivalent to one-third of the Qur’aan.” (al-Musnad, 10965)

Abu Sa’eed al-Khudri (may Allaah be pleased with him) said: “The Prophet (peace and blessings of Allaah be upon him) said to his Companions: ‘Could any one of you not recite one third of the Qur’aan in one night?’ They found the idea too difficult, and said, ‘Who among us could do that, O Messenger of Allaah?’ He said, ‘Allaahu’l-ahad, al- samad [i.e., Soorat al-Ikhlaas] is one third of the Qur’aan.’” (Reported by al-Bukhaari, 4628)

‘Aa’ishah reported that when the Prophet (peace and blessings of Allaah be upon him) went to bed, he would cup his hands together, blow into them and recite into them Qul huwa Allaahu ahad [Soorat al-Ikhlaas], Qul a’oodhu bi Rabbi’l-falaq [Soorat al-Falaq] and Qul a’oodhu bi Rabbi’l-naas [Soorat al-Naas] (these are the last 3 soorahs of the Qur’aan – Translator). Then he would wipe as much of his body as he could with his hands, starting with his head and face, and the front of his body. He would do this three times. (Reported by al-Bukhaari, 4630)

Abu Hurayrah reported that the Prophet (peace and blessings of Allaah be upon him) heard a man reciting Qul huwa Allaahu ahad, and said, “It is his right.’ They asked, ‘O Messenger of Allaah, what is his right?’ He said, ‘Paradise is his right.’ (Reported by Imaam Ahmad, 7669)

The Prophet (peace and blessings of Allaah be upon him) said: “Whoever recites Qul huwa Allaahu ahad ten times, Allaah will build for him a house in Paradise.” (Saheeh al-Jaami’ al-Sagheer, 6472).

Sa’d said: “The Messenger of Allaah (peace and blessings of Allaah be upon him) said: ‘The call of Dhoo’l-Noon [Yoonus/Jonah], which he recited when he was in the belly of the fish, ‘La ilaaha illa anta subhaanaka innee kuntu min al-zaalimeen. There is no Muslim who recites this in any situation, but Allaah will respond to him.” (Reported by al-Tirmidhi, 3427, and classed as saheeh in Saheeh al-Jaami’, 3383).

The Prophet (peace and blessings of Allaah be upon him) said: “Shall I not tell you of something which, if some of the misery and distress of this world befalls a man and he recites it, he will be relieved of his stress. It is the du’aa’ of Dhoo’l-Noon: ‘La ilaaha illa anta subhaanaka innee kuntu min al-zaalimeen.’” (Reported by al-Haakim; Saheeh al-Jaami’, 2605).

‘Irbaadh bin Saariyah (R.A.) narrates that the Prophet (S.A.W.) used to recite the Musabbihaat, i.e. Surah Hadeed, Surah Hashar, Surah Saff, Surah Jumu’ah and Surah Taghaabun before sleeping and he stated that: “Indeed amongst them is a verse that is more virtuous than a thousand verses. (Abu Dawood, Vol. 2, Page 333, Tirmidhi, Vol. 2, Page 178) The verse referred to in the above Hadith is “Huwal Awwalu wal Aakhiru waz Zaahiru wal Baatinu wa Huwa bi kulli Shayin ‘Aleem. (Tafseerul Qur’anil ‘Azeem, Vol. 4, Page 385)

Stichwortartig möchte ich hier noch weiteren Aberglauben anführen, ohne diese weiter zu kommentieren. Ziel ist, dass die Muslime wissen, woher diese oder jene Praxis herkommt, damit man weiß, dass solch ein Aberglaube rein gar nichts mit der auf Vernunft und Hingabe basierten Religion Gottes zu tun hat.

Abu Huraira überlieferte, dass Satan nicht in ein Haus trete, wo die zweite Sura des Koran, „die Kuh“ genannt, rezitiert werde. (Hassan Sahih, Al-Tirmidhi 2877)

Wer morgens die ersten drei Verse von Ha-mim, al-Mumin sowie den Thronvers (2:255) rezitiere, wäre dadurch bis zum Abend geschützt und wer sie abends rezitiert, natürlich bis zum Morgen geschützt. (Gharib, Al-Tirmidhi 2879)

Abu Huraira überlieferte, dass wer nachts die beiden letzten Verse von al-Baqara (die Kuh) rezitiere, durch sie schon bewahrt (kafatahu) sei. (Hasan Sahih, Al-Tirmidhi 2881)

Abu Huraira berichtete, dass die ersten 30 Verse der Sura Al-Mulk dafür sorgten, dass man solange Fürsprache erhält, bis einem vergeben wird. (Hasan, Al-Tirmidhi 2891; Fath al Qadir 5/257, Sahihul Jamiea 1/680, Tabrani in Al-Awsat & Ibn Mardawaith)

Anas ibn Malik sagte: Wer „Wenn … erbebt“ rezitiert (Sura az-zilzal, das Erdbeben), ist das gleich der Hälfte des Koran, und wer „Sag, oh ihr Ungläubigen“ (Sura al-kafirun) rezitiert, so ist das gleich einem Viertel des Koran und wer „Sag Allah ist Einer“ (Sura Al-Ikhlas) rezitiert, so ist das gleich einem Drittel des Koran. (Hasan, Al-Tirmidhi 2893)

Die Sura Al-Mulk sei der Schutz vor dem Plager im Grab. (Sahihul Jamiea 1/680, Hakim 2/498 & Nasai)

Ich möchte nicht nur kritisch die Ahadith zitieren, denn es kann durchaus sein, dass man auf Ahadith stösst, deren Inhalt auf unabhängiger Basis davon, ob der Prophet sie nun gesprochen haben soll oder nicht, eine mögliche Variante darstellen können, wie wir vorgehen. Es gibt ein Bittgebet (Du’a), das man sprechen kann, wenn man die Gräber besucht. Dabei sollte man stets im Hinterkopf haben, dass diese Bittgebete dafür da sind, dass unsere Herzen Ruhe finden mögen und bei Gott nichts bewirken können, wenn Gott die entsprechende Person verurteilen will. In arabischer Lautschrift lautet das Bittgebet wie folgt:

As-Salamu ‘ala Ahli d-Diyari min al-Mu’minina wal-Muslimina yarhamu-llahu l- Mustaqdimiina minna wa l-Musta’khirina wa innaa in scha’-Allahu bikum Laahiqun.«

Deutsche Übersetzung: Der Frieden sei mit den Leuten der Unterkünfte (dieser Gräber), die von den Gläubigen und den Gottergebenen sind. Möge Gott sich jener erbarmen, die uns vorausgegangen sind, und jener, die uns folgen werden. Und gewiss werden wir so Gott will euch nachfolgen.“ (aus Sahih Muslim, Bd. 2, S. 461f., Nr. 2127)

Hierbei sollte aber betont werden, dass dies weder als islamische Pflicht noch überhaupt als islamisch verstanden werden darf. Nirgends im Koran wird uns gesagt, was wir sagen müssten oder sollten. Es wird aber auch nicht verboten. Lediglich das Beten und Stehen an den Gräbern jener, die gegen Gott vorgingen und die Gottergebenen verraten haben, werden uns verboten (9:83-84).

Sura Yasin, die Ahadith und die Toten

Die Sura Yasin betreffend gibt es ebenso viele Ahadith, die zwar schwach sind, dies aber die Menschen nicht davon abhält, ihren Inhalten als absolute Wahrheit zu folgen. Diese Sura wird aufgrund der Ahadith auch als „Herz des Koran“ beschrieben (Musnad, 5:26 nach türkischer Ausgabe; siehe auch Gharib, Al-Tirmidhi 2887, dieser Hadith wird von Al-Albany als erfunden klassifiziert), was aber nirgends im Koran erwähnt wird. Wer die Sura Yasin rezitiere, hätte damit gleich zehnmal den Koran rezitiert! (Maqal, Tirmidhi 2812/A & Dhahabi)

Bezüglich der Sura Yasin gibt es ebenso etliche Ahadith, die ähnlichen Aberglauben verbreiten. So würden sowohl weltliche als auch spirituelle Bedürfnisse erfüllt werden, wenn man diese Sura früh genug rezitiert, nämlich am „frühen Teil des Tages“:

The Hadith mentioned by ‘Ataa bin Abi Rabaah (R.A.) states that the Prophet (S.A.W.) said: “Whosoever recites Surah Yasin in the early part of the day his needs will be fulfilled.” (Mishkaat, Page 189)

It is stated in Mirqaat, Sharah Mishkaat under the commentary of the above Hadith that ones worldly needs and the needs pertaining to the Deen and the Hereafter will be fulfilled. (Mirqaat, Sharah Mishkaat, Vol. 4, Page 681)

Insbesondere erreicht der Aberglaube bezüglich Yasin einen weiteren Gipfel, wenn es das Lesen dieser Sura an den Grabstätten anbelangt:

„Diejenigen, welche am Freitag die Ruhestätte ihrer Mutter oder ihres Vaters besuchen und aus der Sure Yasin vorlesen, vergibt Allah dem Inhaber des Grabs.“ – Ibni Mace- Tercemesi, 4:274 nach türkischer Ausgabe

„Derjenige, welcher jeden Freitag die Begräbnisstätte seiner Eltern besucht und aus der Sure Yasin vorliest, werden nach der Anzahl der Ayet (Qur`anverse) und Buchstaben die Sünden vergeben.“ – (Aus dem Türkischen): Ianetu’talibin, 2/162-1418/1997; Hadis: Kenzu’l-Ummal, h. No:45486

„Lest die Yasin auf eure Toten!“ – Abû Dâwûd und An-Nasâ’iyy in ‚Amali l-Yawm Wa l-Laylah, auch Ibn Maadschah und Ahmad Ibn Hanbal, Al-Hakim und Ibn Hibbân.

„Yasin ist das Herz des Qur’an und die Person die, die Akzeptanz von Allah und das Jenseits beabsichtigt, rezitiert sie nicht, außer dass sie dadurch die Vergebung erhält, so rezitiert sie auf eure Toten.“ – überliefert von Ahmad Ibn Hanbal in seinem Musnad.

„Abdullah Ibn Umar sagte, dass er den Gesandten von Allah sagen gehört habe: Wenn einer von euch stirbt, so eilt mit ihm zu seinem Grab und lest an seiner Kopfseite die Al-Fâtihah und an seiner Fußseite das Ende der Al-Baqarah an seinem Grab.“ – At-Tabaraaniyy in seinem Buch Al-Mu’djim Al-Kabiir und der Hadithgelehrte Ibn Hadjar sagte darüber in seiner Erläuterung von Al-Bukhaariy im 3. Band auf Seite 184: „At-Tabarâniyyu überlieferte dieses mit einer Hassan (starken) Überlieferungskette“.

„Es ist bei den Gelehrten beliebt den Qur’an am Grab zu rezitieren.“ – An-Nawawiyy

Es sei über den Propheten gesagt worden, dass er gesagt habe: „Wer auch immer nachts die Surah Yasin rezitiert, um Gottes Wohlgefallen zu erlangen, Allah wird ihm vergeben.“ – Ibn Hibban, Darimi 3283/A, Abu Yala, Tabarani, Bayhaqi und Ibn Mardawaih

Von Anas ibn Malik berichtet: „Wenn jemand einen Friedhof betritt und Sura Yasin rezitiert, der erleichtert sie ihnen (d.h. die Qualen) an diesem Tag, und der erhält so viel Lohn gutgeschrieben, wie die Anzahl der Toten auf dem Friedhof.“ – Al-Albani sagte in al-Da’ifah (1246): „Der Hadith ist mawdu‘ (erfunden). Er wurde von al-Tha’labi in seinem Tafsir (3/161/2) überliefert.“

Ein weiterer Hadith hierzu: Ma’qal ibn Yassar berichtete im Namen des Propheten: „Rezitiert Yasin bei euren sterbenden Angehörigen.“ – Überliefert von Abu Dawud (3121), Ibn Majah (1448), Ahmad und Nasa’i – Al-Albani sagte hierzu in Ahkam al-Jana’iz, S. 11: „Was das Rezitieren der Sura Yasin bei den (gerade) Sterbenden betrifft und ihn in Gebetsrichtung (Qibla) zu drehen, so gibt es diesbezüglich keinen einzigen authentischen Hadith.“ Hakim meinte zu diesem Hadith jedoch, dass er streng authentisch sei (sahih). Dies ist typisch für die Welt der Hadith-Literatur, der eine Gelehrte hält den Hadith für erfunden, wobei ein anderer denselben Hadith als authentisch erachtet. Für den einfachen Gottergebenen, der einfach nur seine Religion kennen und leben möchte, erscheint es unmöglich, selbst zu entscheiden, was zu tun ist. Doch die Lösung ist einfach und klar: Gottes Buch der Koran ist vollständig detailliert und beinhaltet alles, was wir brauchen.

Das geistlose Rezitieren der Sura Yasin und anderer Suren ist zu einem Sport mutiert unter den sunnitisch und schiitisch geprägten Muslimen. Millionen von Muslimen rezitieren heute die Sura Yasin an den Grabstätten, weil es ihnen so beigebracht wurde. Doch gerade diese Sura Yasin, welche praktisch den Toten gewidmet wurde, beinhaltet den einzigen Vers, der uns mitteilt, dass der Koran für die Lebenden gesandt wurde! Welche Ironie! Zusätzlich ist zu sagen, dass das Rezitieren der Sura Yasin für die Toten geschieht, die aber nichts mehr hören können!

36:69 Und wir lehrten ihn nicht das Dichten und dies gebührt ihm nicht! Er ist doch nichts anderes außer Ermahnung und ein klarer Koran,
36:70 damit er diejenigen warnt, die lebendig sind, und das Gesagte über die Ableugner sich verwirklicht.

Die Menschen, die ihren Verstand nicht gebrauchen, die nicht zu den Lebendigen gehören wollen, indem sie die Botschaft des Koran missachten, obwohl sie darin lesen, werden im Koran als Esel bezeichnet, die Bücher auf ihrem Rücken tragen (62:5).

2:44 Befehlt ihr den Menschen die Aufrichtigkeit und vergesst euch selbst, wo ihr doch die Schrift vortragt. Seid ihr nicht vernünftig?

Befolgen wir Gottes Anweisungen im Buch, um zu den Lebendigen zu gehören, die zur Quelle allen Lebens gelangen wollen: zu Gott, dem Schöpfer.

Gepriesen sei der Herr in Seiner Weisheit und Allmacht. Ich wünsche uns allen die Rechtleitung von Gott und verbleibe

in Frieden

Bilderverbot im Islam? Oder: kein Tod in der Wohnung!

hinweisautorIch suche Zuflucht bei meinem Herrn vor dem verworfenen Teufel, Im Namen Gottes, des Erbarmers, des Barmherzigen.

Viele der Leser fragen sich sicher auch, woher das sektiererische Bilderverbot im Islam des Mainstream herrührt. Die Antwort ist kurz: im Koran gibt es kein Verbot von Musik, kein Verbot von Malen und Zeichnen. Im Gegenteil, Kunst wird geschätzt und als etwas Schönes angesehen. Der Koran verurteilt die Menschen, die Bilder verbieten im Namen Gottes (5:87, 7:32). Gemäß Koran werden die Gläubigen Nutzen aus den schönen Dingen ziehen, die nicht von Gott verboten sind und für die sie Gott danken. Der traditionalistische Islam schaut immer nach Verboten und sucht überall nach Erschwernissen. Traditionalisten sind davon überzeugt, je schwieriger sie ihr Leben gestalten, um so einfacher werden sie es haben in den Himmel zu gelangen. Jedoch verbietet Gott alle Zusätze zu und alle Auslassungen aus Seinen Worten. Des Weiteren verachtet Gott, dass Schätzungen und Vermutungen angestellt werden, um Gottes Religion zu verstehen.

 

51:8-11 Gewiss, ihr seid doch verschiedener Ansichten. Der wird von der (Wahrheit) abwendig gemacht, wer sich abwenden lässt. Dem Tod geweiht seien die, die nur Schätzungen anstellen!

 

Für Menschen, die ihre Meinung auf Vermutungen aufbauen wie etwa den Ahadith, die wirklich nur pure Vermutungen sind, ist wohl der Niqab hier die einfachste Lösung. Einfach anziehen und Bilder zu sehen wird erschwert!

Es gibt ein äußerst breites Spektrum an „gelehrten“ Meinungen. Wo sollen wir anfangen? Youtube-Gelehrten? Blog-Gelehrten? Foren-Gelehrten? Radio-Gelehrten? Fernseh-Gelehrten? Zeitungs-Gelehrten? Saudischen Gelehrten? Deutschen Gelehrten? Türkischen Gelehrten? Persischen Gelehrten? Ägyptischen Gelehrten?… Oder folgt man lieber der Vernunft e.V? Nehmen wir beispielsweise An-Nawawi, so ist gleich alles haram! Wer sich von irgendwelchen Gelehrten abhängig macht, macht sich der Beigesellung schuldig (9:31). Nicht nur das, wer sich von Gelehrten abhängig macht, der schaltet für gewöhnlich seinen Verstand aus, mit der scheinbar logischen Begründung, dass der eigene Verstand nicht immer der gleiche sei wie der eines anderen. Lieber folge man doch dem Verstand der Gelehrten, die alles vorkauen und einen wie ein braves Schäfchen behandeln, solange man ihrer Meinung folgt!

 

10:59 Sprich: “Denkt über die Gaben nach, die Gott euch herab gesandt hat, und fragt euch, wie ihr darauf kommt, einiges für verboten und einiges für erlaubt zu erklären!” Sprich: “Hat Gott euch dazu ermächtigt, oder sind es die Lügen, die ihr Gott zuschreibt?”

 

Die Sache ist doch ganz einfach! Gibt es im Koran ein Bilderverbot? Nein. Zweimal werden Bilder (تماثيل – tamâthîl, was auch ganz allgemein als „Darstellungen“ einer Sache verstanden werden kann) erwähnt. Einmal die Bildnisse des Vaters von Abraham, offensichtlich negativ als Götzen gekennzeichnet (21:52). Es sei hier verdeutlicht, was im darauf folgenden Vers 21:53 verurteilt wird: blind den Vorvätern zu folgen. Und einmal werden in positivem Kontext die Bildnisse erwähnt, die Salomo anfertigen ließ (34:13). Was kann man daraus erkennen? Erstens: Bildnisse sind koranisch gesehen grundsätzlich erlaubt, dazu gehört jede Form von Bildnis – auch digitale Bildnisse, ob es nun Tiere oder Gesichter oder Pflanzen oder alles zusammen beinhaltet. Zweitens: Es ist lediglich falsch Bildnisse als Götzen anzubeten, was bereits durch das Konzept der Beigesellung (schirk) im Koran verboten wird.

 

34:13 Sie machten für ihn, was er wollte: Paläste, Bilder, Schüsseln wie Wasserbecken und feststehende Kesseln. Wirkt, Familie Davids, in Dankbarkeit. Und wenige von meinen Dienern sind die Dankbaren!

 

Die entsprechende Frage, die Vers 34:13 berücksichtigt und das Bilderverbot nichtig macht, ist folgende: Wieso sollte Salomo etwas für sich anfertigen lassen wollen, das vor Gott verpönt und verboten sei, wo er doch ein Prophet ist und somit der erste derer, die sich Gott ergeben?

Es gibt einige Menschen, die diese Frage verstehen, der dahinter liegenden Vernunft zustimmen, aber trotzdem dem Bilderverbot nachhängen, als ob sie blind und taub wären. Dies liegt daran, dass unter den Traditionalisten die Redewendung „an-naql ‚Ala al-‚Aql“ gilt, zu gut Deutsch also „die Überlieferung VOR dem Verstand“ (oder auch ‚über‘). Diese Verherrlichung der Tradition, obwohl Gott im Koran an überzähligen Stellen betont, dass wir uns des Verstandes bedienen sollen, wird dafür sorgen, dass sich der Gesandte am Jüngsten Tag beim Herrn beschweren wird, dass sein eigenes Volk den Koran verlassen hat (25:30). Denn wenn also ein Koranvers den gesunden Menschenverstand dazu verleitet, zu einer schlüssigen Folgerung zu gelangen, so wird diese von Traditionalisten dennoch verworfen, weil es angeblich Ahadith gäbe, die Gegenteiliges bewiesen hätten. Diese da wären:

 

A´ischa berichtete: „Ich kaufte einmal einen Stoff mit Bildern. Als der Prophet kam, blieb er an der Tür stehen und trat nicht ein. Ich sagte zu ihm: „Ich bin ja bereit, mich reumütig zu Allah zu bekennen, wenn du mir sagst, was ich für eine Sünde begangen habe!“ Er erwiderte: „Was ist das für ein Stoff?“ Ich sagte: „Damit du dich entweder darauf setzt oder ihn als Kopfkissen verwendest.“ Er sagte: „Wahrlich, diejenigen, die diese Bilder gemacht haben, werden am Tage der Auferstehung bestraft. Zu ihnen wird gesagt werden: „Macht das lebendig, was ihr geschaffen habt!“ Auch die Engel betreten keine Wohnung, in der sich ein Bild befindet.“ (Siehe Hadith Nr. 5954 f., 5959 f., 5963, 6130 und die Anmerkungen dazu)
[Sahih Al-Buchary Nr. 5957]

Salim berichtete von seinem Vater, dass dieser sagte: „Gabriel verabredete sich mit dem Propheten erschien jedoch nicht zu der Zeit, zu der er erwartet wurde. Diese Situation fiel dem Propheten sehr schwer und ließ ihn aus seiner Wohnung hinausgehen. Draußen sah er Gabriel und klagte ihm, was er Schweres empfunden hatte. Da sagte Gabriel zu ihm: „Wir (Engel) betreten keine Wohnung, in der sich ein Bild oder ein Hund befindet.“
[Sahih Al-Buchary Nr. 5960]

 

Diese Ahadith können nur von einem kranken Verstand akzeptiert werden, denn ein gesunder Menschenverstand würde sofort einsehen: wenn die Engel keine Wohnung betreten, in der sich ein Bild befindet, so betretet auch der Todesengel (erwähnt in 32:11) diese Wohnung nicht. Auf diese Weise würde ich einfach in meiner Wohnung ein Bild oder gleich mehrere Bilder in jedem Zimmer aufhängen lassen, um nicht zu sterben!

Es gibt noch durchaus weitere Quellen für das Bilderverbot (wie z.B. die strenge Antwort von Ibn Abbas dem Bildmacher gegenüber), doch man muss sich das nicht antun. Wie sehr die Traditionalisten ihre Vorfahren verherrlicht und idolisiert haben, ist daran zu sehen, dass eingewendet wird, dass diese Ahadith doch in Sahih Bukhary stünden! Selbst wenn man die Hadith-Wissenschaft ernst nähme, was aber rein koranisch nicht möglich ist, so sagt es noch lange nichts darüber aus, ob sie historisch gesehen wahrscheinlich (also tatsächlich „authentisch“) sind, sondern lediglich, dass die Hadithgelehrten (muHaddithuun) in den Kreisen um Ahmad ibn Hanbal, wozu auch Bukhary gehörte, sie aufgrund der Überliefererketten als „richtig“ (also sahih) betrachteten. Und es gibt etliches, was als „sahih“ überliefert ist und dennoch völlig unglaubwürdig ist und selbst von Hadithgelehrten komplett abgelehnt werden. Rudi Paret schrieb eine Reihe von Aufsätzen zum „islamischen“ Bilderverbot, und nach seiner Meinung sind all diese Ahadith nicht authentisch und unglaubwürdig. Und er ist nicht der einzige Gelehrte, der dieser Meinung folgt. Und ihn führe ich hier an, weil er ein Deutscher ist. Zahlreiche weitere Gelehrten aus anderen Ländern, ob vom Osten oder Westen, sind gleicher Meinung.

Sahih bedeutet eben nicht immer authentisch, oft ist gar das Gegenteil der Fall. Die Hadithwissenschaft (ʿilm al-hadith) ist ein Festland der Vermutungen. Viele muslimische Gelehrte haben Ahadith verworfen, missachtet, angezweifelt und als unglaubwürdig angesehen, obwohl diese in den Kreisen der „ahl al-hadith“ (Anhänger des Hadith) Anerkennung fanden. Selbst wenn diese bei den Anhängern des Hadith Anerkennung finden, diskutieren diese untereinander über die Wägbarkeit oder Unwägbarkeit, denn oft wird der ein und derselbe Überlieferer nicht selten von den einen als „vertrauenswürdig“, von anderen aber als „Lügner“ bezeichnet. Deshalb können sie als islamische Religionsquelle nicht dienen.

Ahadith dienen lediglich der Geschichtsschreibung über die muslimische Frühzeit. Und auch dann sind sie grundsätzlich eine stets neu zu hinterfragenden Quelle für das Wissen, und nur sehr bedingt als sichere Quelle zu gebrauchen. Das sollte eigentlich jeder wissen, der Grundkenntnisse über das Phänomen Hadith an und für sich hat. Noch zweifelhafter wird es, wenn es darum geht, diese Ahadith in den Mund des Propheten zu legen, obwohl er diese Worte nie ausgesprochen hat.

Ahadith sind eine Quelle des Zweifels.